Soll ich zu diesen Kursen kaufen?

Eine klassische Frage beim Investieren lautet: Soll ich zu diesen Kursen kaufen?! In diesem Beitrag werde ich mich damit beschäftigen:

  • Wie Anlegerinnen und Anleger dieser Frage begegnen können – sei es, wenn die Kurse sehr hoch sind, aber ebenso, wenn sie sehr niedrig sind.
  • Wie wir einschätzen können, ob es sinnvoll ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt zu kaufen oder doch lieber abzuwarten.

Hier geht es zum Podcast:

Soll ich zu diesen Kursen kaufen?

Wenn man sich mit der Geldanlage beschäftigt, dann gibt es eine absolute Evergreen-Frage: “Soll ich zu diesen Kursen kaufen?!” Das wird meiner Erfahrung nach in jeder Marktphase diskutiert. Wenn die Märkte gestiegen sind, dann fragen sich Anlegerinnen und Anleger, ob sich ein Einstieg zu diesen Preisen überhaupt noch lohnt. Oder ob es nicht besser wäre abzuwarten, bis der Markt einen Rücksetzer erfährt. Und wenn die Märkte niedrig sind, wenn es eine Abwärtsbewegung gab, dann stellen sich viele ebenfalls die Frage, ob sie wirklich einsteigen sollten. Was ist, wenn es noch weiter runtergeht?

Nun habe ich in diesem Podcast bzw. Blog schon öfters darüber gesprochen, dass wir nicht vorhersagen können, wie sich die Kurse in naher Zukunft entwickeln. Vor diesem Hintergrund könnte man sagen, dass es müßig ist, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. 

Also wenn jemand fragt: “Soll ich zu diesen Kursen kaufen?!” Dann könnte man brüsk antworten: “Ja, was weiß ich, wo die Börsen morgen stehen?”

Aber da diese Frage so viele Menschen bewegt, lohnt es sich, da einmal etwas tiefer einzutauchen und zu diskutieren, wie wir dieser Frage begegnen können. 

Das 21. Jahrhundert ist zu knapp einem Viertel rum. Und wenn man auf die letzten 25 Jahre blickt, dann sieht man, dass die Jahre nicht arm an Krisen waren. 

Die Dot.com-Blase, zahlreiche terroristische Anschläge. Immobilienkrise in den USA, griechische Staatsschuldenkrise, Corona, Klimawandel, Krieg in Europa und der Aufstieg des Populismus an den politischen Rändern. 

Angesichts zahlreicher nicht gelöster oder neu aufkommender Krisen und Konflikte blickt man womöglich mit Sorgen auf das Weltgeschehen und man fragt sich, ob die Herausforderungen unserer Zeit nicht auch die Wirtschaft und somit die Börsen belasten können. Dann kommt man für sich möglicherweise zu dem Schluss, dass das mit dem Investieren ja doch ein ziemlich großes Risiko ist. Dass man Gefahr läuft, am Ende des Tages an der Börse nur Geld zu verbrennen und dass große Börsenbeben die eigenen Ersparnisse ausradieren.

Wenn man so denkt, dann kann ein Blick in die Vergangenheit helfen. Dann sieht man einerseits, dass es auch in der Vergangenheit heftige Ereignisse und ordentliche Kursstürze gab. Aus der Perspektive der damaligen Gegenwart, waren die Dinge ebenfalls alles andere als leicht. Also früher war gar nicht alles besser. Es hat sich aber auch gezeigt, dass viele Herausforderungen der Vergangenheit gelöst wurden und aus heutiger Sicht abgeschlossen sind. Stichwort Folge 48: Auch dies wird vorübergehen

Und wenn man einen Blick in die Vergangenheit wirft, dann sieht man ebenfalls, dass ein diversifiziertes Portfolio über einen langen Zeitraum, also mindestens 10-15 Jahre, historisch betrachtet sehr profitabel war. Darüber hatte ich in Folge 16 mit einem Plädoyer für finanzielle Zuversicht gesprochen. 

Warren Buffett hat sinngemäß gesagt: Im 20. Jahrhundert erlebten die Vereinigten Staaten zwei Weltkriege, die Große Depression, etwa ein dutzend Rezessionen und Finanzpaniken, Ölschocks, eine Grippeepidemie und den Rücktritt eines in Ungnade gefallenen Präsidenten. Und dennoch stieg der Aktienindex Dow Jones von 66 auf 11.497 Punkte. 

Wenden wir den Blick nach Deutschland. Da blicken wir durchaus schwierigen Zeiten entgegen. Neben den innenpolitischen und gesellschaftlichen Spannungen gibt es Krieg in Europa. Die transatlantische Partnerschaft mit den USA hat Risse. Und obendrein sieht sich die Wirtschaft mit einer überbordenden Bürokratie, hohen Energiekosten und den Umwälzungen durch Technologien wie künstliche Intelligenz konfrontiert. Das klingt schon ziemlich herausfordernd. 

Und trotzdem sehen wir eine überaus starke Entwicklung des deutschen Aktienindex DAX in den letzten Jahren. Darüber hatte ich in Folge 107 über die Irrationalität der Märkte gesprochen. 2023, da ging es für den DAX um rund 20% nach oben. In 2024 kletterten die Kurse um fast 19%. Und auch Anfang 2025 ging die Entwicklung munter weiter, zumindest bis Anfang April, dem Zeitpunkt der Aufnahme dieser Folge, da wurde es etwas turbulenter.

Das ist der Blick in die Vergangenheit. Nun der Blick in die Zukunft.

Da mag mancher fragen: Wenn die Märkte schon so geklettert sind und die Herausforderungen um uns herum so enorm sind, soll ich dann überhaupt zu diesen Kursen noch Aktien oder ETFs kaufen?

Und das ist eine durchaus legitime Frage. Nur wenn man das weiterdenkt, wird es schwierig. 

Wenn ich heute nicht kaufe, weil mir die Kurse zu hoch sind. Ich möchte lieber günstigere Einstiegskurse abwarten. Dann kann es sein, dass ich eine weitere positive Marktentwicklung verpasse. Und selbst wenn die Kurse runtergehen: Wann ist dann in meinen Augen der richtige Zeitpunkt, um zu kaufen? 

Mit diesem Ansatz versuche ich mich in Market Timing, über das ich in Folge 80 Dumb Money, Smart Money gesprochen habe. Market Timing bedeutet, dass man versucht, die Entwicklung von Börsenkursen zu antizipieren und entsprechend zu handeln. Das aber funktioniert nicht, zumindest nicht auf Dauer. Tatsächlich läuft man eher Gefahr, eine unterdurchschnittliche Rendite zu erwirtschaften. Dazu passend ist das Börsensprichwort:

It’s not about timing the market, but about time in the market.

Auf deutsch bedeutet das sinngemäß: „Es geht nicht darum, am Markt den richtigen Zeitpunkt zu finden, sondern darum, lange Zeit im Markt zu bleiben“. 

Anders ausgedrückt: Es ist besser, langfristig mit einem breit diversifizierten Portfolio investiert zu bleiben, also zu versuchen, die richtigen Ein- und Ausstiegspunkte am Markt zu finden.

Natürlich können Märkte immer wieder einen Kurseinbruch erfahren. Das war auch in der Vergangenheit so. Trotzdem haben sich die Börsen historisch betrachtet gut entwickelt, trotz aller Schwierigkeiten und Verwerfungen. 

Ob es zum Beispiel mit Blick auf hohe Kursstände zu einer Kurskorrektur kommt, wann dies geschehen und wie stark das ausfallen wird, das kann man nicht vorhersagen. Dieser Unwissenheit und Unsicherheit sollte man aber nicht mit Market Timing begegnen. 

Daraus könnte man ebenfalls für sich ableiten, dass wenn man einen langen Zeithorizont hat, wenn man den langfristigen Vermögensaufbau anstrebt, dann sollte man sein Geld investieren, damit es eine Rendite erwirtschaftet. Das gilt zumindest für den Markt insgesamt bzw. für breite Marktsegmente, aber nicht unbedingt für Einzelaktien. Und bei Einzelaktien sollte man bedenken, dass der aktuelle Preis nicht unbedingt ein Anlass zum Kauf oder Verkauf ist. 

Eine vermeintlich preiswerte Aktie kann noch weiter im Preis fallen und eine teure Aktie kann noch weiter steigen. Statt nur auf den Aktienkurs zu schielen, geht es vielmehr um die Zukunftsperspektive des jeweiligen Unternehmens. Diese ist in meinen Augen entscheidend.

Ein Gedankenexperiment

Der Investor Nick Maggiulli vollzieht in seinem Buch Just keep Buying ein Gedankenexperiment, das bei der Beantwortung der Frage “Soll ich zu diesen Kursen kaufen?!” helfen kann. 

Stell Dir vor, Du bekommst 1 Mio. Euro geschenkt. Und nun möchtest Du dieses Geld über die nächsten 100 Jahre möglichst stark vermehren. Dir stehen aber nur zwei mögliche Investment-Strategien zur Verfügung:

  1. Der Gesamtbetrag wird jetzt investiert.
  2. Über die nächsten 100 Jahre wird jedes Jahr 1% des Geldes investiert.

Was würdest du tun? 

Nun sind 100 Jahre für uns Menschen natürlich kein realistischer Zeitraum. Es geht nur um ein Gedankenexperiment. Aber nehmen wir an, die Wertpapiere, in die Du investierst, steigern ihren Wert im Laufe der Zeit. Es mag zwischendurch auch mal eine Schwächephase geben. Aber insgesamt ist die Entwicklung positiv. Diese Annahme ist wichtig. Sonst würdest Du ja nicht investieren. 

Und wenn wir diese Wertsteigerung annehmen, dann wird deutlich, dass Du besser sofort statt über die nächsten 100 Jahre investieren solltest. Wenn Du jedes Jahr nur 1% des Betrags investierst, dann bedeutet das, dass ein Großteil des Geldes erst nach vielen Jahren, nach Jahrzehnten, investiert wird. Und das wiederum bedeutet, dass Du die Wertpapiere zu immer höheren Preisen kaufst, während zeitgleich Dein nicht investiertes Geld durch die Inflation an Wert verliert. Stichwort Folge 3: Das Gespenst der Inflation.

Das leuchtet ein. Dazu passt das Sprichwort:

The best time to start was yesterday, the next best time is today. 

Auf Deutsch: Der beste Zeitpunkt um anzufangen war gestern, der nächstbeste Zeitpunkt ist heute. 

Das Problem ist nur: Rein logisch betrachtet, mag das alles stimmen. Nur in dem Moment, wo Du das Geld anlegen möchtest, da fühlt sich das nie wie eine gute Entscheidung an. Weil Du Dich jedes Mal fragst: Bekomme ich nicht in Zukunft einen besseren Preis? Soll ich zu diesen Kursen kaufen? Und tatsächlich: Dein Gefühl trügt Dich nicht. Es ist überaus wahrscheinlich, dass es irgendwann in der Zukunft einen besseren Preis als jetzt geben wird. Doch das heißt nicht, dass Du in einer zukünftigen Gegenwart das Gefühl nicht haben wirst. Und das heißt nicht, dass es auch die richtige Entscheidung ist, den Kauf auf später zu verschieben. 

Nun werden die meisten Anlegerinnen und Anleger eher selten in der Situation sein, dass sie einen großen Betrag auf einmal investieren möchten. 

Es mag Ereignisse wie eine Erbschaft oder einen Bonus auf der Arbeit geben. Die wohl üblichste Situation ist aber, dass wir regelmäßig sparen und so einen Betrag beiseite legen, den es zu investieren gilt. Doch auch da mag man sich die Frage stellen, ob es nun sinnvoll ist, jeden Monat zu investieren oder zum Beispiel nur einmal im Jahr.

Das Stichwort hierzu lautet Cost-Average-Effekt oder auch Durchschnittskosteneffekt. Also die Idee ist, dass wenn man regelmäßig Wertpapiere kauft, dann kauft man zu hohen aber auch zu niedrigen Kursen. Bei hohen Kursen erhält man für den gleichen Geldbetrag weniger Anteile eines Wertpapiers, bei niedrigen Kosten erhält man mehr.

Und das monatliche Regelwerk kann ebenfalls ein hilfreiches Regelwerk sein, um nicht dem Versuch zu erliegen, den Markt zu timen und auf die richtigen Einstiegskurse zu warten oder einen größeren Betrag zu einem späteren Zeitpunkt anzulegen.

Das Thema Cost-Average ist etwas umstritten. Maggiulli bspw. Hat hierzu festgestellt, dass eine Cost-Average-Strategie mit zwölf monatlichen Einzahlungen in den S&P 500 historisch betrachtet meist nicht so gut performt hätte, wie den Gesamtbetrag am Anfang des Jahres zu investieren. Wobei das beim regelmäßigen Sparen und Investieren ja auch nicht ganz stimmt, da wir den Betrag ja zunächst zusammensparen müssen und dann am Ende des Jahres investieren würden.

Also vereinfacht gesagt könnte man sagen: Wenn ein größerer Anlagebetrag vorhanden ist, dann sollte dieser direkt investiert werden, ohne auf den Cost-Average zu achten. Sollten Dir hingegen sukzessiv kleinere Beträge zur Verfügung stehen, dann macht es auch Sinn, regelmäßig monatlich, quartalsweise oder auch halbjährlich mit einem kostengünstigen Sparplan zu investieren.

In jedem Fall ist der Cost-Average-Effekt ein etwas größeres Thema, dem ich mich in einer späteren Folge noch einmal widmen werde. Für den Moment kann man festhalten, dass wenn man vor der Entscheidung steht, jetzt zu investieren oder zu warten, dann ist es meistens besser, jetzt zu investieren, als zu warten. Je länger ich mit dem Investieren warte, desto weniger Zeit hat mein Geld, um sich mit der Kraft des Zinseszins zu vermehren. 

Wobei auch immer eine langfristige Anlagedauer ratsam ist. Und das wiederum schließt ein, dass man auch genügend schnell verfügbare Finanzmittel haben sollte, mit denen unvorhergesehene Ausgaben bezahlt werden können, Stichwort Folge 79 über den Notgroschen.

Das Titelbild ist in London entstanden.

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