Du weißt nicht, was Du nicht weißt

Du weißt nicht, was Du nicht weißt. In dieser Ausgabe geht es über uns unbekannte Ereignisse, was diese für unsere Investitionen und für unser Anlageverhalten bedeuten und was Du angesichts dieser Unbekannten tun kannst, um keinen finanziellen Schaden zu nehmen.

Hier geht es zum Podcast:

Du weißt nicht, was Du nicht weißt

Es war das Jahr 2002, da sagte der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld auf einer Pressekonferenz sinngemäß:

Es gibt bekanntes Bekanntes. Wir wissen auch, dass es bekanntes Unbekanntes gibt. Aber es gibt auch unbekanntes Unbekanntes.

Was meint das?

  • Bekanntes Bekanntes, auf Englisch known knowns. Das sind Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Das sind uns geläufige Sachverhalte und Zusammenhänge. Die kennen und verstehen wir. Mit denen wissen wir umzugehen.
  • Bekanntes Unbekanntes, auf Englisch known unknowns. Das sind Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie nicht wissen. Das sind uns bekannte Wissenslücken. Das wäre zum Beispiel der Ausgang einer Wahl oder die Dunkelziffer bei einer Statistik.
  • Und die dritte Kategorie, unbekanntes Unbekanntes, unknown unknowns, das sind Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Das sind Dinge, die wir nicht kommen sehen, zum Beispiel Zufälle. Das sind Ereignisse und Sachverhalte, die sich unserer Vorstellungskraft entziehen. Die wir überhaupt nicht auf dem Schirm haben und die uns, wenn sie eintreten, vollkommen überraschen.

Unbekannte Unbekannte können zum Beispiel geopolitische Ereignisse sein, technologische Veränderungen oder auch Naturkatastrophen.

Auch in der Welt der Finanzen können wir Sachverhalte und Ereignisse entsprechend einteilen, zum Beispiel, um ein Risiko zu bewerten. Kurz zur Erinnerung aus Folge 7 über Risiko an der Börse: Risiko ist die Möglichkeit von Verlust oder Schaden. Ich möchte also verstehen, ob ein bestimmtes Ereignis mir finanziell schaden kann. 

Bei den known knowns, den bekannten Bekannten, können wir die Risiken identifizieren, verstehen und idealerweise auch quantifizieren. Ein Beispiel ist die aktuelle Inflation. Wenn die Inflation 5% beträgt, dann habe ich einen Kaufkraftverlust von 5% zum Vorjahr. Das mag ärgerlich sein. Ich kann das aber klar beziffern und ich kann damit umgehen.

Die known unknowns, bekannte Unbekannte, sind da schon etwas schwieriger. Ich bin mir bewusst, dass es bestimmte geopolitische Spannungen und Konflikte gibt. Ein anderes Beispiel wären Überlegungen in der Politik, bestimmte regulatorische Änderungen zu vollziehen oder das Bestreben, ein großes Unternehmen zu zerschlagen. Ich kann nachvollziehen, dass es einen Sachverhalt gibt, ich kann mich auch dazu einlesen. Ich kann aber nicht abschätzen, wann der Sachverhalt eintritt und wie er sich im Detail auswirken würde. Ich kann mich aber zumindest in gewissem Maße darauf vorbereiten.

In der Zukunft wird es Aktien geben, die durch die Decke gehen, während andere spektakulär scheitern werden. Ich weiß aber nicht, welche das sein werden und ich weiß, dass ich es nicht weiß. Ich kann mir eine Meinung bilden, aber ich kann nicht in die Zukunft blicken. 

Und selbst wenn ich meine, etwas besonderes zu wissen, dann bin ich wohl eher nicht der Erste, der das weiß. In der Regel wird der Sachverhalt bereits am Markt eingepreist sein.

Damit sind wir bei den unknown Unknowns, den unbekannten Unbekannten. 

Das sind echte Biester. Das sind Risiken, die nicht vorhersehbar sind und die oft wie aus dem Nichts auftauchen.

Ein Beispiel ist die Fukushima-Katastrophe. Man hatte beim Bau des Atomkraftwerks damit gerechnet, dass ein Erdbeben auftritt. Und tatsächlich war das Atomkraftwerk erdbebensicher. Ein Erdbeben allein hätte nicht zu einem großen Unglück geführt. Man hatte aber nicht damit gerechnet, dass ein Reaktor durch einen Tsunami beschädigt werden könnte. Sonst hätte man die Anlagen nicht ans Meer gebaut. 

Und unknown Unknowns, die sind gerade bei Finanzen ein echtes Problem, weil man sich nicht auf sie vorbereiten kann.

Vor dem Jahr 2020, da hätte man vielleicht antizipieren können, dass eine globale Pandemie irgendwann wieder ausbricht. Sich auf die möglichen Folgen vorzubereiten, ist aber etwas ganz anderes. 

Wer hätte prognostiziert, dass weite Teile der Wirtschaft lahmgelegt und Branchen wie die Gastronomie oder der Tourismus in die Knie gezwungen werden, während gefühlt das halbe Land von heute auf morgen ins Home Office geht und der Internethandel floriert? Auf eine solche Entwicklung können sich die Börse und all die Marktteilnehmer nicht wirklich vorbereiten. 

Und die COVID-Pandemie ist beileibe keine Ausnahmeerscheinung. 

Im laufenden 21. Jahrhundert hatten wir Ereignisse wie die Anschläge vom 11. September 2001 mit all ihren Auswirkungen, die Finanzkrise im Jahr 2008 und Krieg in Europa. 

Da zeigt sich auch, wie viel Prognosen wirklich wert sind. Das können begründete Meinungen sein. Aber egal wie qualifiziert eine Prognose ist, es kann auch ganz anders kommen. Mark Twain soll dazu gesagt haben: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen

Finanzmanager gehen üblicherweise so vor, dass sie Risiken identifizieren, sie idealerweise auch quantifizieren und dass sie dann entsprechend steuern und Entscheidungen treffen. Dabei schaut man auf historische Daten, ähnliche Sachverhalte und Ereignisse oder auch auf statistische Modelle, mit denen bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeiten berechnet werden sollen. 

Doch diese Ansätze können nicht mit den unknown Unknowns umgehen. Wenn etwas noch nie eingetreten ist, wenn man es nicht auf dem Schirm hat, dann kann man es auch nicht berücksichtigen.

Und wenn zum Beispiel ein großes geopolitisches Ereignis eintritt, dann kann das zu ordentlichen Verwerfungen an der Börse führen. Dann sind die Anleger verunsichert und verwirrt. Dann könnten sie zu Kurzschlussreaktionen neigen, wie Panikverkäufen. Und das kann die Situation zusätzlich befeuern.

Das klingt etwas absurd, aber der Markt orientiert sich oft am Markt. Das könnte zu folgender Entwicklung führen: Aufgrund eines Ereignisses gibt es Sorgen am Markt, daraufhin gehen die Kurse zurück, die Sorgen verstärken sich, das führt zu weiteren Kursrückgängen und das führt schließlich zu Panik und Ausverkauf.

Unknown Unknowns betreffen nicht nur den Markt insgesamt, sondern ebenso uns Anlegerinnen und Anleger und unser Investitionsverhalten.

In Folge 26 über die Summe der Erfahrungen hatte ich darüber gesprochen, wie sich unser Bild der Welt und wie sie funktioniert formt.

Viele unserer Annahmen, unser Verständnis der Welt, beruhen auf unseren persönlichen Erfahrungen. Wir sind durch Ereignisse in unserer Zeit und in unserer Umgebung geprägt. Und die sehen wir als repräsentativ an. Und weil unsere Erfahrungen unser Verständnis der Welt formen, extrapolieren wir die jüngste Vergangenheit und wir erwarten, dass die Zukunft ebenso abläuft.

Die Nachkriegsgenerationen in Deutschland bspw., die kannten nur den Frieden. Für die war es undenkbar, dass hier in Europa ein Krieg ausbricht. Dann kam der russische Überfall auf die Ukraine und auf einmal rückte auch in Deutschland das Thema Rüstung und Kriegstüchtigkeit des Landes wieder auf die Agenda.

Diese Extrapolation der Vergangenheit ist eine Sache. Hinzu kommt, dass unknown Unknowns uns per Definition nicht bekannt bzw. bewusst sind. Das Gesamtbild, der gesamte Sachverhalt kann uns also gar nicht bekannt sein.

In Folge 17 über investieren im Circle of Competence hatte ich darüber gesprochen, dass man innerhalb des eigenen Circle of Competence handeln sollte, also bei Themengebieten, die man wirklich gut kennt und versteht. Da kann man Situationen einschätzen, Einwände bewerten oder sie auch entkräften. 

Man versteht die Risiken und Unwägbarkeiten. Und idealerweise weiß man, was man nicht weiß.

Wir leben in einer Zeit des ständigen Informationsflusses.

Und bei allen möglichen Sachverhalten bilden wir uns schnell eine Meinung – egal wie komplex ein Thema ist. Wir glauben sehr häufig viel zu wissen und viel zu verstehen. Wenn wir aber ganz ehrlich zu uns sind, dann ist unser Wissen sehr begrenzt.

Der Investor Ray Dalio schreibt in seinem Buch “Weltordnung im Wandel”: 

“Ich bedenke, dass das, was ich nicht weiß, größer ist als das, was ich weiß.”

Nun ist Ray Dalio in der Investorenszene nicht irgendwer. Er ist Gründer von Bridgewater, einer der größten Hedgefonds der Welt und Dalio selbst ist viele Milliarden US-Dollar schwer. Dalio sagt, dass die Welt ein komplizierter Ort ist. Er versucht die Vergangenheit zu verstehen, um daraus zu verarbeiten, was in der Gegenwart vor sich geht und mit Hilfe dieser Informationen auf die Zukunft zu wetten. 

Er ist in einer besonderen Lage. Er hat Zugang zu den weltbesten Wissenschaftlern, kann sich mit führenden Politikern austauschen und er beschäftigt viele Experten, die ihm dabei helfen, Investitionsentscheidungen zu treffen. Und trotz dieses beispiellosen Zugangs zu Wissen und Ressourcen, trotz seiner bis dato wirklich sehr starken Investment-Laufbahn, sagt er:

“Ich kann nicht sicher sein, dass ich mit irgendetwas richtig liege. Ich habe zwar enorm viel gelernt, aber ich weiß, dass das, was ich weiß, nur ein winziger Teil dessen ist, was ich wissen muss, um in die Zukunft blicken zu können.”

Howard Marks, ein weiterer erfolgreicher Investor, der uns bereits in diesem Podcast begegnet ist, der sagte:

“Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Jeder hat eine Meinung. Aber Meinungen sind etwas völlig anderes als Wissen.”

Er zitierte einmal den verstorbenen Ökonomen John Kenneth Galbraith:

„Es gibt zwei Arten von Prognostikern: diejenigen, die nichts wissen, und diejenigen, die nicht wissen, dass sie nichts wissen.“ 

Wenn Dir das nächste Mal jemand sagt, wie sich die Märkte oder eine Aktie in den nächsten Monaten entwickeln werden, dann sieh’ die Aussage mindestens kritisch. Vielleicht erzählt er Dir bewusst Unsinn, dann hilft Dir das sowieso nichts. Oder er ist tatsächlich überzeugt von seiner Meinung, was dafür sprechen würde, dass er nicht weiß, dass er es nicht weiß.

Was bedeutet das nun für uns als Anlegerinnen und Anleger? Was können wir tun, um mit den unknown Unknowns umzugehen? 

Ich glaube, dass wir ebenso wie Dalio und Marks anerkennen sollten, dass wir wahnsinnig viel nicht wissen. Und wenn wir viele Dinge nicht wissen und wir ebenso wenig wissen, was wir nicht wissen, dann wäre es ratsam, dass wir bei unseren Investitionsentscheidungen äußerst vorsichtig sind. Wenn wir in Einzelaktien investieren, dann sollten wir zurückhaltend sein, die Zukunft eines Unternehmens bzw. einer Aktie zu prognostizieren. 

In Folge 14 über die erste Regel des Investierens sagte ich, dass Die Börse eine lehrreiche, eine effektive, aber auch eine brutale Schule ist, an der Fehler teuer bezahlt werden. Beim Investieren wird man richtig auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, wenn man übermütig wird und meint, schlauer als der Rest der Welt zu sein. 

Unknown Unknowns und unser Nicht-Wissen unterstreichen auch die Notwendigkeit bescheiden zu sein, keine überzogenen Erwartungshaltungen zu haben und nicht in die Falle laufen zu glauben, wahnsinnig ausgebufft zu sein und waghalsige Wetten einzugehen.

Und wenn die Stimmung am Markt mal wieder allzu optimistisch oder eine Aktie stark gehyped wird, dann könntest Du aus Prinzip einen kritischen Blick einnehmen. Du könntest Dich fragen: Was sind die unbekannten Unbekannten? Was wird übersehen?

Das wirst Du nicht beantworten können, das liegt in der Natur der Sache. 

Aber dann lässt Du Dich vielleicht nicht so leicht von der Euphorie anstecken und Du positionierst Dich eher vorsichtig, so wie Ray Dalio. Und auch wenn wir Unbekanntes nicht vorhersagen können, so können wir uns schon etwas auf solche Situationen vorbereiten, um keinen ganz großen finanziellen Schaden zu nehmen.

Ein wichtiger Baustein ist es, das Portfolio breit hinsichtlich Branchen und Regionen zu diversifizieren und keine großen Wetten einzugehen. Nochmal Ray Dalio:

„Ich habe schon öfter falsch gelegen, als ich mich erinnern kann, weshalb ich Diversifizierung über alles andere stelle.”

Und auch der in diesem Podcast besprochene Punkt der finanziellen Flexibilität ist wichtig. Wenn ich breit diversifiziert investiere und einen langfristigen Zeithorizont habe, dann bin ich eher in der Lage, ein Börsenbeben einfach auszusitzen. Historisch betrachtet haben sich die Märkte über einen langen Zeitraum trotz zwischenzeitiger Turbulenzen positiv entwickelt. 

Finanzielle Flexibilität meint, dass wir in der Lage sind, einen Sturm zu überstehen und dass wir nicht plötzlich an unser Geld müssen. Finanzielle Flexibilität meint ebenso, dass wir einem dringenden unvorhersehbaren Geldbedarf begegnen oder eine gewisse Zeit finanziell überbrücken können. 

Dafür braucht es einen Vorrat an schnell verfügbarem Geld, zum Beispiel mit einem Tagesgeld-Konto. Also, dass man das eigene Vermögen nicht komplett in ETFs und Aktien investiert.

Viele vermögende Investoren begegnen den unknown Unknowns auch damit, dass sie einen kleinen Teil ihres Vermögens ebenfalls in physischem Gold vorhalten. Gold ist ein spannendes Thema, das ich in einer anderen Folge nochmal vertiefen werde.

Und auch wenn es schwer bzw. Nur sehr schwer möglich ist, sich auf die unknown Unknowns vorzubereiten, können wir uns aber auf die known Unknowns vorbereiten. 

Ein Beispiel wäre die Gefahr einer Arbeitsunfähigkeit. Dafür kann man eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen, wie in Folge 47 welche Versicherung benötige ich wirklich besprochen. 

PS: Das Titelbild ist in Kalifornien entstanden.

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