Geldanlage und Vermögensaufbau

Negative Visualisierung

Was ist negative Visualisierung? Wie kann sie uns dabei helfen, bessere finanzielle Entscheidungen zu treffen? Und wie bewahrt sie uns davor, im wilden auf und ab der Börsenmärkte kopflos zu agieren?

Hier geht es zum Podcast:

Im Leben gibt es immer wieder negative Überraschungen. 

Und dann wird untersucht, was passiert, was schiefgegangen ist, wie es soweit kommen konnte. Die Dinge werden also im Nachhinein analysiert. Fachleute sagen dazu “post mortem”, wörtlich übersetzt “nach dem Tod”. 

Demgegenüber steht das Premortem, “vor dem Tod”. Das ist wie eine vorausschauende Rückschau. Man überlegt, warum eine Sache schiefgehen könnte. Man versucht, Risiken zu identifizieren und Gründe des Scheiterns zu antizipieren. 

Ein Vorhaben kann scheitern. Und es passiert nicht selten, dass die Gründe des Scheiterns vermeidbar gewesen wären. Es wird auch oft nicht bedacht, dass Dinge schiefgehen können. Man geht fest davon aus, dass alles so läuft, wie geplant.

In Folge 2 “wenn die Börsen beben” hatte ich dazu den Boxer Mike Tyson zitiert:

Jeder hat einen Plan, bis er ins Gesicht geschlagen wird. 

Hat man einen Backup-Plan? Wie könnte man gegensteuern, wenn sich die Dinge anders oder nicht so gut entwickeln, wie gedacht? Kann man die Situation durch falsches Handeln sogar verschlechtern?

Das Premortem, diese negative Visualisierung, das kann dabei helfen, negative Konsequenzen oder ungewollte Ausgänge zu simulieren, sich nicht von ihnen überraschen zu lassen und sie angemessen durchzudenken.

Negative Visualisierung ist im Prinzip ganz einfach und wortwörtlich zu verstehen:

Und zwar stellt man sich mögliche negative Zukunftsszenarien vor. Die Idee ist, dass falls sie eintreten, dann bleibt man gelassener, als wenn man von ihnen überrascht wird und man kann angemessen reagieren.

Negatives Visualisieren, wie es Berater und Coaches heutzutage in der Wirtschaft praktizieren, das ist tatsächlich eine jahrtausendealte Übung, die schon Stoiker wie Marcus Aurelius oder Seneca vorgemacht haben. Sie nannten das premeditatio malorum, was so viel bedeutet, wie das Schlechte vorhersehen. Und damit wollten sie trotz der Widrigkeiten des Lebens besonnen und frei von emotionalem Leid bleiben.

Seneca soll einst einem Freund sinngemäß geschrieben haben, dass ein weiser Mann keine bösen Überraschungen erfährt. Zwar werde nicht alles laufen wie gewünscht oder geplant, doch er rechne damit, dass etwas seine Pläne durchkreuzen könnte. Durch negatives Visualisieren war Seneca auf Probleme vorbereitet. Er baute die Probleme sogar in seine Pläne mit ein, um für einen erfolgreichen aber auch einen nicht-erfolgreichen Ausgangs seiner Vorhaben gerüstet zu sein.

Wenn ich von einem negativen Ereignis nicht überrascht werde, dann kann ich 

  1. Es akzeptieren, also Gelassenheit gegenüber zukünftigen Ereignissen erlangen. Ich kann 
  2. auch die Möglichkeit einer negativen Entwicklung in meine Entscheidung mit einbeziehen und eventuell vorbeugende Maßnahmen mit einplanen. Und ich kann
  3. Mehr Zufriedenheit in der Gegenwart erlangen, zum Beispiel weil ich wertschätze, was ich habe und wie gut es mir eigentlich geht. 

Und gerade der erste Punkt, die Akzeptanz, ist ein zentrales Element der stoischen Philosophie. Ein Stoiker will externe Faktoren, die er oder sie nicht beeinflussen kann, akzeptieren. Denn wenn ich eine Sache nicht beeinflussen kann, dann bringt es auch nichts, wenn ich mich über sie aufrege.

Nun mag mancher anmerken, dass negative Visualisierung von einer sehr pessimistischen Grundhaltung zeugt.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Wenn ich mir vorstelle, was alles schiefgehen kann, dann lerne ich die Dinge mehr zu schätzen. Die Stoiker gehen sogar soweit, dass sie den eigenen Tod oder den Verlust von Angehörigen negativ visualisieren.

Wir neigen dazu uns anzupassen. Wir gewöhnen uns an die guten Dinge im Leben. Wir nehmen sie als selbstverständlich hin, was auch zu Unzufriedenheit führen kann. Und wir neigen dazu, uns übermäßig mit anderen zu vergleichen. Wir sehen, was sie haben oder können. Dann wollen wir es auch. Und wir sehen nicht, wie gut es uns eigentlich geht.

Darüber hatte ich in Folge 42 über den inneren Kompass gesprochen: Egal wie intelligent, klug, gutaussehend oder erfolgreich man ist: es gibt immer jemanden, der einen übertrifft. Das bedeutet: Wenn wir immer das sehen, was andere haben, wenn wir nicht wertschätzen können, was wir haben, dann können wir den Zustand der Zufriedenheit niemals erreichen.

Und auch hier kann uns die negative Visualisierung helfen. 

Was bedeutet negative Visualisierung nun für Dein Geld?

Wie kann negative Visualisierung Dir dabei helfen, bessere finanzielle Entscheidungen zu treffen?

Wie gerade angesprochen, kann Dir negative Visualisierung vor Augen führen, was Du alles hast und wie glücklich Du darüber sein kannst, sodass Du weniger Neid oder auch Gier verspürst. Denn Neid oder Gier können Dich auf dumme Gedanken bringen, oder Dich dazu verleiten, besonders waghalsige Geschäfte oder Investitionen einzugehen.

Darüber hatte ich in Folge 7 über Risiko an der Börse gesprochen: Für den Investor Howard Marks ist es die Essenz des Investierens, Geld zu verdienen und dabei die Risiken zu kontrollieren. Und Deine Entscheidungen willst Du so treffen, dass sie im Unglücksfall für Deine Finanzen nicht fatal sind.

Egal, wie viel Du hast: Es wäre immer schön, mehr zu haben. Doch bei aller Ambition solltest Du das, was Du hast, nicht verlieren. Warren Buffett hat dazu gesagt:

“Never risk what you have and need for what you don’t have and don’t need”. 

Also riskier nicht, was Du hast und benötigst, um etwas zu bekommen, das Du nicht hast und nicht benötigst.

Ein riskantes Finanzgeschäft kann Dir eine unglaublich hohe Rendite in Aussicht stellen. Das klingt dann schon sehr verlockend für Dich. Doch das negative Visualisieren zeigt Dir auf, dass bei dem Geschäft auch so einiges schiefgehen kann und dass womöglich der Totalverlust droht.

Das betrifft ebenfalls den Aspekt, dass Dich negatives Visualisieren in der Gegenwart zufriedener machen kann bzw. Dir hilft, die Dinge mehr wertzuschätzen. Wenn ich mir bewusst mache, dass es mir eigentlich gut geht. Dann hüte ich mich vielleicht davor, waghalsige Dinge zu tun, die mir zukünftig schaden könnten. 

Das heißt jetzt nicht, dass ich mich nur noch auf die möglichen Fallstricke fokussiere. Dann wäre ich handlungsunfähig und würde kein Geschäft mehr tätigen. Aber wenn der Totalverlust droht, dann werde ich ein Geschäft maximal mit einem geringen Anteil meines Vermögens tätigen, um im Unglücksfall nicht ruiniert zu sein. 

Selbst wenn nicht eine unglaublich hohe Rendite im Raum steht, so neigen wir an der Börse doch des Öfteren dazu, uns die Welt in den schönsten Farben zu malen. 

Wir tappen in die Falle zu glauben, ein Investment sei ein todsicheres Ding. Und der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt, wenn wir uns die zukünftige mögliche Entwicklung einer Aktie ausmalen. 

Wie in diesem Podcast schon häufiger angesprochen, ist es oft sinnvoll, die Dinge auf den Kopf zu stellen. Darüber hatte ich in Folge 14 über die erste Regel des Investierens gesprochen: Statt der Frage “Welche Aktie wird so richtig abgehen und mich reich machen?” könnte man sich fragen, “wie vermeide ich Verluste”?

Mit negativem Visualisieren würde man sich die Frage stellen: Was kann bei der Aktie alles schiefgehen? Bei all den positiven Entwicklungen, die ich mir ausgemalt hab, was wäre, wenn sich die Dinge anders entwickeln? Welche Katastrophen könnten das Unternehmen ereilen?

Und das unterstreicht die Wichtigkeit, dass man sich bei seinen Anlageentscheidungen im Circle of Competence aus Folge 17 befindet. 

Wenn ich ein Unternehmen oder eine Branche nicht wirklich tief verstehe, dann kann ich gar nicht bewerten, ob meine Zukunftsfantasie valide ist und ich kann nicht wirklich skizzieren, wo meine Überlegungen wackeln und was alles schiefgehen könnte.

Und dieser Aspekt des negativen Visualisierens, also des Durchdenkens, was schiefgehen könnte oder was geschieht, wenn es nicht so läuft wie gedacht und wie man sich darauf vorbereitet, der kann auch abseits des Investierens hilfreich sein. 

Ein vielleicht etwas drastisches und unromantisches Beispiel ist der Ehevertrag.Wenn man heiratet, dann geht man natürlich davon aus, dass dies der Bund fürs Leben ist. Gleichwohl werden nunmal viele Ehen geschieden. Also statt sich nur der romantischen Vorstellung hinzugeben, schließen manche einen Ehevertrag ab, um möglichen negativen Auswirkungen schon im Vornherein zu begegnen.

Menschen lassen sich von der Euphorie anstecken, wenn immer neue Höchststände locken.

In Folge 2 “wenn die Börsen beben„, habe ich darüber gesprochen, dass die meisten Menschen nahe eines Börsenhochs Aktien kaufen. Umgekehrt verkaufen sie, wenn die Stimmung im Keller ist und die Börsenkurse abschmieren. Dabei wäre es besser, es genau andersrum zu tun. 

Warren Buffett sagt dazu:

Sei ängstlich, wenn andere gierig sind und sei gierig, wenn andere ängstlich sind.

Kommen wir nochmal auf die Stoiker zurück. Deren Überzeugung ist, dass äußere Ereignisse weder positiv noch negativ sind. Äußere Ereignisse sind belanglos, weil wir sie nicht kontrollieren können. Einzig unsere Reaktion auf ein Ereignis kann positiv oder auch negativ sein. Deswegen die negative Visualisierung. 

Stoiker konzentrieren sich nicht auf das, was passiert, sondern darauf, wie sie auf das reagieren, was passiert.

Auf die Finanzmärkte angewendet, wäre das äußere Ereignis die Börse. Die steigt und die fällt. Und das ist weder positiv noch negativ. Das ist so. Auch die Ereignisse, die zu diesen Kursschwankungen führen, also zum Beispiel eine Wirtschaftskrise, politische Entwicklungen, oder neue Technologien. Die kannst Du nicht beeinflussen. Das Verhalten der Anleger, das wiederum kann positiv oder negativ sein. 

Wenn die Märkte einbrechen und die Anleger in Panik verkaufen, dann ist das eine negative Reaktion. 

Das gleiche gilt in einer breiten Aufwärtsbewegung der Märkte, wenn die Kurse klettern und klettern und die Anleger euphorisch nahezu jeden Preis für eine Aktie bezahlen. Auch das ist eine negative Reaktion.

Man könnte das mit negativer Visualisierung einmal durchspielen, wie das denn so ist, wenn das eigene Depot mal um 30% oder auch 50% zurückgeht. Wenn man mit einem breitgestreuten Portfolio langfristig und vielleicht eher passiv investiert, also zum Beispiel mit einem ETF-Sparplan. Dann ist das auf und ab der Börse egal und man reagiert nicht.Wenn man wie Buffett agiert, also aktiv in Einzelaktien investiert, dann wäre es eher angebracht, sich antizyklisch zu verhalten.

Also wenn Anleger scheinbar jeden Preis für eine Aktie zahlen, dann geht man in Deckung. Und wenn die Stimmung richtig im Keller ist, dann könnte die Gelegenheit zum Kauf von Aktien günstig sein. Also vorausgesetzt, Du kannst hinreichend bewerten, ob das ein zwischenzeitliche Schwächephase ist oder die Aktie grundlegend ein Problem hat.

Abschließend lässt sich über negative Visualisierung sagen: 

Negatives Visualisieren kann etwas kontraintuitiv erscheinen. Schließlich wird uns fortwährend gesagt, dass wir positiv denken sollen. 

Ein Stoiker würde das Glas aber auch nicht halb leer sehen. Er würde sich darüber freuen, dass das Glas halb voll ist. Und vor allem würde er freudig feststellen, dass er überhaupt ein Glas hat und dass es nicht zerbrochen ist. 

Gleichwohl würde ich dafür plädieren, negative Visualisierung in Maßen anzuwenden. Das ist ein effektives Werkzeug gegen bspw. Übermut. Aber vielleicht sollte man schon etwas aufpassen, nicht in vielen Bereichen des Lebens eine negative Grundhaltung zu entwickeln und immer erst die schlechten Dinge durchzudenken. 

Die Börse ist bestimmt von vielen externen Faktoren, die wir nicht beeinflussen können. Es ist unser Verhalten, das den Unterschied macht.

  • Haben wir die finanziellen Weichen mit Blick auf unsere persönliche Situation richtig gestellt?
  • Treffen wir unsere Entscheidungen mit Bedacht?
  • Oder investieren wir eher unreflektiert in den aktuellen Hype? Verkaufen wir bei einem Crash in Panik und lassen wir uns von der Euphorie eines Hochs mitreißen?

Die Märkte können sich irrational verhalten und Kursbewegungen können extrem ausfallen. Sind wir dazu richtig aufgestellt? Schaffen wir es, im Fall der Fälle besonnen zu agieren? Der Autor Ryan Holiday hat gesagt:

„Das Schlimmste, was passieren kann, ist nicht, dass etwas schiefgeht, sondern dass etwas schiefgeht und dich überrascht.“

Negative Visualisierung kann dabei helfen, sein Hab und Gut nicht übermäßig ins Risiko zu stellen. Sie kann dabei helfen, vorbereitet zu sein, wenn Dinge schiefgehen oder anders laufen als erwartet, damit man von kurzfristigen Turbulenzen nicht böse überrascht wird und nicht kopflos handelt.

PS: Das Titelbild ist in Portugal entstanden.

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