Warum der Zinseszins nicht unterbrochen werden sollte und was das für unsere Investitionsentscheidungen bedeutet, also wie wir unser Portfolio aufstellen sollten, damit der Zineszins über einen langen Zeitraum seine wunderbare Kraft entfalten kann.
Hier geht es zum Podcast:
Die Kraft des Zinseszins
Über den Zinseszins habe ich in diesem Podcast bzw. Blog schon öfter gesprochen, zum Beispiel in Folge 11 über die wunderbare Kraft des Zinseszins. Kurze Wiederholung:
Im Kontext der Geldanlage bezieht sich der Zinseszins nicht nur auf Zinsen im klassischen Sinne, wie Du es vielleicht aus der Schule kennst. Zins meint hier vielmehr die Rendite, also den Ertrag, den man mit Wertpapieren erzielt, also bspw. mit Aktien oder mit ETFs oder auch mit sonstigen Anlageprodukten wie Festgeld oder Anleihen. Die Rendite von Wertpapieren, das können erhaltene Zinsen sein, aber auch Dividenden oder sonstige Wertsteigerungen wie Kursgewinne.
Und wenn diese Zinsen bzw. diese Rendite zukünftig mitverzinst werden, also eine Rendite auf die Rendite erwirtschaftet wird, dann sprechen wir vom Zinseszins. Langfristig, also Zins auf den Zins auf den Zins usw., entwickelt das eine derart hohe Durchschlagskraft, dass wir einen exponentiellen Anstieg unseres Gesamtkapitals sehen.
Also der Zinseszins entfaltet gerade über lange Zeiträume eine unglaubliche Kraft. Und dennoch wird diese Kraft und die Bedeutung des Zinseszins weitgehend unterschätzt. Und die Wichtigkeit des Zinseszins für die Geldanlage und den langfristigen Vermögensaufbau die unterstrich der verstorbene Investor Charlie Munger einst mit der Aussage:
The first rule of compounding is to never interrupt it unnecessarily.
Oder auf Deutsch:
Die erste Regel des Compounding, der Aufzinsung, ist es, das Compounding nie unnötig zu unterbrechen.
Compounding bzw. Aufzinsung beschreibt den Vorgang beim Erwirtschaften des Zinseszins.
Eine Unterbrechung des Compounding würde bedeuten, dass der Zinseszins nicht seine langfristige, wunderbare Kraft entfalten kann. Es könnte bspw. sein, dass man ein ETF-Portfolio verkauft, obwohl man einen langfristigen Zeithorizont hat und das Geld nicht benötigt. Und es könnte ebenfalls sein, dass man Verluste einfährt. Aber um das Geld langfristig zu vermehren, müssen diese Verluste zunächst wieder eingespielt werden. Auch das unterbricht den Prozess des Compounding.
Und somit erinnert Mungers Appell an einen weiteren bereits in diesem Podcast besprochenen Grundsatz, nämlich Warren Buffetts erste Regel des Investierens aus Folge 14.
Regel Nummer 1: Verliere niemals Geld. Regel Nummer 2: Vergiss’ nicht Regel Nummer 1.
Und das bedeutet nicht, dass der Vermögensaufbau geradlinig verläuft. Wir erleben nicht nur gute Zeiten. Es gibt ebenso Phasen politischer Krisen, wirtschaftlicher Unsicherheit oder auch Marktverwerfungen. Das ist mit Blick auf die Geldanlage soweit normal und nicht kontrollierbar.
Es geht darum, dass wir unser Geld nicht unnötig ins Risiko stellen und dass unser Vermögen unbeschadet durch diese schwierigen Zeiten kommt.
Stell Dein Geld nicht unnötig ins Risiko
Diese Überlegung, also dass wir unser Geld nicht unnötig ins Risiko stellen und dass wir unser Vermögen sicher durch stürmische Zeiten bringen, das knüpft an einen Aspekt an, über den ich in Folge 21 über die Kunst, ein Vermögen zu erhalten, gesprochen habe:
Langfristiger Vermögensaufbau verlangt, dass wir unser bereits erwirtschaftetes Geld bewahren, dass wir nicht der Versuchung der Profitmaximierung erliegen, dass wir nicht überaus heiße Wetten eingehen, dass wir auch durch schwierige Zeiten manövrieren, dass unser Vermögen überlebt.
Und wenn wir davon ausgehen, dass es immer wieder zu Turbulenzen an den Märkten kommt. Und wenn unser Portfolio diese schwierigen Zeiten unbeschadet überstehen soll. Dann wäre eine Überlegung, dass wir unser Portfolio nicht für die normalen Zeiten optimieren, sondern es für Resilienz in schwierigen Zeiten aufstellen.
Ein resilientes Portfolio wiederum, das klingt nach Sicherheit, nach konservativer Geldanlage. Und da mag mancher kritisch anmerken, dass dies zulasten von Chancen gehen kann, also Chancen, das Vermögen langfristig wachsen zu lassen. Das ist ein, wie ich finde, richtiger Punkt. Es geht um ein gesundes Mittelmaß. Das Pendel sollte weder zu sehr ins eine noch ins andere Extrem ausschlagen.
Das eine Extrem wäre, dass ich mich zu allen Seiten hin absichere, dass ich eher nicht investiere, sondern mein bereits erspartes Geld in erster Linie verwahre. Ich verweige mich jeglichem Risiko. Dem Aktienmarkt bleibe ich fern. Ich verwahre mein Geld auf Konten, in Sparbüchern, vielleicht auch in Finanzprodukten wie Lebensversicherungen. Damit setze ich mein Vermögen natürlich nicht den kurzfristigen Turbulenzen der Aktienmärkte aus.
Allerdings nehme ich mir durch die geringe Rendite von Girokonto & Co. die Chance, mein Vermögen wirklich langfristig zu vermehren bzw. Vermutlich werde ich noch nicht einmal eine Rendite in Höhe der Inflation einspielen.Anders ausgedrückt: Ich werde mit 100%iger Sicherheit langfristig Geld verlieren, da meine Kaufkraft durch die Inflation aufgefressen wird. Stichwort Folge Nummer 4 über Investieren bei hoher Inflation.
Das andere Extrem wäre, dass ich beim Investieren keine Grenzen kenne. Risiken blende ich mehr oder weniger aus, ich habe die sprichwörtlichen Dollarzeichen in den Augen und ich sehe in erster Linie hervorragende Möglichkeiten sehr schnell sehr reich zu werden. Dann könnte es zum Beispiel sein, dass ich mich auf sehr wenige, in meinen Augen sehr vielversprechende Aktien sehr angesagter Unternehmen fokussiere.
Wenn es gut läuft, dann habe ich die richtigen Aktien identifiziert und in einem Bullenmarkt, also in einer breiten Aufwärtsbewegung der Märkte, entwickeln sie sich dann hervorragend und ich erziele fantastische Kursgewinne. Und weil es so gut läuft, werde ich etwas übermütig und vielleicht auch gierig. Ich kaufe das vermeintlich nächste große Ding – Folge Nummer 37. Und ich gehe immer größere Risiken ein. Nur bei der irgendwann einsetzenden Marktkorrektur fällt mir dieses Verhalten voll auf die Füße. Ein Großteil der bereits erzielten Kursgewinne wird ausgelöscht, vielleicht wird mein Portfolio auch deutlich ins Minus gezogen.
Also zusammenfassend: Im einen Extrem ist die Rendite so niedrig, dass das Compounding gar nicht erst richtig in Fahrt kommt. Und im anderen Extrem mag ich zwischendurch eine sehr hohe Rendite erzielen. Aber mein Portfolio erhält immer wieder, zum Beispiel während einer Marktkorrektur, einen derart harten Dämpfer, dass ich das Compounding unterbreche und ich so im längerfristigen Durchschnitt vermutlich eine ebenfalls sehr niedrige Rendite erwirtschafte.
Für Charlie Munger ist der Zinseszins der langfristige Motor des Investmenterfolgs.
Das verlangt nach einer langfristigen Perspektive. Und wenn ich eine langfristige Perspektive einnehme, dann könnte ich für mich feststellen, dass ein übermäßiger Fokus auf Sicherheit ebenso mit Sicherheit dazu führt, dass meine langfristige Rendite überaus dürftig ausfallen wird.
Ich könnte für mich feststellen, dass ein Invest in die Kursraketen von morgen zwar eine tolle Sache sein kann, aber dass es auch ziemlich unwahrscheinlich ist, dass es mir nachhaltig gelingt diese verlässlich zu identifizieren, dass es mir nichts bringt, wenn die Rendite nach dem Hype wieder ausradiert wird und dass ich vermutlich besser dastehe, wenn ich etwas konservativer vorgehe.
Die Frage ist also: Wie kann ein gesunder Mittelweg aussehen, der mir eine langfristig gute Rendite ermöglicht, sodass sich der Zinseszins entfalten kann?
Abseits der beiden Extreme könnte ich anerkennen, dass sich die Aktienmärkte langfristig positiv entwickelt haben. Aber zwischendurch hat es immer wieder politische und wirtschaftliche Herausforderungen gegeben. Es gab Phasen hoher Inflation. Es gab gesellschaftliche Umbrüche. Und all dies hat auch immer wieder dazu geführt, dass die Börsen ordentlich runtergegangen sind.
Der Investor Ray Dalio hat als Antwort auf diese unsteten Entwicklungen der Märkte den Begriff der Allwetter-Strategie geprägt.
Die Idee ist, dass man konsistent eine Rendite erzielt, auch wenn es an den Märkten turbulent zugeht. Dalio möchte breit diversifiziert investieren, um das Risiko zu minimieren. Investment A mag sich zwischenzeitlich schlecht entwickeln. Investment B wird wiederum gut dastehen. Unterm Strich gleicht sich das aus.
Einen ähnlichen Ansatz hat der Investor Vitaliy Katsenelson beschrieben. Er ist der Meinung, dass wir ein geländegängiges Investment-Portfolio brauchen. Er nennt das ein All-Terrain Investment Portfolio. Er zieht hier den Vergleich zu einem Auto.
Es gibt großartige Sportwagen. Die beschleunigen in wenigen Sekunden von 0 auf 100 und sie erreichen Spitzengeschwindigkeiten. Um so gut zu performen, benötigen sie aber eine gut ausgebaute Straße. Wenn es über einen Acker oder querfeldein geht, die Straßenbedingungen sich also deutlich verschlechtern, dann kommen sie an ihre Grenzen. Und wenn es ganz blöd läuft, dann bleiben sie stecken und kommen nicht mehr weiter.
Ein sehr geländegängiges Fahrzeug mit Allradantrieb und hoher Bodenfreiheit beschleunigt vielleicht nicht so schnell. Es erreicht auch keine hohen Spitzengeschwindigkeiten. Aber es kommt auch mit sehr widrigen Bedingungen zurecht.
Und auf das Investieren übertragen möchte ich demnach ein geländegängiges Portfolio haben. Wenn die Bedingungen hervorragend sind, dann wird es keine Traumrenditen erzielen. Da zieht das hochgetunte Sportwagen-Portfolio davon.
Man kann das gedanklich auch weiter Treiben: Der Sportwagen hat Sex-Appeal, der erzielt Aufmerksamkeit und Bewunderung, damit lässt es sich im Freundeskreis gut prahlen. Das klobige Nutzfahrzeug wirkt da eher langweilig.
Allerdings: Die Straße mag zu 90% der Zeit gut geteert sein. Aber 10% des Weges sind Buckelpiste und da versagt der Sportwagen. Die Rendite bricht ein, vielleicht nimmt das Sportwagen-Portfolio sogar finanziellen Schaden. Das geländegängige Fahrzeug bzw. Portfolio hingegen, das erzielt insgesamt eine zufriedenstellende Durchschnittsgeschwindigkeit. Und egal wie schlecht die Straße ist, ein geländegängiges Fahrzeug kommt unbeschadet ans Ziel, wo der Sportwagen möglicherweise versagt.
Ob nun Allwetter- oder All-Terrain-Strategie: Wie bereits angesprochen, ist hier ein wichtiger Faktor Diversifikation.
Ray Dalio ist ein sogenannter Makro-Investor. Also für seine Investitionsentscheidungen befasst er sich sehr mit globalen Entwicklungen und Mustern in Wirtschaft und Politik. Und mit seiner Allwetter-Strategie möchte er sein Portfolio breit diversifiziert für unterschiedliche makroökonomische Umfelder aufstellen.
Makroökonomie ist schon ziemlich speziell und verlangt nach viel Expertise bzw. Das ist nicht ohne Grund ein Studienfach. Für die meisten Anleger ist das also nicht unbedingt anwendbar. Aber breit diversifiziert zu investieren ist durchaus eine empfehlenswerte Sache.
Jedenfalls setzt Dalio sein Portfolio aus verschiedenen Anlageklassen zusammen, wie Anleihen, Aktien, Rohstoffen und Gold. Aktien sind ein Kern seines Portfolios. Er setzt hier stark auf ETFs in breitgestreute Indizes. Das ist, wie in diesem Podcast schon öfters erläutert, auch für Privatanleger mit einem langen Zeithorizont grundsätzlich empfehlenswert. Auch Anleihen können ihren Platz im Portfolio haben. Darüber habe ich in den Folgen 33 und 34 gesprochen.
Investitionen in Rohstoffe sind schon etwas speziell. Dalio nutzt diese zur Diversifikation und Stabilisierung des Portfolios. Rohstoffe können unter Umständen auch als Schutz vor Inflation dienen. Es gibt auch Rohstoff-ETFs, aber Rohstoffe sind ein etwas komplizierteres Thema, das an dieser Stelle den Rahmen sprengt.
Investieren in Gold kann auch für Privatanleger spannend sein, als Absicherung in Krisen oder auch bei hoher Inflation. Auch dieses Thema ist etwas umfangreicher und wird von mir in einer späteren Folge nochmal tiefer beleuchtet.
Vitaliy Katsenelson fokussiert meines Wissens hauptsächlich Aktien.
Katsenelson ist allerdings Profi und er betreibt Stock-Picking. Also er investiert gezielt in einzelne Unternehmen, in Einzelaktien. Das wiederum ist, wie schon öfter in diesem Podcast bzw. Blog diskutiert, für die meisten Menschen maximal als Beimischung empfehlenswert. Anders ausgedrückt: Wenn man in Aktien investiert, ist es für viele Anlegerinnen und Anleger eher ratsam, kein Stock-Picking zu betreiben und statt auf Einzelaktien eher breitgestreut zu investieren, zum Beispiel mit ETFs.
Ob Du nun in Einzelaktien investierst oder auch nicht: Meiner Meinung nach sind seine Überlegungen zum geländegängigen Portfolio grundsätzlich sehr interessant.
Mit Blick auf sein geländegängiges Portfolio sagt Katsenelson, dass es eigentlich ein “ich weiß es nicht”-Portfolio ist, das dabei helfen soll, mit Extremen umzugehen.
Um im Bild des Autofahrers zu bleiben: Er sagt, dass wir als Anlegerinnen und Anleger ein bisschen wie Reisende sind, die durch unbekanntes Terrain fahren. Wenn wir in den Rückspiegel blicken, dann wäre der Sportwagen eine gute Wahl gewesen. Wir wissen aber nicht, wie die Straßenbeschaffenheit vor uns ist – ob sie steinig und voller Schlaglöcher oder sogar mit riesigen Felsbrocken übersät ist.
Auch wenn wir in der Vergangenheit mit dem Sportwagen gut gefahren wären, ist es empfehlenswert, dass wir uns in Demut, Geduld und Bescheidenheit üben. Dazu gehört die Einsicht, dass wir mit Blick auf die weitere Entwicklung schlicht nicht wissen, wie sich die Wirtschaft und die Märkte und insbesondere einzelne Aktien absehbar entwickeln werden. Wenn wir hingegen breit diversifiziert und über einen langen Zeitraum investieren, dann haben wir im Grundsatz schon ein ziemlich geländegängiges Portfolio.
Und dazu ein abschließender Gedanke:
Ein Allwetter-Portfolio bzw. ein geländegängiges Portfolio, ist in meinen Augen nicht nur die Voraussetzung dafür, um den Zinseszins nicht zu unterbrechen und ihn nachhaltig seine Wirkung entfalten zu lassen. Es lässt mich ebenfalls ruhig schlafen. Wenn ich mit einem solchen Portfolio langfristig investiert bin, dann muss ich mich nicht andauernd darum sorgen, ob nächsten Monat ein Gewitter aufzieht oder ob nach der nächsten Kurve eine Geröllpiste kommt.
Das Titelbild ist über Grönland entstanden.