Spielstrategie oder die Regeln des Spiels

Spielstrategie oder auch die Regeln des Spiels: In dieser Ausgabe machen wir einen Ausflug in die strategischen und teilweise auch etwas theoretischen Aspekte der Wirtschaft. Und zwar werde ich mich mit der Spielstrategie beschäftigen. 

  • Wie agieren Spielmacher in der Wirtschaftswelt?
  • Wie hinterfragen sie die bestehenden Spielregeln?
  • Wie revolutionieren sie ihre Branchen?

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Über die Spielstrategie

Wenn wir uns den Wettbewerb im Markt als ein Spiel vorstellen, dann sind die verschiedenen Akteure die Mitspieler. Und wie in jedem Spiel gibt es Spielregeln. Die Gesetze des Marktes. 

Wenn ich nun als Unternehmen, als Mitspieler, in den Wettbewerb eintrete, das Spiel mitspiele, dann habe ich verschiedene Möglichkeiten, im Wettbewerb zu bestehen. Vielleicht versuche ich, meine Kosten niedrig zu halten. Möglicherweise optimiere ich meinen Vertrieb. Oder ich versuche, das beste Produkt im Markt anzubieten. Alle diese Maßnahmen würden aber vermutlich im Rahmen der in meiner Branche geltenden Konventionen geschehen. Ich würde mich an die Regeln des Spiels halten. 

Nun kann man jedoch beobachten, dass viele erfolgreiche Unternehmen genau das Gegenteil tun. Sie hinterfragen die Regeln. Sie brechen mit Konventionen. Hier setzt die Spielstrategie an. 

Die Spielstrategie hat die zugrundeliegende Annahme, dass wenn ein Unternehmen im Spiel wirklich erfolgreich sein will, dann muss es die Regeln des Spiels hinterfragen, sie brechen, ändern oder neu erfinden. 

Der Markt unterliegt gewissen Spielregeln

Wenn wir über Märkte oder den Markt sprechen, dann meinen wir meistens den allgemeinen wirtschaftswissenschaftlichen Begriff. Demnach ist ein Markt das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage.

Zugleich ist der Markt auch sehr sinnbildlich zu verstehen, als Wochenmarkt auf dem Marktplatz. Seit Ewigkeiten kommen Menschen auf Märkten zusammen, um Waren miteinander auszutauschen. Und das unterliegt gewissen Spielregeln. Also auch abseits von Gesetzen erfolgt der Austausch von Waren nach bestimmten Gepflogenheiten und Konventionen. Da geht es bspw. Darum, wie Geschäfte gemacht werden.

Noch heute verbreitet ist die Bezeichnung des Ehrbaren Kaufmanns. Das ist das historische hanseatische Leitbild für verantwortungsvolles Agieren in der Wirtschaftswelt. Es gibt auch Rituale. Wer mal auf dem Fischmarkt oder auf einer Viehauktion war, konnte viele Verhandlungsrituale beobachten. Wie gefeilscht wird. Die Besiegelung des Geschäfts per Handschlag. Das alles folgt einem überlieferten Regelwerk.

Und für viele der Mitspieler in einem Markt, sind Spielregeln, Konventionen unantastbar. 

Bei Fragen des ethischen Verhaltens und eines geordneten Miteinanders ist das ja durchaus richtig. Die Regeln des Spiels in einer Branche, in einem Markt gehen aber häufig viel weiter. Das betrifft zum Beispiel Fragen des Geschäftsmodells, also wie ein Unternehmen Geld verdient. Wie es sich im Wettbewerb präsentiert, wie es sich von der Konkurrenz abhebt. 

Spielstrategie bedeutet das Hinterfragen des Status Quo

Bestehende Regeln bzw. Spielregeln werden oft nicht unbedingt kritisch beleuchtet. Es gibt Konsens darüber, wie man agiert, wer wie die ihm nach allgemeinem Verständnis zugewiesene Rolle spielt. Die meisten halten sich daran. “Das ist halt so. Das haben wir schon immer so gemacht.”

Es gibt aber immer wieder Rebellen. Firmen oder Unternehmerpersönlichkeiten, die den Status Quo und die Regeln des Spiels hinterfragen. 

Für Hoteliers bspw. War es seit jeher ein wichtiger Wettbewerbsfaktor, dass das Hotel in sehr gutem Zustand und in attraktiver Lage ist. Dann kam Airbnb und hinterfragte, warum man zur Zimmervermietung überhaupt ein Hotel benötigt. Das ist teuer, bindet viel Kapital und lässt sich nur begrenzt erweitern. Viel besser sei es doch, wenn man einen großen Pool von Unterkünften und Reisewilligen bündelt und man einfach nur den Marktplatz zwischen Vermietern und Gästen betreibt.

Musik wurde auf Schallplatten und Kassetten, später als CD verkauft. Fest paketiert als Album oder Single in einer über Jahrzehnte gewachsenen Vertriebsstruktur mit Plattenläden und Elektronikmärkten. Dann kam Apple mit dem iPod raus und hat die Regeln auf den Kopf gestellt. Slogan: 1,000 songs in your pocket. Also anstatt ein Album oder eine Single anzuhören, konnte ich fortan eine große Musiksammlung immer dabei haben und auf Knopfdruck abspielen. Neue Alben oder Songs konnte ich über iTunes kaufen und herunterladen. Und statt für eine Single CD 10 Euro im Laden zu bezahlen, kaufte ich mir den einzelnen Song für 1 Euro.

Später wurden die Regeln durch Spotify und andere Musik-Streamer weiter in Frage gestellt. Aber unterm Strich war es der iPod und der Musikvertrieb via iTunes, die zu einer Revolution und einem Strukturwandel in der Musikindustrie geführt haben.

Natürlich spielten in diesen beiden Beispielen ebenfalls technologische Innovationen eine entscheidende Rolle – das muss aber noch nicht einmal gegeben sein, um bestehende Mechanismen zu  hinterfragen. 

Und Airbnb als auch Apple bzw. Spotify sind keine Ausnahmen. Es gibt zahlreiche Fallstudien von Firmen, die die Regeln des Spiels hinterfragt haben und irre erfolgreich wurden. Ryanair hat das Airlinegeschäft in Europa revolutioniert. Ikea die Art und Weise, wie wir Möbel kaufen. Fielmann bei Brillen. 

Eine der beeindruckendsten Unternehmensgeschichten hierzulande ist die des Lebensmitteldiscounters Aldi. Zuvor war es Konsens, dass ein Lebensmittelladen alle möglichen Produkte anzubieten hatte, die den Kunden aufwändig präsentiert wurden. Dann kam Aldi und führte 1962 das Prinzip des Discounters ein – kleines Sortiment, dürftig präsentiert mit Neonlicht und Holzpaletten, dafür mit sehr niedrigen Preisen. Das kam an, im Nachkriegsdeutschland. Der Rest ist Wirtschaftsgeschichte.

Spielmacher und Mitspieler

Ein Spiel hat verschiedene Mitspieler. Ganz grundsätzlich gibt es aber zwei unterschiedliche Parteien. Neben den Mitspielern bzw. Teilnehmern sind das die Spielmacher oder auch Spielgestalter. Diese Parteien unterscheiden sich insbesondere in ihrem Blick auf das Regelwerk, die Regeln des Spiels. Die Mitspieler schauen immer auf das Spielfeld. Man könnte auch sagen: Das ist die erste Spielebene, die Innenperspektive. Die zweite Ebene, die Außenperspektive, das ist die Perspektive der Spielgestalter.

Aus der Sicht der Mitspieler, also aus der Innenperspektive, da sind die Spielregeln als feste, unumstößliche Rahmenbedingungen des Spiels definiert. Tatsächlich sind ihnen die Regeln oft heilig und eine Änderung des Regelwerks ist in ihren Augen ein Sakrileg.

Die Spielmacher auf der zweiten Ebene, die blicken da ganz anders drauf. Sie sind diejenigen, die die Regeln gestalten und entsprechend sind Regeln für sie keine Limitierung, sondern Werkzeuge, um das Spiel kreativ und nach den eigenen Vorstellungen zu formen. Sie agieren mit Kalkül. Sie wollen das Spiel in eine bestimmte Richtung steuern. Sie hinterfragen Strukturen und Mechanismen. Und durch ihr Wirken können sie das Spiel entscheidend verändern.

In der Wirtschaft ist die Politik ein offensichtlicher Spielgestalter. 

Sie kann in das Marktgeschehen eingreifen. Sie kann Gesetze ändern oder neu verabschieden, um “den Markt zu regeln”, was letztlich eine Veränderung der Spielregeln bedeuten kann. Diese Eingriffe in den Markt können sehr weitreichende Folgen haben, die oft gar nicht abzuschätzen sind, Stichwort Folge 54 über vernetztes Denken. Entsprechend sollten sie mit Bedacht geschehen.

Für Unternehmen als Mitspieler sind Gesetze vor allem unantastbare Rahmenbedingungen des Spiels, also Lobbyaktivitäten mal ausgenommen. Für die Politik hingegen sind Gesetze Werkzeuge, um bestimmte politische Interessen durchzusetzen. 

Und die Eingriffe in den Markt, die müssen nicht immer eine Lösung im Sinne der Wirtschaft sein. Und sie sind auch nicht immer das, was objektiv betrachtet das Beste wäre. Politik befolgt halt auch eigene Interessen. Ganz oben steht da die Befriedigung der jeweiligen Wählerklientel oder – wie es ein Professor von mir mal ausgedrückt hat: das oberste Ziel der Politik ist es, wiedergewählt zu werden.

Neben dem gesetzlichen Rahmen gibt es allerdings zahlreiche informelle Spielregeln, Konventionen, die von Branche zu Branche individuell unterschiedlich sein können. 

Und hier zeigt sich eine Besonderheit von Märkten bzw. Der Wirtschaft. Und zwar können die Mitspieler ebenfalls Spielmacher sein. Sie können die Regeln des Spiels gestalten. Wobei sich nicht alle Mitspieler dieser Fähigkeit bewusst sind. 

Das könnte vielleicht daran liegen, dass wir zutiefst konformistisch sind. Wir passen uns an. Bereits als Kinder sind wir dazu angehalten, Regeln zu befolgen. Wir werden zu Gehorsam ermahnt. Auch unser Schulsystem fokussiert nicht kritisches Denken und das Hinterfragen des Status Quo. 

Die Spielstrategie verlangt, dass man ohne Denkverbote Regeln, Gesetze, Konventionen des Marktes bzw. Einer Branche auf den Prüfstand stellt. Die meisten Unternehmen und Manager akzeptieren hingegen das Marktumfeld als gegeben. Sie optimieren ihr Geschäft auf die in ihren Augen gegebenen Rahmenbedingungen. Das ist auch durchaus legitim. Und das kann die richtige Entscheidung für ein Unternehmen sein. Damit kann man das Ergebnis Stück für Stück verbessern. Man wird nur kaum grundlegende Veränderungen anstoßen.

Im Prinzip kann jedes Unternehmen die Regeln des Spiels verändern. Es sind aber oft nicht die etablierten. Sie stehen in der Regel gut da. Sie haben sich den bestehenden Rahmenbedingungen sehr gut angepasst. Ein kleineres Unternehmen hätte es aber womöglich schwer, nach den Regeln der Großen im Wettbewerb zu bestehen. Es muss also kreativ werden. 

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Viele Unternehmen sind groß geworden, weil sie die Regeln gebrochen, die Konventionen geändert haben. Die Großen hingegen haben von einer Veränderung der Regeln des Spiels meist wenig zu gewinnen. Also die erfolgreichen Regelbrecher sind oft nicht die “alten Hasen” sondern die Newcomer, die Angreifer. 

Was bedeutet die Spielstrategie für uns als Anlegerinnen und Anleger? 

Die Spielstrategie kann bspw. ein wichtiger Faktor sein, wenn wir in Einzelaktien investieren. 

Nehmen wir die Rolle von Politik als Spielgestalter. Wenn Du in Einzelaktien investierst, dann wäre ein Punkt, dass Du Dir des politischen Risikos bewusst sein solltest. Wenn Du in ein Unternehmen investierst, das Gegenstand öffentlicher Debatten oder bestimmter politischer Interessen ist, dann kann es passieren, dass das Unternehmen zum Spielball der Politik wird. Dann kann es passieren, dass die Politik in den Markt eingreift, dass sie die Spielregeln ändert. Das kann unter Umständen für das Unternehmen große Probleme bedeuten. Die Eingriffe können aber ebenso vorteilhaft sein. 

Die Spielstrategie kann uns auch inspirieren. Wenn wir uns mit einem Unternehmen beschäftigen, dann könnten wir hinterfragen, welchen Regeln dessen Branche folgt, ob und wie das Unternehmen diese bricht oder ob es Gefahr läuft, dass andere die Regeln zu ihrem Vorteil brechen. 

Viele Unternehmen verorten sich über die Positionierung, also wo sehe ich mich im Marktumfeld, welche Zielgruppe spreche ich mit welchem Produkt an, wofür stehe ich? Das ist ja durchaus ein guter Ansatz. Nur: das bedeutet nicht zwingend, dass das Unternehmen die Regeln des Spiels auf den Prüfstand stellt oder dass es erkennt, wenn jemand anders an den Regeln rüttelt und einen Paradigmenwechsel einleitet.

Die Spielstrategie unterstreicht, dass es weniger um die Ergebnisse des nächsten Quartals geht. Es geht um das Big Picture, die Zusammenhänge. 

Wenn wir nun unterstellen, dass die wenigen Spielgestalter auf lange Sicht die Gewinner in der Wirtschaft und somit auch an der Börse sind. Und wenn diejenigen, die nur Mitspieler sind, Gefahr laufen, strategisch unsouverän zu sein oder abgehängt zu werden, dann lautet für uns als Investoren in Einzelaktien die Frage: Wie können wir die erfolgreichen Spielgestalter identifizieren und wie können wir abschätzen, ob ein Mitspieler einer für ihn schädlichen Änderung der Spielregeln entgegenblickt?

Das ist nur schwer allgemein zu fassen.

Grundsätzlich benötigt man meiner Meinung nach ein tiefes Verständnis der Mechanismen einer Branche. Es kann durchaus sinnvoll sein, gezielt nach möglichen Paradigmenwechseln Ausschau zu halten, um die Gewinner von morgen zu identifizieren, aber auch um die Perspektive bestehender Investments zu hinterfragen.

Der Amazon-Gründer Jeff Bezos ist bekannt für seine “Customer Obsession”, seine Kundenobsession. Er sagte: Start with the customer and work backwards. Also frei übersetzt: Beginne beim Kunden und arbeite dich dann rückwärts zum Start. Darin steckt ebenfalls der Gedanke, dass man sich nicht an seinen Wettbewerbern orientieren sollte. 

Natürlich ist es wichtig zu wissen, was die anderen machen. Aber die Energie sollte auf die eigenen Kunden und deren Bedürfnisse gelenkt werden. Darum geht es. Wie sich diese ändern, wie sie vielleicht auch gleich bleiben, wie das Unternehmen noch besser oder auch anders diese Bedürfnisse bedienen kann. 

Vielleicht schafft man nur so überhaupt die Voraussetzung dafür, den Ist-Zustand zu hinterfragen und es nicht allen gleich zu tun. Die Wirtschaftswelt ist wie sie ist. Weil wir Menschen sie so gestaltet haben. Entsprechend können wir sie auch immer ändern. 

Wenn wir erfolgreich in Einzelaktien investieren möchten, dann müssen wir die Zusammenhänge verstehen. 

Aber wir sollten die Konventionen, die Wettbewerbsdimensionen einer Branche, das Marktumfeld eines Unternehmens genau verstehen, um einzuordnen, wie es sich im Markt schlagen wird und ob ein Investment in dieses Unternehmen eine gute Idee ist.

Vielleicht ist es gar nicht zwingend, dass die Regeln gebrochen werden. Das ist ja kein Selbstzweck und Ziel ist es nicht, dass ein Spielmacher blindlings zum Angriff gegen alle möglichen Normen und Standards bläst.

Und natürlich sind nicht alle Spielregeln ohne weiteres zu ändern. Ein Beispiel ist Coca-Cola. Das Getränk ist seit seiner Einführung im Jahr 1886 rezepturbedingt braun. Daraus bildete sich die Konvention heraus, dass Cola eben braun zu sein hat. Coca-Cola hat wiederholt versucht, eine nicht-braune Cola zu launchen, einmal farblos wie Wasser, einmal in gold. Beide Male ist das Unternehmen spektakulär gescheitert. Und als der britische Milliardär Richard Branson seine Virgin Cola einführte, da setzte der bekannte Unternehmer auch auf die Farbe braun. Er, der notorische Regelbrecher, unterwarf sich der Konvention.

Wenn Dich das Thema interessiert, dann empfehle ich Dir das Buch Spielstrategien im Business von Andreas Buchholz und Wolfram Wördemann, das mich ebenfalls zu dieser Ausgabe inspiriert hat. In dem Buch findest Du weitere Erläuterungen zum Thema. Es wird dargelegt, wie bestehende Regeln hinterfragt und Spielstrategien angewendet werden können. 

Das Titelbild ist in Chicago entstanden.

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