Wie Verlustaversion Deinen Finanzen schadet

Vermögensaufbau Podcast

Der Begriff Verlustaversion wurde von Daniel Kahneman und Amos Tversky Ende der 1970er Jahre geprägt und der beschreibt unsere Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne. Und wenig überraschend haben wir das Bedürfnis, den Schmerz eines Verlustes vermeiden zu wollen.

Das Thema Verlustaversion ist einerseits für uns als Verbraucher wichtig, weil Unternehmen es im Marketing gezielt einsetzen, um uns zu beeinflussen. Vor allem aber lässt sich Verlustaversion in Situationen beobachten, die von Risiko und Unsicherheit gekennzeichnet sind. Und somit hat sie einen großen Einfluss auf unsere Entscheidungen als Anleger. Und der Einfluss ist derart gravierend, dass Verlustaversion einer der Hauptgründe ist, warum Anleger schlechter performen als der Markt.

In der heutigen Ausgabe geht es zunächst darum, warum wir Verlustaversion verspüren. Ich werde dann darauf eingehen, wo uns dieses Phänomen als Verbraucher begegnet und im letzten Teil geht es dann um Verlustaversion im Kontext Geldanlage.

Hier geht’s zum Podcast:

Studien legen nahe, dass uns Verluste doppelt so hoch schmerzen wie uns Gewinne Freude bereiten. Und das lässt sich interessanterweise auch physiologisch belegen. So haben Verluste einen höheren Einfluss auf unseren Puls, die Pupillenerweiterung oder auch die Gehirnaktivität als es Gewinne haben.

Wir verarbeiten Verluste in der sogenannten Amygdala, auch Mandelkern genannt. Das ist der älteste Teil unseres Gehirns und der ist für unsere Emotionen mit verantwortlich. Der Mandelkern verursacht unsere “Kampf-oder-Flucht-Reaktion” und auch die Entstehung von Angstgefühlen. Er ist also der Teil unseres Gehirns, der uns sagt, ob wir im Angesicht eines Bären kämpfen oder wegrennen sollen, und er triggert uns auch, wenn finanzielle Verluste drohen. Es geht hier also um Urinstinkte. Und es ist schwer, sich dagegen zu stemmen, wenn Dein Gehirn Dir sagt, dass Gefahr droht.

Und Verlustaversion hat es als FOMO auch in den täglichen Sprachgebrauch geschafft. FOMO, oder auch Fear of Missing out, also die Angst, etwas zu verpassen. Wenn Du das kennst, dann bist Du damit nicht alleine. 70% der Millennials, also der Generation, die in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts geboren wurde, sollen regelmäßig dieses Gefühl erleiden.

Warum haben wir Verlustaversion? Warum schmerzen uns tatsächliche oder drohende Verluste doppelt so stark, wie uns Gewinne Freude bereiten?

Der Sozialpsychologe Robert Cialdini, der sieht die Gründe für unsere Verlustaversion evolutionsbedingt. Vor langer Zeit, als wir Jäger und Sammler waren und z.B. der Zugang zu Nahrungsmitteln nicht immer gesichert war, da war Verlustaversion eine äußerst hilfreiche Emotion, um unser Überleben sicherzustellen. Wenn Du genug Nahrung hast, um zu überleben, dann ist es nicht unbedingt hilfreich und sinnvoll, noch mehr Nahrungsmittel anzuhäufen. Umgekehrt kann es aber katastrophal sein, wenn Du Deine Vorräte verlierst oder jemand Dir Deine Mahlzeit wegnimmt.

Somit sind wir besonders sensibel dafür, Dinge, die wir besitzen oder bei denen wir den sicheren Zugang wähnen, nicht zu verlieren. Der Verlust schmerzt doppelt so stark wie der Zugewinn. Wir sind stärker motiviert von dem Gedanken, etwas zu verlieren, als etwas gleichwertiges zu erhalten.

Besonders eindrucksvoll lässt sich die Anwendung der Erkenntnisse über Verlustaversion im Marketing beobachten, um uns als Konsumenten zu beeinflussen.

Eine oft angewendete Taktik ist die künstliche Verknappung, z.B. bei Luxusgütern, die nur in begrenzter Stückzahl verfügbar sind oder auch sonst bei limitierten Editionen.

Ebenfalls mit Verlustaversion zusammenhängend ist der sogenannte Besitztumseffekt. Der bezeichnet ein Phänomen, wonach unsere Zahlungsbereitschaft beim Kauf und unsere Bereitschaft zum Verkauf für ein Gut sehr unterschiedlich ausfallen kann. Konkret ist unsere Zahlungsbereitschaft beim Kauf geringer als der Wert, den wir für eine Sache beim Verkauf akzeptieren würden. Wir bewerten Dinge höher, wenn sie sich in unserem Besitz befinden.

Oft werden auch Verkaufstaktiken angewendet, die an unsere Verlustaversion appellieren sollen.

Ein Beispiel: Am Ende eines Verkaufsgesprächs für einen Fernseher, der vielleicht auch noch im Sonderangebot ist, wird Dir offenbart, dass dies das letzte Stück ist. Du hast schon Zeit investiert. Du hast Dich mit dem Gedanken angefreundet, das Gerät vor Deiner Couch zu haben. Und so wird dann Druck aufgebaut, dass Du die Kaufentscheidung jetzt tätigst und nicht hinterfragst, eben weil Du befürchtest, diese Kaufgelegenheit zu verpassen. Ein anderes Beispiel ist der Handyverkäufer, der Dir sehr genau auflistet, welche Vorteile Du erhältst, wenn Du hier und jetzt den Vertrag abschließt. Und höchstwahrscheinlich sind da ein paar Vorteile bei, die er nur Dir anbietet und nur heute anbieten kann oder die nur kurzfristig verfügbar sind.

Sehr faszinierend ist Booking.com, die Plattform, über die man Reiseunterkünfte buchen kann. Die nutzen verschiedene psychologische Tricks, um Dich zu einer Kaufentscheidung zu bewegen. Bspw. gute Sachen werden Dir in grüner Schrift angezeigt. Das signalisiert Dir, hey, alles ok, keine Gefahr, du triffst die richtige Entscheidung. Das sind Mehrwerte wie die kostenlose Stornierung oder der Hinweis auf ein besonders schmackhaftes Frühstück in der Unterkunft.

Gleichzeitig appelliert Booking.com auch an Deine Verlustaversion. Schlechte Sachen, die werden Dir prominent in roter Schrift angezeigt. Zum Beispiel der Hinweis, dass ein Angebot begrenzt verfügbar ist, dass nur noch 2 Zimmer zu diesem großartigen Preis übrig sind und dass sich fünf weitere Nutzer in diesem Moment ebenfalls dieses Angebot ansehen. Das soll in Dir das Gefühl anregen, dass der Vorteil, der tolle Preis, dieses Zimmer in dieser äußerst beliebten Unterkunft, ja das was Dir gehören könnte, das drohst Du jetzt zu verpassen, wenn Du nicht zuschlägst und sofort buchst.

Verlustaversion bei Börse und Finanzen.

Nochmal zur Wiederholung: Verlustaversion ist die Neigung, Verluste doppelt so stark zu spüren wie Gewinne. Anders gesagt: Ein 10%iger Verlust Deiner Vermögenswerte schmerzt Dich doppelt so stark, wie ein 10%iger Gewinn Befriedigung erzeugt. Und als Anleger haben wir eine derart große Angst vor Verlusten, dass wir uns viel mehr darauf fokussieren, Verluste zu vermeiden, als Gewinne zu erzielen. Wir spielen nicht, um zu gewinnen, wir wollen nicht verlieren.

Und je mehr Verluste man erfährt, desto anfälliger wird man für Verlustaversion. Wir sehen z.B. während eines Börsenhypes, dass immer mehr Menschen an der Börse aktiv sind, teils waghalsige Sachen machen. Und dann im Abschwung, wenn die Kurse einknicken, sind diese Menschen wie traumatisiert, sodass sie der Börse sehr lange oder auch für immer fernbleiben.

Ein häufiger Indikator für Verlustaversion ist, dass Anleger in Finanzprodukte mit einer möglicherweise verlässlichen aber äußerst geringen Rendite investieren, in der vielleicht richtigen, vielleicht aber auch falschen Annahme, dass sie so Risiken minimieren. Der Klassiker sind hier Lebensversicherungen, Sparbücher oder auch Bundesschatzbriefe. Du spielst, um nicht zu verlieren, schließt somit aber aus, dass Du langfristig gewinnst, also höhere Renditen erzielst.

Die Steigerungsform sind Menschen, die all ihr Geld einfach nur auf der Bank liegen haben, wo es nur minimale bzw. Meist gar keine Rendite abwirft.

Mit Blick auf Verlustaversion bei Geldanlagen wie Aktien ist es wichtig, zwischen einem Invest in Einzelaktien und in breitgestreute Wertpapiere zu unterscheiden.

Die Handlungsempfehlungen können hier sehr unterschiedlich ausfallen.

Nehmen wir an, der Markt erfährt eine Korrektur, die sich gewaschen hat und die Kurse gehen steil bergab. Bei einem breitgestreuten Wertpapier wie z.B. einen ETF auf den MSCI World kannst Du – vorausgesetzt Du hast einen langen Zeithorizont – einen Rückgang der Kurse im Regelfall einfach aussitzen und auf bessere Zeiten warten. Bei Einzelaktien fällt die Antwort nicht so leicht aus. Da kann dieses Aussitzen ein großer Fehler sein,

Während der Markt insgesamt Schwankungen unterworfen ist und die Kurse sich historisch betrachtet langfristig erholen, kann der Kursrutsch bei einer Einzelaktie auch dauerhaft sein. Bei Einzelaktien musst Du somit im Einzelfall bewerten, ob der Kursrückgang einer Aktie nur temporär und nicht gerechtfertigt ist. Du musst also einschätzen können, ob die weitere Perspektive des Unternehmens positiv ist und ob eine Wertsteigerung zu erwarten ist. Oder aber, ob eine Rückkehr des Kurses zu alten Höhen eher unwahrscheinlich ist.

Aber diese Bewertung, ob eine Aktie vom Markt ungerechtfertigt abgestraft wurde und somit unterbewertet ist, diese Einschätzung ist für Laien nicht leicht. Damit Du einschätzen kannst, ob eine Aktie nach einem Ausverkauf ein weiterhin attraktives Investment darstellt, dafür musst Du Dich tief in die Materie einarbeiten.

Wie hindert Verlustaversion uns als Anlegerinnen und Anleger daran, eine gute Rendite zu erwirtschaften? Was macht Verlustaversion mit uns als Investoren? Und was können wir dagegen tun?

Wir bleiben bei Einzelaktien.

Viele Anleger erkennen einen Verlust erst als solchen an, wenn er tatsächlich realisiert ist. Was meine ich damit?

Stell Dir vor, Du hast eine Aktie, die um z.B. 10% gesunken ist. Du hoffst aber darauf, dass sich der Kurs wieder erholt und Du verkaufst nicht. Und erst wenn Du diese Aktie verkaufst und Du somit den Verlust realisierst, also ein Buchverlust zu einem tatsächlichen Verlust wird, erst dann fühlt es sich für Dich wie ein Verlust an. Erst dann gestehst Du Dir den Verlust ein.

Dieses Gefühl, diese Situation willst Du unbedingt vermeiden. Und da sich der Verlust für Dich erst wie ein Verlust anfühlt, wenn Du diese Aktie verkaufst, verkaufst Du sie vielleicht nicht. Du hältst an dem Investment fest. Du hoffst darauf, dass sich der Kurs wieder erholt, dass das nur ein Ausrutscher ist.

Und möglicherweise verschließt Du Dich vor neuen Erkenntnissen und Du willst nicht wahrhaben, dass Deine Einschätzung zur Aktie falsch ist. Möglicherweise siehst Du nicht, dass sich die Aussichten für das Unternehmen verschlechtert haben und der Kursrückgang gerechtfertigt ist. Somit verpasst Du es, Dein Geld in attraktivere Werte zu investieren, die mehr Rendite versprechen.

Oder Deine Verluste vergrößern sich, wenn die Aktie aufgrund der sich verschlechternden Situation komplett abschmiert.

Und das lässt sich oft beobachten. Anleger warten in der Hoffnung auf Erholung des Börsenkurses irrational lange, bis sie die Verluste durch den Verkauf einer Aktie realisieren. Oft haben sich die Kurse noch schlechter entwickelt, bis ein Anleger sich letztlich zum Verkauf der Aktie durchringen kann. Die Verluste wurden durch das anfängliche Zögern also vergrößert.

Viele Anleger gehen noch weiter, als nur ihre Verlustbringer zu halten. Sie kaufen sie nach, wenn der Kurs gesunken ist. Der Begriff hierzu ist “averaging down”. Also wenn Du bei sinkenden Kursen nachkaufst, dann sinkt der durchschnittliche Kaufpreis dieser Aktie in Deinem Depot. Das kann durchaus sinnvoll sein, wenn Du ein tolles Unternehmen hast, das kurzfristig von der Börse aus welchem Grund auch immer abgestraft wird. Aber exzellente Perspektiven bietet und der sinkende Kurs die Bewertung für Dich attraktiver werden lässt.

Aber: Da musst Du Dir Deiner Sache sehr sicher sein. Sonst läufst Du Gefahr, dass Du Dich mit dem insgesamt sinkenden Einstiegspreis selbst belügst. Und wenn die Aktie noch weiter sinkt, dann multiplizieren sich Deine Verluste. Wichtig ist, dass Du die Entscheidung, heute eine Aktie zu kaufen auf Basis der heutigen Fakten und unabhängig von früheren Käufen bzw. Preisen derselben Aktie fällst.

Die letzte Steigerung ist dann der Ausverkauf des Portfolios, wenn die Märkte in die Knie gehen.

Und viele Anleger tun dies, nachdem sie zuvor Verluste nicht realisiert haben und nun weitere Verluste vermeiden wollen. Das Problem ist: Sie verkaufen oft sehr nah zum Tiefstand des Marktes. Sie maximieren also paradoxerweise ihre Verluste und gleichzeitig verpassen sie die Kurserholungen im anschließenden Aufschwung. Das konnte man zum Beispiel im Jahr 2018 beobachten, als es zwei signifikante Marktkorrekturen gab. Und dabei hat der durchschnittliche Investor doppelt so hohe Verluste eingefahren als der amerikanische Aktienindex S&P 500. Anders ausgedrückt: Anleger hätten in diesem Jahr ihre Verluste halbieren können, wenn sie einfach in den S&P 500 investiert wären und die Situation ausgesessen hätten.

Während Verluste nicht realisiert werden, neigen Anleger gleichzeitig dazu, Gewinne vorschnell zu realisieren. Sprich: Du kaufst eine Aktie, in der Folge steigt der Kurs um z.B. 10%, hat aber langfristig das Potenzial, noch deutlich weiter zu klettern. Du verkaufst aber, um kurzfristig das Gefühl des Gewinns zu haben, vor allem aber, um diesen Gewinn abzusichern und Dich nicht dem Risiko eines Verlustes auszusetzen.

Damit verschenkst Du die langfristigen Erfolgsmöglichkeiten der Aktie.

Außerdem hast Du nun ein Problem.

Denn um Dein Geld wieder gewinnbringend anzulegen, musst Du den nächsten Gewinner finden. Und wenn Du das öfters machst, könnte es passieren, dass Du riskantere Investments eingehst. Es könnte passieren, dass Du, aus Angst etwas zu verpassen, leichtsinniger wirst und Dir Kröten ins Portfolio holst.  Oder aber Du stehst nur wartend am Spielfeldrand, bist nicht investiert und Du verpasst den Einstieg, wenn der Markt richtig anzieht und die Kurse klettern.

Du spielst nicht, um zu gewinnen, Du willst nicht verlieren.

Zusammengefasst solltest Du – mit Blick auf Einzelaktien – Gewinner halten und Verluste früh realisieren. Der Investor Peter Lynch hat hierzu gesagt:

Gewinner verkaufen und Verlierer kaufen bzw. Verlustbringer halten, das ist wie wenn man die Blumen jätet und das Unkraut gießt.

Doch die Einschätzung, ob ein Gewinner weiter steigt oder ob ein temporärer Verlierer in Wahrheit eine günstige Einstiegsgelegenheit ist, diese Einschätzung ist für Laien schwer zu treffen.

Deswegen nochmal der Hinweis: Einfacher geht es mit einem breitgestreuten Portfolio, zB mit ETFs, die den Markt in seiner Breite abdecken. Bei ETFs brauchst Du die Entscheidung des Kaufs und Verkaufs einzelner Aktien gar nicht treffen. Und mit Blick auf die historische Entwicklung der Aktienmärkte und wenn Du einen langfristigen Zeithorizont hast, kannst Du kurzfristige Verwerfungen einfach aussitzen. Wie Du mit diesen Verwerfungen umgehen kannst, das kannst Du nochmal in der Ausgabe über Bärenmarkt und Börsenbeben nachhören bzw. lesen.

Egal ob als Konsument oder als Anleger: Allein sich der Verlustaversion bewusst zu sein, auch wie sie manipulativ eingesetzt wird und wie sie Dich in Deinem Verhalten beeinflusst, allein dieses Bewusstsein wird Dir dabei helfen, nicht in Fallen zu tappen und Deine Emotionen zu kontrollieren.

Das Titelbild habe ich im Chiemgau fotografiert.

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