Wie funktioniert Vermögensaufbau ohne Erbe und hohes Gehalt? Dazu stelle ich in der heutigen Ausgabe die Geschichten von Ronald Read und Edward Avedisian vor, die aus einfachen Verhältnissen kommend, ordentliche Vermögen aufgebaut haben.
Um es gleich vorweg zu sagen: Die Lebensgeschichten von Read und Avedisian lassen sich nur bedingt auf uns als Anlegerinnen und Anleger übertragen. Und möglicherweise wirst Du nach dem Lesen bzw. Hören denken, dass die konkreten Anknüpfungspunkte für Dich und für Dein Leben überschaubar sind.
Aber das Leben schreibt ja bekanntlich die besten Geschichten. Und die Geschichten von Read und Avedisian sind sicherlich etwas extrem, aber wie ich finde auch sehr inspirierend. Und sie zeigen besonders eindrucksvoll, dass Vermögensaufbau langfristig möglich ist, auch wenn man nicht viel geerbt oder einen hochbezahlten Job hat.
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Im Jahr 2015 gab es eine große Überraschung in der amerikanischen Kleinstadt Brattleboro, als der kürzlich verstorbenene Einwohner Ronald Read dem örtlichen Krankenhaus und der Bücherei ein Vermögen von stolzen 5 Millionen Dollar vermachte.
Diese Spende kam insofern unerwartet, als dass Ronald Read zuvor nicht als spendabler Wohltäter oder überhaupt als wohlhabender Bürger in Erscheinung getreten war. Von außen betrachtet, war Read ein einfacher Mann. Er war der Erste in seiner Familie, der die High School abschloss. Anschließend arbeitete er in einer Tankstelle.
Als er dann in Rente ging, also kein Tankwart mehr war, da arbeitete er weiter als Hausmeister beim Handelsunternehmen JC Penney. Also auch dies eine Tätigkeit, bei der man finanziell betrachtet keine allzu großen Sprünge macht. So waren auch seine Freunde einigermaßen geschockt, als sie erfuhren, dass Read ein Vermögen von knapp 8 Millionen Dollar hinterließ.
Da stellt sich natürlich die Frage: Wie hat dieser Mann aus einfachen Verhältnissen den Vermögensaufbau geschafft?
Zunächst lässt sich festhalten, dass sich Read auf Aktien konzentrierte. Zum Zeitpunkt seines Todes besaß Read um die 95 verschiedenen Aktien aus unterschiedlichen Branchen, von denen er viele jahrelang, wenn nicht Jahrzehnte hielt. Er handelte also nicht wild mit Wertpapieren, sondern er besaß einen wirklich langen Atem und Geduld, sodass der Zinseszins über Jahrzehnte für ihn arbeiten konnte. 95 Aktien wiederum, das ist eine wirklich hohe Anzahl. Ich persönlich würde mir nicht zutrauen, all diese Wertpapiere im Blick zu behalten. Ich würde zum Kauf von ETFs tendieren und eher einzelne Aktien beimischen, aber für Read hat es funktioniert.
Weggefährten berichten, dass er Aktien von Unternehmen kaufte, die ihm bekannt waren, die er meinte zu verstehen und die vorzugsweise hohe Dividenden zahlten, die er dann reinvestierte. Technologie-Aktien wiederum, die kaufte er nicht. Und klar, er lag auch mal mit einer Aktie daneben, aber insgesamt hatte er trotz seiner eher durchschnittlichen formalen Bildung ein glückliches Händchen bei der Auswahl der Aktien, in die er investierte.
Das lag mit Sicherheit auch daran, dass Read ein sehr interessierter Mensch war, der sich fortwährend weiterbildete. Er las viel und informierte sich über Wirtschaftsthemen und über spezifische Unternehmen. Auch das ist ein Phänomen, das uns in diesem Podcast bzw. Newsletter und wenn wir uns mit Geldanlage und Vermögensaufbau beschäftigen, immer wieder begegnet: Erfolgreiche Investoren sind sehr oft interessierte Menschen mit einem regelrechten Wissenshunger, die die Unternehmen, in die sie investieren, aber auch die Welt insgesamt, verstehen möchten.
Vor allem war Read ein bescheidener und sparsamer Mensch, der nicht über seine Verhältnisse lebte und der mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, sehr gut wirtschaftete.
Trotz seines zumindest in höherem Alter stolzen Vermögens fuhr er einen alten Gebrauchtwagen und er parkte lieber etwas weiter weg und nahm einen Spaziergang in Kauf, als freiwillig ein Parkticket zu lösen. Es sind auch etwas seltsam anmutende Marotten von Read überliefert, wie dass er seinen alten Mantel mit Sicherheitsnadeln verschloss. Aber er war wohl kein Geizhals, der sich nichts im Leben gönnte.
In der Ausgabe über die ersten Schritte der Geldanlage sprach ich über Alltagsausgaben wie den täglichen Bäckerbesuch, den sich manche mit Blick auf die monatlichen Ausgaben lieber sparen. Read jedenfalls gönnte sich diesen kleinen Luxus, er pflegte in der Caféteria des örtlichen Krankenhauses zu frühstücken.
Aber insgesamt war er ein wirklich sparsamer Mensch. Er ging wenig in Restaurants essen und hatte keine aufwändigen Hobbies wie zum Beispiel Golf spielen, sondern er vertrieb sich die Zeit lieber mit Holz hacken, wobei er ebenfalls Heizkosten sparte.
Eine meiner Meinung nach zentrale Erkenntnis, die wir von Ronald Read mitnehmen können ist: Du musst weniger ausgeben als Du verdienst. Das klingt so banal, so selbstverständlich, machen viele trotzdem nicht.
Natürlich variieren Lebensumstände und manche kämpfen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Aber ich finde es sehr inspirierend, was Read mit seinen bescheidenen Mitteln erreicht hat. Man kann sagen, dass es zwei Arten von Reichtum gibt – nämlich einerseits viel Geld zu haben und andererseits nicht viel zu benötigen. Und Read hat beide Disziplinen mit Bravour gemeistert.
Die Geschichte von Ronald Reads Vermögensaufbau ist nicht nur eindrucksvoll, sie ist auch kein Einzelfall.
Auch Avedisian entstammt einfachen Verhältnissen. Seine Eltern waren armenische Einwanderer und die fünf Kinder wuchsen in relativer Armut auf. Während seiner Berufszeit war Avedisian ein etablierter Vertreter der Klarinettenspieler-Zunft und er hat bestimmt auch ein höheres Einkommen als Ronald Read erzielt.
Eine Spende von 100 Millionen Dollar ist gleichwohl eine Ansage und insgesamt kommt der 85-jährige, der nie in den Genuss einer finanziellen Ausbildung gekommen ist, auf ein Vermögen von knapp 200 Millionen Dollar. Ein dreistelliges Millionenvermögen mit einem Mittelstandseinkommen zu generieren ist in jedem Fall spektakulär und im Regelfall wohl eher unrealistisch.
Wie auch bei Read ist eine essentielle Zutat für den finanziellen Erfolg von Avedisian ein einfaches Leben zu führen und viel zu sparen. Er hatte keine Schulden und er steckte alles, was er sparen konnte, in die Börsenmärkte.
Er ist ebenfalls ein sehr interessierter Mensch, der viel liest und seine Investments fokussierte er ebenfalls auf Unternehmen, die er verstand. Technologieunternehmen waren eine tragende Säule in seinem Portfolio – von Aktien aus dem Gesundheitswesen wiederum ließ er die Finger. Und er blieb sehr lange dabei und bewies einen langen Atem.
Als Microsoft 1986 an die Börse ging, war Avedisian als einer der ersten Investoren dabei. Über die nächsten drei Jahrzehnte ist der Aktienkurs des Unternehmens um einen Faktor von ca. 2.400 gestiegen. In einem Interview erklärte Avedisian, dass er gar nicht erst versuche, den Markt zu timen, also den richtigen Zeitpunkt zum Kaufen bzw. Verkaufen einer Aktie abzupassen. Er setzte auf den langfristigen Erfolg und Turbulenzen an den Märkten saß er einfach aus.
Anders als Read hatte Avedisian ein sehr konzentriertes Portfolio mit vergleichsweise wenigen Positionen.
Zu manchen Zeiten hielt er weniger als 12 unterschiedliche Aktien.
Dazu ist aber auch festzuhalten: das ist nicht ohne! Ein konzentriertes Portfolio mit nur wenigen Aktien, die über einen langen Zeitraum den Markt outperformen – das kann wie im Fall von Avedisian richtig abgehen – wenn es denn die richtigen Aktien enthält. Das muss man sich halt zutrauen und viele Anleger werden mit dieser Methode eher nicht erfolgreich sein.
Zudem nutzte er aggressive Taktiken, die nicht für jedermann ratsam sind. Er kaufte zum Beispiel Aktien auf Kredit, was ich persönlich niemals machen würde.
Charlie Munger hat hierzu eine gewohnt launische Einschätzung. Er meint:
“There is only three ways a smart person can go broke: liquor, ladies and leverage”
Also zu deutsch. Es gibt nur drei Wege, wie eine smarte Person pleitegehen kann, nämlich mit Schnaps, Frauen und Schulden. Wobei er hinzufügte, dass er liquor und ladies, also Schnaps und Frauen, nur der einprägsamen Alliteration wegen aufzählte.
Avedisian ist sich des Risikos bewusst und er macht auch deutlich, dass er dieses Vorgehen ausdrücklich nicht zur Nachahmung empfiehlt. Er sei hohe Wetten eingegangen, habe dadurch viel gewonnen, aber er hätte auch verlieren können. Für ihn sei das in Ordnung gewesen, da er keine Verpflichtungen hatte. Jemand, der eine Familie versorgt oder ein Haus abbezahlt, sollte seiner Meinung nach gleichwohl die Finger davon lassen.
Zwei Lebensgeschichten, die zwar extrem sind, aber beispielhaft die Möglichkeiten für langfristigen Vermögensaufbau zeigen.
Zwei unterschiedliche Herangehensweisen und im Fall von Avedisian auch manches, was die meisten zu Hause besser nicht nachahmen sollten. Und Avedisian sagte selbst, dass wenn er es nochmal machen würde, dann würde er vermutlich nicht nur sein letztes Hemd verlieren, sondern auch seine Schuhe und seine Socken. Vermutlich haben beide auch extreme und sehr spartanische Leben geführt und ohne finanzielle Verpflichtungen gegenüber anderen Menschen.
Das meine ich völlig wertfrei, aber ich möchte nicht nahelegen, dass Du Dir jetzt Read und Avedisian zum Vorbild nehmen solltest und ihr Leben 1:1 nachahmst. Die Quintessenz dieser Folge ist: Du musst nicht geerbt oder einen hochbezahlten Job haben, um langfristigen Vermögensaufbau zu betreiben. Und Du kannst Dich von manchen Dingen inspirieren lassen, die sie getan haben.
Erstens: Ein sparsamer und ein genügsamer Lebensstil und eine hohe Sparquote.
Bei aller Sparsamkeit solltest Du Dich aber nicht verrückt machen. Ein bescheidener Lebensstil ist empfehlenswert, aber Vermögensaufbau sollte keine Selbstkasteiung sein und das Leben will genossen werden. Wie in der Ausgabe über die ersten Schritte der Geldanlage bereits besprochen, triffst Du für Dich Entscheidungen. Was ist Dir wichtig? Aber auch was kannst Du für Dich realistisch umsetzen?
Wenn Du gerne verreist, dann solltest Du entsprechend Budget dafür vorhalten. Wenn Du Dir den morgendlichen Bäckerbesuch verkneifst, dann kann das eingesparte Geld aufs Jahr gerechnet auch den Ausgaben eines Urlaubs entsprechen. Und wenn Du wie Read gerne auswärts frühstücken gehst, dann ist das auch in Ordnung.
Du musst auch nicht so sehr unter Deinen finanziellen Möglichkeiten leben, wie er es getan hat. Aber wenn Deine Priorität der Vermögensaufbau ist, dann bist Du gut beraten, Deine monatliche Sparquote hoch anzusetzen.
Zweitens: Beide haben auf Aktien gesetzt.
Aktien sind historisch betrachtet und über einen langfristigen Zeithorizont eine der am besten performenden Anlageklassen. Avedisian setzte auf ein konzentriertes Aktien-Portfolio, das eher für Fortgeschrittene ratsam ist. Read hatte ein breitgestreutes Portfolio, das heutzutage auch gut mit ETFs abgebildet werden kann.
Drittens: Beide waren Autodidakten. Und ganz wichtig: sie machten ihre Hausaufgaben.
Auch Du kannst in Einzelaktien investieren, wenn Du Dir das zutraust und Du eben auch Deine Hausaufgaben machst. Oder aber Du fokussierst einen großen Teil Deines Portfolios auf zum Beispiel ETFs, die breite Marktsegmente abdecken.
Und ETFs sind im Vergleich zur Auswahl von Einzelaktien kein fauler Kompromiss. Tatsächlich schaffen es selbst die meisten Anlageprofis nicht, über einen langen Zeitraum und nach Kosten besser zu performen als der Markt.
Der Erfolg von Avedisian und Read zeigt, dass man keinen professionellen Investment-Hintergrund haben muss, um erfolgreich Vermögensaufbau zu betreiben. Die großen Investmenthäuser beschäftigen Armeen von Portfolio Managern und haben ausgefuchste Analyse-Programme. Aber Geschichten wie die von Avedisian und Read zeigen eindrucksvoll, dass man auch als Normalo langfristig erfolgreich sein kann.
Damit sind wir bei viertens: Vermögensaufbau benötigt Zeit.
Je eher Du anfängst zu sparen und zu investieren und je länger Du dabei bleibst, desto besser. Beide hatten Geduld und einen sehr langfristigen Investmentfokus, mit dem sie von der Kraft des Zinseszins profitieren konnten.
Zur Wahrheit gehört ebenfalls, dass beide bis ins hohe Alter gearbeitet haben. Read ging als Tankwart in Rente und hat dann noch bis zu seinem 76. Lebensjahr weiter als Hausmeister gearbeitet. Er hat also weiter angespart und sein Vermögen weiter ausgebaut. Und da greift dann insbesondere in späten Jahren der Zinseszins mit seiner vollen Durchschlagskraft.
Read ist schon ein paar Jahre tot. Avedisian ist schwer krank und er hat aufgehört zu investieren. Aber auch wenn die Märkte im Jahr 2022 kräftig durchgeschüttelt wurden, bewahrt er seinen Optimismus. Er sagt, dass er noch nie so zuversichtlich in die Zukunft geblickt hat und er beneide alle, die jetzt erst anfangen zu investieren. Er sagt:
“It’s a fabolous time to get started, look at what we’re doing with energy, climate, everything. Stuff is going to explode.”
Das ist diese herrliche amerikanische Zuversicht, dass uns trotz globaler Herausforderungen dank neuer Technologien und Unternehmergeist hervorragende Zeiten bevorstehen. Und das finde ich, ist ein schönes Schlusswort zu dieser Ausgabe.
Das Titelbild habe ich auf Zypern fotografiert.