Warum Wahrscheinlichkeiten der Investoren Liebling sind

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Denken in Wahrscheinlichkeiten, Wahrscheinlichkeitsdenken oder auch Probabilistic Thinking ist ein sogenanntes Mental Model. Was ist das überhaupt, ein Mental Model?

Die Realität in all ihren Facetten und Details ist sehr komplex. Zu komplex, als dass wir sie wirklich verstehen können. Mental Models sind Denkkonzepte, Grundprinzipien, die wir auf verschiedene Situationen und Sachverhalte anwenden können. Und mit einem entsprechend großen Repertoire an Mental Models können wir die zugrundeliegenden Kräfte und Phänomene einer Situation oder eines Sachverhaltes besser verstehen.

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Probabilistic Thinking oder auch Denken in Wahrscheinlichkeiten ermöglicht es uns, gerade bei komplexen Fragestellungen wahrscheinliche Ergebnisse zu antizipieren und somit unsere Entscheidungen zu verbessern.

Indem wir in Wahrscheinlichkeiten denken, können wir aber auch die Welt um uns herum und die Informationen, die uns erreichen, besser einordnen.

Ein Beispiel ist der bayessche Wahrscheinlichkeitsbegriff.

Der besagt, dass wir zwar limitierte, aber durchaus nützliche Informationen besitzen, um die Welt um uns zu verstehen. Gleichzeitig sind wir fortwährend neuen Informationen ausgesetzt.

Die Idee ist, dass wir unser bestehendes Wissen oder auch unsere Grundannahmen so oft wie möglich einfließen lassen sollten, um eben diese neuen Informationen zu bewerten und einzuordnen bzw. um dann Entscheidungen zu treffen.

Um das einmal zu veranschaulichen: Der Autor Shane Parrish nennt als Beispiel eine Zeitungsschlagzeile wie “die Anzahl der Messerangriffe hat sich verdoppelt”. Diese Information könnte uns sorgen, da die Wahrscheinlichkeit, dass wir Opfer eines Messerangriffs werden, faktisch gestiegen ist.

Wenn wir diese neue Information aber in Bezug zu unserem bestehenden Wissen setzen, dann erkennen wir vielleicht, dass die Wahrscheinlichkeit eines Messerangriffs zuvor bei bspw. 1 in 10.000 bzw. 0,01% lag und sich nun auf 0,02% verdoppelt hat.

Also die Schlagzeile wirkt bedrohlich, doch im Kontext der Basisrate von 0,01% wird sie merklich relativiert und unser Risiko, Opfer eines solchen Angriffs zu werden, ist trotz der augenscheinlichen Verdopplung immer noch äußerst überschaubar.

Ähnlich eine Nachricht wie “der DAX stürzt 3% ab”. Die ist für sich genommen, also ohne Basisrate, nur bedingt sinnvoll. Vielleicht ist der DAX vorher stark gestiegen und das war eine überfällige Korrektur.

Warum solltest Du als Investorin bzw. als Investor Dich mit dem Mental Model des Probabilistic Thinking beschäftigen?

Die Zukunft ist ungewiss und das stellt für uns Menschen ein Problem dar. Wir können nur schwer damit umgehen, im Ungewissen zu handeln.

Der Psychologe Philipp Tetlock erklärt, dass die Arbeit mit Wahrscheinlichkeiten eine recht junge Disziplin ist, die erst im 18. Jahrhundert zur Anwendung kam. Bis dahin haben wir die Realität als wie sie ist wahrgenommen und keine alternativen Perspektiven eingenommen.

Also wenn Menschen vor langer Zeit einen sich bewegenden Schatten im Gras gesehen haben, dann war die naheliegende Frage: ist das ein Löwe? Die Antwort hatte klar zu sein, ja oder nein. Eine dritte Antwort wäre “vielleicht”. Und das bestimmt dann die Reaktion: ja = lauf weg, vielleicht = sei wachsam, nein = entspann dich. Eine Abwägung, ob das mit 60 oder 80%iger Wahrscheinlichkeit ein Löwe ist, wäre in diesem Moment ohne Mehrwert bzw. ein zu langes Überlegen könnte tödlich sein.

Unsere Vorfahren waren zahlreichen Gefahren ausgesetzt. Sie konnten aber nicht in einem ständigen Modus der Wachsamkeit sein. Und im Ergebnis wurde dann nicht groß differenziert und abgewogen, sondern reagiert. Löwe, ja oder nein.

Auch wir als Anlegerinnen und Anleger wollen klare Antworten. Da hilft das Denken in Wahrscheinlichkeiten.

Doch wenn wir finanzielle Entscheidungen treffen müssen, sind wir andauernd mit Möglichkeiten konfrontiert, deren Ergebnis wir nicht kennen und wo die Antwort eben nicht eindeutig ist. Diese Unsicherheit können wir nicht loswerden. Es ist nicht möglich, alles zu wissen und zu kontrollieren. Wir können aber mit der Unsicherheit umgehen. Und dabei hilft uns das Denken in Wahrscheinlichkeiten.

Ein anschauliches Beispiel für Probabilistic Thinking in der Anwendung sind Versicherungen. Die sind die Meister dieser Disziplin.

Damit eine Versicherung als Geschäft funktioniert, muss die Summe der von den Versicherungsnehmern gezahlten Beiträge höher sein als die Ausschüttungen bei Schadensfällen. Und für die Versicherung ist eine zentrale Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Schadensfall eintritt. Also bei einer Lebensversicherung die Wahrscheinlichkeit, dass der Versicherte in einem bestimmten Alter verstirbt, bei einer Autoversicherung die Wahrscheinlichkeit eines Autounfalls usw.

Jetzt können Versicherungen auch nicht die Zukunft voraussehen. Aber sie können die wichtigen Faktoren für bestimmte Ereignisse und Schadensfälle identifizieren und deren Eintrittswahrscheinlichkeit ableiten. Und das lässt sich über eine ausreichend große Population ziemlich gut abschätzen, sodass die Versicherung dann den notwendigen Preis für die Versicherungsprämie berechnen kann.

Und bei finanziellen Entscheidungen kann man ähnlich vorgehen, indem über die Eintrittswahrscheinlichkeiten der Erwartungswert oder auf Englisch Expected Value errechnet wird.

Das Denken in Wahrscheinlichkeiten hilft Dir, mögliche Ergebnisse oder Ereignisse zu antizipieren.

Probabilistic Thinking ist ein Werkzeug, das Dich beurteilen lässt, wie die Dinge sich wahrscheinlich entwickeln werden, sodass Du entsprechend klug handeln kannst. Doch jede Prognose ist immer nur so gut wie ihr Input. Und da lauern Fehler. Denn natürlich bleibt die Zukunft ungewiss.

Wenn Du Berechnungen und Überlegungen anstellst, dann beruhen diese stark auf Deinen Annahmen. Doch die können falsch falsch sein und sollten von Dir entsprechend hinterfragt werden. Du solltest Dich mit der Tatsache anfreunden, dass Du mit Deinen Einschätzungen auch oft danebenliegst. Diese Unsicherheit anzuerkennen, ist Bestandteil von Probabilistic Thinking.

Du solltest versuchen Zuversicht zu gewinnen, indem Du Dich mit den möglichen Ergebnissen beschäftigst und diese verstehst, während Du gleichzeitig akzeptierst, dass Du niemals alle Fakten kennst, dass Du komplett falsch liegen kannst und dass es keine Garantie auf ein bestimmtes Ergebnis gibt.

Entscheidungsfindung ist ein analytischer Prozess mit vielen subjektiven Annahmen. Unsere Entscheidung reflektiert sowohl die Analyse als auch unseren Instinkt, unsere Erfahrungen und unser Bauchgefühl. Also wir müssen anerkennen, dass wir gar nicht so schlau und allwissend sind, wie wir vielleicht manchmal denken, sondern dass die Realität ungemein komplex ist.

Wenn Du in Wahrscheinlichkeiten denkst, dann solltest Du Dir auch Fragen stellen wie “was könnte sonst passieren?” oder “was ist wenn ich falsch liege?”

Es gilt das gesamte Bild mit allen Möglichkeiten, alle Wahrscheinlichkeiten im Auge zu haben, anstatt anzunehmen, dass alles wie geplant läuft. Es hilft nicht, wenn Du Fakten ignorierst und Du solltest Dich darauf einstellen, dass Du von unerwarteten Ereignissen überrascht wirst.

Die Psychologin und professionelle Pokerspielerin Annie Duke weist außerdem darauf hin, dass wenn man die möglichen Ergebnisse definiert hat und daraufhin eine Entscheidung trifft, dann kann man ein bestimmtes Ergebnis trotzdem nicht garantieren.

Das ist wie mit der Wettervorhersage: Wenn die besagt, dass es mit 70% Wahrscheinlichkeit nicht regnen wird, dann heißt das auch, dass die Regenwahrscheinlichkeit bei 30% liegt. Und wenn es dann regnet, dann heißt das somit nicht unbedingt, dass die Vorhersage falsch war. Die Wahrscheinlichkeit für Regen lag halt bei 30%.

Umgekehrt belegt ein Erfolg nicht, dass eine Entscheidung richtig war. Das ist der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität. Daniel Kahneman hat festgestellt, dass eine bescheuerte Entscheidung, die zu einem guten Ergebnis geführt hat, von uns im Rückblick fälschlich als eine brillante Entscheidung gewertet werden kann.

Weitere typische Fehler sind, dass man nicht alle relevanten Szenarien erfasst oder dass man nicht jedem Szenario oder Ergebnis eine adäquate Eintrittswahrscheinlichkeit zuweist bzw. dass man zu optimistisch in seiner Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit von positiven Ergebnissen ist.

Wir Menschen neigen dazu, Eintrittswahrscheinlichkeiten massiv überzubewerten. Ansonsten würde wohl kaum jemand Lotto spielen. Es ist auch kein Geheimnis, dass die Wahrscheinlichkeit, über Nacht Reichtum aufzubauen, maximal gering ist. Trotzdem zocken Leute an der Börse, lassen sich unseriöse Versprechungen aufschwatzen oder glauben irgendwelchen Gurus, die Traumrenditen versprechen.

Ja, was kannst Du, was solltest Du als Anlegerin, als Anleger mit Blick auf Wahrscheinlichkeiten tun?

Grundsätzlich möchten wir mit Probabilistic Thinking die Eintrittswahrscheinlichkeit zukünftiger Ereignisse oder Ergebnisse vorhersagen.

Die meisten Menschen würden solche Eintrittswahrscheinlichkeiten mit “ja” oder “nein”, ggf. auch noch mit “vielleicht” einschätzen. Als Investoren möchten wir fundierter vorgehen und auch differenzierte Einschätzungen vornehmen.

Das menschliche Gehirn verlangt Sicherheit. Unsicherheit bereitet uns Angst. Absolute Sicherheit ist äußerst selten.

Doch wir sind äußerst anfällig für Versprechungen, die uns Sicherheit versprechen. Und wir neigen dazu, die Sicherheit und die feste Überzeugung unseres Gegenübers mit Richtigkeit gleichzusetzen. Also vertrauen wir Menschen, die von einem Sachverhalt überzeugt sind. Aber da Sicherheit kaum gegeben ist, besteht eine ungleich hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen mit ihrer Einschätzung falsch liegen.

Du solltest ebenfalls Deinen Level of Confidence, also die Sicherheit, mit der Du Annahmen triffst, ausdrücken.

Und dabei solltest Du es vermeiden, etwas als 100% gegeben einzustufen.

Hier greift ein weiteres Konzept, nämlich die sogenannte Sicherheitsmarge oder auf englisch Margin of Safety. Mit der Sicherheitsmarge erkennst Du an, dass Deine Einschätzungen tendenziell etwas zu optimistisch sein können und dass Du durchaus falsch liegen kannst. Mit der Sicherheitsmarge schaffst Du eine Fehlertoleranz. Das ist ein im Ingenieurwesen verbreitetes Prinzip. Wenn ein Ingenieur bspw. eine Brücke plant, die für 20 Tonnen Gewicht zugelassen ist. Dann wird er diese Brücke nicht für ein Maximalgewicht von 20 Tonnen planen, sondern vielleicht für 25 Tonnen.

Und auf das Investieren angewendet kann das z.B. bedeuten: Wenn Du davon ausgehst, dass eine Aktie 100 € wert ist, dann triffst Du Deine Entscheidungen dahingehend, dass die Aktie vielleicht nur 70 € wert ist. Also Du hast einen Sicherheitsmarge von 30%. Damit kompensierst Du, dass Du Dich irren kannst und manche Deiner Annahmen vielleicht zu positiv sind oder sich nicht bewahrheiten.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist:

Wenn Du einmal eine Einschätzung gemacht hast, dann solltest Du nicht verbissen daran festhalten. Stattdessen solltest Du offen sein für neue Entwicklungen oder weitere Informationen, die Du erfährst, um dann Deine Wahrscheinlichkeiten anzupassen.

Angenommen Du hast für eine Aktie eine bestimmte Investment-Hypothese. Also Du hast das Unternehmen, sein Wettbewerbsumfeld und die zukünftigen Aussichten analysiert. Und nun bist Du der Meinung, dass die Aktie hervorragende Aussichten hat. Dann erfährst Du neue Fakten, die eine nicht so rosige Perspektive erahnen lassen. Deine ursprüngliche Hypothese wackelt also. Dann solltest Du diese Fakten anerkennen und in Deine Überlegungen einfließen lassen. Das kann dann bedeuten, dass das, was Du gestern noch angenommen hast, heute widerlegt ist oder Dein Level of Confidence oder die Erfolgswahrscheinlichkeit sinken, sodass Du Deine Investment-Entscheidung revidierst und die Aktie verkaufst.

Wenn Du investierst, dann spielst Du nicht Lotto. Sondern dann gehst Du Geschäfte ein, bei denen Du eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit sehen willst. Und klar, es kann immer anders kommen als gedacht oder unvorhergesehene Ereignisse passieren. Dann musst Du einen klaren Kopf bewahren und Dir selbst eingestehen, wenn sich die Chancen und Risiken verschieben.

Abschließend lässt sich über Wahrscheinlichkeitsdenken festhalten:

Wahrscheinlichkeiten sind überall zu finden, wenn wir nur genau hingucken. Und das Denken in Wahrscheinlichkeiten solltest Du einerseits anwenden, wenn konkrete Entscheidungen anstehen. Denn die Zukunft ist nunmal unsicher.

Du solltest ebenfalls eine Probability Awareness haben, also ein Grundverständnis, dass uns Wahrscheinlichkeiten überall im Leben begegnen. Du solltest also das Mindset, die Angewohnheit entwickeln, die uns umgebenden Wahrscheinlichkeiten automatisch in Deinem Denken zu berücksichtigen.

Wenn Entscheidungen anstehen, z.B. ob Du in ein bestimmtes Unternehmen investierst, dann solltest Du den möglichen Ergebnissen Wahrscheinlichkeiten zuordnen. Du solltest aber ebenso offen für neue Informationen sein und Deine Überlegungen kontinuierlich challengen und Deine Einschätzungen und Deine Entscheidungen gegebenenfalls anpassen.

Der Ökonom und Investor John Maynard Keynes soll hierzu den berühmten Satz gesagt haben:

“When the facts change, I change my mind – what do you do, sir?”

Also zu deutsch: Wenn sich die Fakten ändern, dann ändere ich meine Meinung – was würdest Du tun?

Das Titelbild ist ich an der Costa del Sol in Andalusien entstanden.

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