Langeweile ist etwas, das uns so gar nicht gefällt. Aber beim Investieren ist Langeweile bzw. Die Fähigkeit zur Geduld eine Tugend.
Warum lehnen wir Langeweile ab und warum wollen wir sie unter allen Umständen vermeiden? Was hat das mit Deinen Finanzen zu tun und warum ist Langeweile beim Investieren gar nicht so schlecht? Darum geht es in dieser Ausgabe.
Hier geht es zum Podcast:
Ich glaube, dass es wie so oft im Leben auch an der Börse mindestens zwei Typen gibt:
Da wären diejenigen, die regelmäßig ihren Sparplan ausführen, die vielleicht wenig mit Investieren am Hut haben möchten und die sich abseits des Schritt für Schritt wachsenden Vermögens eher nicht besonders für Finanzen interessieren.
Eine weitere Gruppe könnte man etwas zugespitzt als Aktien-Abenteurer bezeichnen. Aktien-Abenteurer haben ein meist großes Interesse an der Börse und an Finanzthemen. Möglicherweise diskutieren sie auch im Internet oder im Bekanntenkreis über Aktientipps. Und sie investieren sehr aktiv.
Doch wie in Folge 19 über das wichtigste Wort an der Börse bereits erläutert: Aktivität ist an der Börse kein Selbstzweck und daraus resultiert nicht unbedingt eine bessere Rendite.
Die Aktivität wiederum kann viele Gründe haben. Vielleicht verspürt man Angst, etwas zu verpassen, also Stichwort FOMO oder auch Verlustaversion aus Folge 10. Vielleicht hat man auch einen Aktivitätsdrang, zum Beispiel um das Gefühl der Kontrolle über eine unsichere Situation zu erhalten. Darüber sprach ich in Folge 44 über Action Bias.
Es kann ebenso sein, dass das Kaufen und Verkaufen von Wertpapieren für einen Menschen einfach nur aufregend ist. Das Auf und ab der Kurse, mal gewinne ich, mal verliere ich. Das finden manche spannend.
Diese Suche nach Abenteuer und Nervenkitzel, das sehen manche wie der Autor Ramit Sethi sehr kritisch.
Er meint, dass Geldanlage nicht der emotionalen Befriedigung dienen sollte oder um (Zitat) ein Loch in seinem Herzen zu füllen.
Und die Jagd nach Aufregung kann beim Investieren zur Katastrophe im Portfolio führen. Was bedeutet das nun?
Wie so häufig hilft es, die Dinge umzudrehen. Also, wenn man beim Investieren nicht nach Aufregung gieren sollte, dann sollte man stattdessen nach Langeweile streben.
Wir sollten davon absehen, als Aktien-Abenteurer unser Glück finden zu wollen. Stattdessen sollten wir den stoischen Sparer in uns füttern.
Das deckt sich ja mit dem vielfach in diesem Podcast besprochenen Investment-Ansatz: langer Zeitraum, regelmäßige Einzahlungen via Sparplan, breitgestreut in ETFs investieren, liegen lassen und Depot nicht ständig anfassen.
Demnach geht es um Geduld und um Disziplin.
Man könnte aber auch sagen, dass das zwar vernünftig, aber im Vergleich zu besonders angesagten Investments natürlich auch ziemlich dröge klingt.
Damit kann man nur schwer vor seinen Freunden und Kollegen angeben. Das ist nicht so sexy, wie der spektakuläre Turnaround einer Aktie, mit der man mal eben seinen Einsatz sprunghaft gesteigert hat. Vor allem ist es langweilig.
Und mit Langeweile können wir nur ganz schwer umgehen. Sie schmerzt uns regelrecht.
Vor ein paar Jahren haben Psychologen die Langeweile genauer untersucht.
Und zwar unternahm sie ein Experiment, wobei die Probanden in einen Raum gebracht wurden. Der Raum war leer, bis auf einen Stuhl und einen Tisch mit einem Knopf.
Die Teilnehmer wurden gebeten sich zu setzen und sie wurden darüber aufgeklärt, dass ihnen bei Betätigung des Knopfes ein elektrischer Schlag versetzt wird.
Der Knopf wurde einmal zur Übung gedrückt. Daraufhin gaben die Probanden an, dass der Schock in der Tat unangenehm gewesen sei und dass sie Geld bezahlen würden, um nicht noch einmal geschockt zu werden.
Anschließend sollten sie zehn bis zwanzig Minuten lang allein im Raum sitzen – ohne Handy, Uhren oder sonstige Gegenstände, mit denen man sich ablenken kann. Nur die Probanden alleine mit ihren Gedanken.
Es gab nur zwei Regeln: Sie durften den Stuhl nicht verlassen und sie durften nicht einschlafen. Aber den Knopf dürften sie drücken, falls sie doch noch einmal einen Elektroschock erhalten wollen.
Man ahnt es bereits:
Das Ergebnis verblüffte, als 70% der Männer und immerhin 25% der Frauen in den 10-20 Minuten den Knopf betätigten, um sich einem Stromstoß auszusetzen, anstatt einfach nur dazusitzen und sich mit ihren Gedanken zu beschäftigen.
Warum das so ist, vermag ich nicht zu erklären. Aber ich finde es schon erstaunlich, dass es uns so schwer fällt, einfach nur dazusitzen und dass wir es sogar vorziehen, uns Schmerzen zuzuführen.
Das ist eine etwas philosophische Betrachtung, aber man könnte durchaus die Frage stellen, wie viel Kontrolle wir über uns selbst eigentlich haben, wenn wir keine 10 Minuten ohne Beschäftigung still sitzen bleiben können.
Der Mensch sehnt sich nach Action und Abenteuer.
Und das gilt natürlich auch für die Börse. Da geht es fünf Tage die Woche richtig zur Sache, Aktien werden gehandelt, Kurse gehen rauf und runter.
Das ist per se alles andere als langweilig. Und der Handel zum Nulltarif oder lustig blinkende Trading-Apps befeuern den Adrenalin-Kick zusätzlich.
Bereits im Jahr 1654 schrieb der Philosoph Blaise Pascal:
„Alle Probleme der Menschheit rühren von der Unfähigkeit des Menschen her, allein in einem Raum still zu sitzen.“
Auf die Geldanlage angewendet bedeutet das: Langeweile ist beim Investieren eine Tugend. Das gilt für den erwähnten ETF-Sparplan, aber ebenso für einige der erfolgreichsten Investoren, die aktiv investieren.
Nochmal zur Erinnerung Folge 19 über das wichtigste Wort an der Börse: Charlie Munger propagiert, nur sehr wenig aktiv zu sein und die meiste Zeit einfach nur abzuwarten und ruhig auf seinem Hintern sitzen zu bleiben.
Er nennt das “Sit on your ass investing”.
Und mit Blick auf Blaise Pascal ist Munger der Meinung, “dass das Warten Dir als Investor hilft, und viele Leute es einfach nicht ertragen können, zu warten.“
Wenn man das weiterdenkt, dann sind Investoren im Vorteil, die Langeweile aushalten und die sich für Abwarten entscheiden. Und man kann auch argumentieren, dass Langeweile ein wirklicher Wettbewerbsvorteil für langfristig orientierte Anleger ist.
In den Börsennachrichten kann man es jeden Tag verfolgen: Unternehmen A steht vor einem bahnbrechenden Durchbruch, Unternehmen B hat im letzten Quartal nicht so gut abgeschnitten, wie erwartet. Das ist alles wahnsinnig aufregend.
Und wenn wir uns dieser Aufregung hingeben, dann neigen wir zum Handeln. Und nicht selten, schaden wir damit unserem finanziellen Ergebnis.
Viele Anleger neigen dazu, Quartalsergebnissen, eine übermäßig hohe Bedeutung beizumessen und danach zu handeln.
Viele Anleger überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten, ihr Verständnis des Marktes oder ihr Wissen über eine Aktie.
Ein Beispiel ist Market Timing, über das ich schon öfters gesprochen habe. Das meint den Versuch, die Entwicklung von Börsenkursen zu antizipieren und entsprechend zu handeln. Das funktioniert vielleicht 1-2 mal, aber nicht auf Dauer.
Ein anderes Beispiel ist “Averaging Down”, das hatte ich in Folge 10 über Verlustaversion angesprochen. Wenn man bei sinkenden Kursen nachkauft, dann sinkt der durchschnittliche Kaufpreis dieser Aktie im eigenen Depot. Und viele Anleger kaufen eine Aktie nach, wenn ihr Kurs gesunken ist.
Da kann es sein, dass man sich mit dem insgesamt sinkenden Einstiegspreis selbst belügt. Und wenn die Aktie noch weiter sinkt, dann multiplizieren sich die Verluste. Also, so wie sich Menschen, die mit ihren Gedanken alleine sind, mit Stromstößen malträtieren, so verletzen sich viele Anleger selbst, statt sich dem Nichtstun hinzugeben.
Warren Buffett hat sinngemäß gesagt, dass beim Investieren nicht derjenige mit einem IQ von 160 über jemanden mit einem IQ von 130 triumphiert.
Es geht nicht darum, besonders schlau zu sein oder eine besonders ausgefuchste Investment-Strategie zu haben. Für erfolgreiches Investieren geht es vielfach um unser Verhalten und darum, dass sich das Geld über einen langen Zeitraum vermehren kann, Stichwort Folge 11 über die wunderbare Kraft des Zinseszins.
Doch viele Anlegerinnen und Anleger fühlen sich von vermeintlich besonders schlauen und aufregenden Investitionsmöglichkeiten geradezu magisch angezogen. Seien es komplizierte Optionsscheine, die neueste Kryptowährung oder die Aktie eines besonders innovativen Unternehmens.
Und ich finde es auch spannend, mich mit solchen Themen zu beschäftigen und das ist natürlich viel aufregender, als einmal einen Sparplan aufzusetzen und monatlich in einen ETF zu investieren.
Oft sind die aufregenden Investments mit hohen Kosten, mit einer hohen Volatilität und mit einem hohen Risiko verbunden. Die Wahrscheinlichkeit ist also hoch, dass ich mit solchen Investments eine eher unterdurchschnittliche Rendite erziele.
Ein langfristig ausgelegtes und breitgestreutes Portfolio hingegen ist sehr preisgünstig, kommt eher solide daher und hat historisch betrachtet eine ordentliche Rendite erwirtschaftet.
Und darum geht es: Ich investiere ja nicht, um eine besonders aufregende Zeit zu haben, sondern um langfristig ein Vermögen aufzubauen, ergo eine gute Rendite einzufahren.
Zudem können diese aufregenden Investments a) sehr kompliziert sein und b) außerhalb meines Circle of Competence liegen, vielleicht sogar, ohne dass mir das bewusst ist. Weitere Details zum Circle of Competence kannst Du nochmal in Folge 17 nachhören.
Abschließend lässt sich sagen:
Ein stoisches Anlageverhalten, mit einem breitgestreuten und kostengünstigen Portfolio, mit regelmäßigen Einzahlungen und einem langfristigen Zeithorizont wie zum Beispiel in Folge 1 über die ersten Schritte der Geldanlage dargelegt, das kommt vielen Menschen auch deswegen gelegen, weil es so einfach ist.
Einmal aufgesetzt, erfordert es nicht viel Zeit. Ein eher aufregender Anlagestil hingegen kann ein Vollzeitjob sein.
Falls Du Dich eher in der Gruppe der Aktien-Abenteurer verortest, dann musst Du dem Abenteuer ja auch nicht komplett entsagen.
Vielleicht wäre eine Möglichkeit, dass Du Dein Portfolio aufteilst. Du könntest den Großteil Deiner Ersparnisse eher konservativ bzw. langweilig anlegen. Und einen kleinen Teil nutzt Du eher als Spielgeld, also vielleicht um ein paar Einzelaktien zu kaufen oder auch mit anderen Anlageformen zu experimentieren. Vielleicht erzielst Du mit Deinem Experimentiergeld eine gute Rendite. Es kann aber auch passieren, dass Du hier hohe Verlust einfährst.
Und wenn der Großteil Deines Geldes eher langweilig angelegt ist, dann ist der Verlust vielleicht ärgerlich, er bricht Dir aber nicht finanziell das Genick.
Langfristiger Vermögensaufbau verlangt nicht nur nach einer guten Rendite, sondern auch, dass man überlebt
Also, dass man sein Vermögen nicht übermäßig ins Risiko stellt, wie in Folge 21 über die Kunst ein Vermögen zu erhalten dargelegt.
Warren Buffett hat gesagt, dass am Aktienmarkt Geld von den Ungeduldigen zu den Geduldigen transferiert wird.
Und der Investor Mohnish Pabrai ist der Meinung, dass die wichtigste Fähigkeit eines guten Anlegers ist, sich damit zufrieden zu geben, über längere Zeiträume nichts zu tun. Dazu passt eine klassische Übung im Buddhismus: einfach nur still verharren und an nichts denken.
Wir neigen dazu, immer an Zukünftiges oder Vergangenes zu denken, nicht einfach nur im Hier und Jetzt sein zu können. Das betrifft ebenfalls unseren Umgang mit Investments und daraus resultiert oft ein ungesunder Aktionismus.
Und in diesem Sinne könnte man auch beim Investieren die Kraft der Ruhe, des Nichtstuns beherzigen.
Ein Hoch auf die Langeweile.
PS: Das Titelbild ist in Kolumbien entstanden.