Das Kurs-Gewinn-Verhältnis, kurz KGV oder auf englisch Price-Earnings-Ratio bzw. PE-Ratio ist die wohl bekannteste Kennzahl bei Aktien.
In aller Kürze setzt das KGV den Aktienkurs, also den Preis einer Aktie, ins Verhältnis zum Gewinn, den das Unternehmen erzielt. Und die so errechnete Zahl hilft Dir zu verstehen, ob eine Aktie teuer oder vergleichsweise günstig ist.
In dieser Ausagbe werde ich auf die Hintergründe des KGV eingehen. Ich werde darüber sprechen, wie das KGV berechnet wird, wie man mit dem KGV arbeiten kann und welche Limitierungen diese Kennzahl hat, also auch was Kritiker an ihr auszusetzen haben.
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Wie berechnet sich das KGV und wie kannst Du als Investor, als Investorin damit arbeiten?
Wie eingangs bereits erläutert, drückt das Kurs-Gewinn-Verhältnis das Verhältnis von Aktienkurs zum Unternehmensgewinn aus. Das bedeutet, dass der aktuelle Aktienkurs eines Unternehmen, durch dessen Gewinn pro Aktie geteilt wird.
Der Gewinn pro Aktie auf Englisch Earnings per Share oder kurz EPS wird auf den gängigen Plattformen ausgewiesen und bezieht sich üblicherweise auf die letzten 12 Monate. Alternativ kannst Du den EPS auch selbst berechnen, indem Du den Jahresgewinn des Unternehmens durch die Anzahl der ausstehenden Aktien teilst.
Nehmen wir an, ein Unternehmen erwirtschaftet einen EPS von 2 € und der Aktienkurs des Unternehmens liegt bei 40 €, dann liegt das KGV bei 40 € / 2 €, also 20.
Was sagt diese 20 nun aus?
Mit dem KGV möchten wir verstehen, ob der Aktienkurs eines Unternehmens mit Blick auf die Ertragskraft hoch oder niedrig, also ob die Aktie günstig oder teuer ist.
Das KGV gibt an, welchen Faktor des Jahresgewinns ich für die Aktie bezahlen muss. Also anders ausgedrückt: Es nennt die Anzahl der benötigten Jahre, in denen das Unternehmen den aktuellen Börsenwert verdient.
Im genannten Beispiel liegt es bei 20. Das Unternehmen verdient aktuell 2 € pro Jahr und Aktie. Also 2 € mal 20 Jahre ergibt 40 €, was dem aktuellen Aktienkurs entspricht. Wenn alles gleich bleibt, würde das Unternehmen in 20 Jahren seinen aktuellen Börsenwert einspielen bzw. Die Aktie wird mit dem zwanzigfachen Jahresgewinn bewertet.
Damit können wir bereits folgende Erkenntnisse ableiten:
Ein höheres KGV besagt, dass Investoren, also der Markt, für jeden Euro Gewinn des Unternehmens mehr bezahlen, als bei einem niedrigen KGV.
Ein höheres KGV kann somit ausdrücken, dass die Wachstumserwartung für das Unternehmen höher ausfällt, als dies bei einem niedrigen KGV der Fall ist. Also Anleger trauen dem Unternehmen ein hohes Wachstum zu.
Es könnte aber ebenfalls sein, dass das Unternehmen überbewertet ist, zum Beispiel wenn es die Wachstumserwartung nicht erfüllt.
Umgekehrt kann ein niedriges KGV eine niedrigere Wachstumserwartung bedeuten oder dass das Unternehmen Herausforderungen bewältigen muss.
Und es könnte ebenfalls sein, dass das Unternehmen unterbewertet ist, wenn die Zukunft sich besser entwickelt, als vom Markt prognostiziert.
Als generelle Faustformel ist ein KGV unterhalb von 15 eher niedrig und oberhalb von 20 eher hoch.
Da kann man aber drüber streiten. Manche sagen, dass ein KGV unter 12 eher niedrig und ein Wert über 20 schon sehr hoch ist. Es gibt jedenfalls keine Einheitsregel, wie hoch ein KGV idealerweise sein sollte. Da können auch weitere Faktoren eine Rolle spielen, wie zum Beispiel die Branche oder die Größe des Unternehmens.
Junge und schnell wachsende Technologieunternehmen bspw. haben tendenziell ein eher höheres KGV als lang etablierte Industrieunternehmen. Wobei ein höheres KGV bei einem jungen Unternehmen die Erwartung des Marktes an ein zukünftiges Wachstum ausdrücken kann. Das kann aber auch schiefgehen, Stichwort neuer Markt und Dot-Com-Blase.
Wenn Du das KGV eines Unternehmens einordnen möchtest, wenn Du besser verstehen möchtest, ob das KGV nun eher hoch oder niedrig ist, dann könntest Du das KGV mit dem anderer Unternehmen oder mit dem Branchen-Durchschnitt vergleichen.
Du könntest ebenso die Vergangenheit betrachten. Also Du könntest untersuchen, wie sich das KGV des Unternehmens oder auch der Branche in den letzten Jahren entwickelt hat oder wo es durchschnittlich in der Vergangenheit stand.
Das KGV ist nicht ohne Grund beliebt und verbreitet.
- Es ist eine einfache Methode, um die Bewertung eines Unternehmens ins Verhältnis zu seiner Ertragskraft zu setzen.
- Als Anleger kannst Du Dir mit dem KGV somit schnell einen Eindruck machen, ob eine Aktie über- oder unterbewertet ist.
- Mit dem KGV kannst Du die Bewertung eines Unternehmens einfach mit der anderer Unternehmen oder auch innerhalb der gleichen Branche vergleichen.
Doch es gibt auch Nachteile, deren Du Dir bei der Arbeit mit dem KGV bewusst sein solltest.
Ein grundsätzliches Problem ist, dass das KGV die Vergangenheit betrachtet. An der Börse wird jedoch die Zukunft gehandelt.
Während der Aktienkurs zur Berechnung des KGV aktuell ist, bezieht sich der Unternehmensgewinn auf die Vergangenheit, wobei nicht sicher ist, dass das Unternehmen diesen Gewinn auch in Zukunft erwirtschaftet.
Zudem ist die Ursache für ein hohes oder ein niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis nicht unbedingt eindeutig.
Angenommen, ein Unternehmen hat eine niedrige PE-Ratio. Dann hat das Unternehmen vielleicht einen moderaten Aktienkurs bei verhältnismäßig hohen Gewinnen. Es könnte auch sein, dass das Unternehmen in der Vergangenheit einen Gewinneinbruch hatte, woraufhin der Aktienkurs sank. Dann ist das KGV vielleicht unverändert, obwohl sich die wirtschaftliche Perspektive des Unternehmens verändert hat.
Vielleicht ist das KGV auch gesunken. Dadurch kann die Aktie preiswert wirken. Vielleicht nimmt der Markt aber auch an, dass das Unternehmen in Zukunft Probleme haben wird, ergo das niedrige Kurs-Gewinn-Verhältnis.
Also ein niedriges KGV kann auf ein Schnäppchen hindeuten. Es kann aber auch ein Anzeichen für Probleme sein. Umgekehrt kann ein hohes KGV darauf hindeuten, dass Investoren dem Unternehmen eine sehr gute Entwicklung zutrauen. Vielleicht tritt diese positive Entwicklung aber nicht ein.
Oder die Erwartungen der Investoren sind zu hoch gesteckt. Das Unternehmen ist hoch bewertet und eine mögliche positive Entwicklung in der Zukunft ist bereits eingepreist. Und trotzdem kann eine Aktie mit einem hohen KGV ein gutes Investment sein. Das entscheidet sich letztlich an der erzielten Rendite, die sich aus Kurssteigerungen und Dividenden zusammensetzt.
Also allein die Höhe des KGV zur Beurteilung einer Aktie zu nehmen greift zu kurz. Ein niedriger Aktienkurs kann noch weiter sinken und ein hoher Aktienkurs kann noch weiter steigen.
Der Begriff “Gewinn” im Kurs-Gewinn-Verhältnis ist mindestens interpretationsfähig.
In den Details greift das zu weit für diese Ausgabe, aber ein Unternehmen kann sich profitabler oder weniger profitabel rechnen, was sich entsprechend auf das KGV auswirkt. Es kann ebenfalls sein, dass es kurzfristige Gewinneffekte gibt, die aber nicht nachhaltig sind.
Während der COVID-Pandemie bspw. ist bei manchen Internetunternehmen die Nachfrage kurzzeitig durch die Decke gegangen. In so einer Situation kann ebenfalls der Gewinn klettern. Mit höherem Gewinn sinkt die PE-Ratio. Die Aktie sieht günstig bewertet aus. Vielleicht erfährt die Aktie dann eine erhöhte Nachfrage. Der Aktienkurs und somit das Kurs-Gewinn-Verhältnis steigen, es normalisiert sich also. Dann ändert sich die Gesamtsituation, COVID ist vorbei und der außergewöhnliche Gewinntreiber fällt auf einmal weg. Der Gewinn pendelt sich wieder auf dem vorigen Level ein, das Kurs-Gewinn-Verhältnis geht also nach oben. Auf einmal sieht die Aktie gar nicht mehr so günstig aus. In solchen Fällen ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis wenig hilfreich. Es kann sogar verwirren.
Die Kennzahl kommt ebenfalls an ihre Grenze, wenn ein Unternehmen einen Verlust erwirtschaftet.
Also mathematisch gesehen, macht das Unternehmen einen negativen Gewinn. Dann ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis ebenfalls negativ.
Bei einem KGV von 1 erwirtschaftet das Unternehmen seine gesamte Marktkapitalisierung in nur einem Jahr. Ein negatives KGV ist mathematisch möglich und suggeriert eine noch bessere Situation als ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 1. Das ist aber nonsens.
Also unterm Strich solltest Du bei der PE-Ratio vorsichtig sein, wenn der Gewinn eines Unternehmen nicht stabil ist oder temporär beeinflusst ist und wenn die Zukunft erwartbar anders sein wird.
Wenn sich die geschäftlichen Rahmenbedingungen für ein Unternehmen verschlechtern oder wenn das Unternehmen sich sogar auf einer Abwärtsspirale befindet, dann ist das vielleicht nicht hinreichend im KGV reflektiert.
Und umgekehrt könnte ein Unternehmen ein zukünftiges Wachstumspotenzial haben, das nicht aus dem KGV ersichtlich ist.
Ein Ansatz, um Schwankungen im Gewinn zu berücksichtigen, ist das sogenannte Shiller-KGV, auch bekannt als CAPE-Ratio, das vom Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller entwickelt wurde.
CAPE-Ratio steht für “Cyclically Adjusted Price-to-Earnings Ratio”. Das bedeutet so viel wie “zyklisch angepasstes Kurs-Gewinn-Verhältnis”. Dabei wird der aktuelle Aktienkurs durch den durchschnittlichen inflationsbereinigten Unternehmensgewinn der letzten zehn Jahre geteilt. Die Idee ist, dass mit dem langjährigen Durchschnittswert einmalige Ausreißer oder konjunkturelle Schwankungen beim Gewinn ausgeglichen werden.
Das Shiller-KGV ist eine an sich gute Methode, wird bei einzelnen Aktien aber eher selten angewendet. Es wird aber häufig genutzt, um die Bewertung breiterer Marktsegmente zu analysieren, zum Beispiel von Aktienindizes wie dem S&P 500. Doch auch das Shiller-KGV hat den Nachteil, dass es nur die Vergangenheit betrachtet.
Und um diesem Umstand zu begegnen, kann man das Kurs-Gewinn Verhältnis auch mit den zukünftig erwarteten, also den antizipierten Erlösen berechnen. Die Kennzahl hierzu ist die Forward PE-Ratio, also zu deutsch das erwartete Kurs-Gewinn-Verhältnis. Der Unterschied zum normalen Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt darin, dass die Gewinnprognose verwendet wird.
Ich persönlich bin kein Fan der Forward PE-Ratio, da es sich eben nur um eine Prognose handelt. Die Gewinne können wie erwartet kommen, müssen sie aber nicht. Und der Prognostiker – den Begriff gibt es wirklich – schätzt die Gewinne vielleicht realistisch ein, er kann aber ebenso übermäßig optimistisch oder pessimistisch sein.
Für mich persönlich ist auch der Zeitraum bei der Forward PE-Ratio eher irrelevant. Mich würde ein mehrjähriger Ausblick interessieren, der natürlich ungleich schwieriger durchzuführen ist.
Ich persönlich bleibe bei der gängigen Betrachtungsweise der Erlöse aus den letzten 12 Monaten. Da wird zwar nur die Vergangenheit beobachtet, aber diese Werte sind immerhin gewiss.
Trotz der berechtigten Kritik ist das KGV meiner Meinung nach ein sinnvolles Werkzeug. Man muss es nur richtig einsetzen.
Wenn Du in breite Marktsegmente investierst, also zum Beispiel mit ETFs, dann kann das KGV oder auch das Shiller-KGV Dir dabei helfen, Dir eine Meinung darüber zu bilden, ob der Markt aktuell unter- oder überbewertet ist.
Falls Du in einzelne Aktien investiert, dann kann das Kurs-Gewinn-Verhältnis ein erster Hinweis, eine erste Einschätzung sein. Es ersetzt aber nicht eine tiefergehende Analyse des Unternehmens, wie zum Beispiel der Finanzen, der Wettbewerbssituation oder auch des Managements.
Du solltest dann auch sehr genau hingucken. Ein niedriges KGV kann auf ein Schnäppchen hindeuten, also auf eine unterbewertete Aktie. Vielleicht hat die schlechte Bewertung aber auch einen guten Grund und das Unternehmen hat jetzt oder in Zukunft ernsthafte Probleme.
Das KGV spuckt Dir nur diese eine Zahl aus. Niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis: hoher Gewinn und/oder niedriger Aktienkurs. Hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis: niedriger Gewinn und/oder hoher Aktienkurs.
Es liegt dann an Dir, diese Zahl im Gesamtkontext und insbesondere mit Blick auf die zukünftige Entwicklung zu interpretieren.
Auch die vergangene Entwicklung des Kurs-Gewinn-Verhältnis kann für Dich als Investor spannend sein.
Wenn die PE-Ratio im Zeitverlauf moderat gesunken ist, dann ist vielleicht der Gewinn im Laufe der Zeit gestiegen, während der Aktienkurs kaum geklettert ist. Das könnte ein positives Zeichen sein. Vielleicht stagniert der Gewinn aber auch und der Kurs ist gesunken. Das ist vielleicht nicht so gut.
Umgekehrt ein im Zeitverlauf gestiegenes Kurs-Gewinn-Verhältnis. Vielleicht sind die Gewinne rückläufig, das hat sich aber noch nicht auf den Aktienkurs niedergeschlagen. Da wäre ich eher vorsichtig. Vielleicht sind die Gewinne aber auch stabil und der Aktienkurs ist gestiegen. Das könnte auf einen stagnierenden Markt hindeuten, wobei die Investoren an das Unternehmen glauben. Auch das würde ich mir genauer angucken.
Es gibt auch die Situation, dass ein Unternehmen stark wächst, aber zumindest aktuell wenig Gewinn macht. Die Anleger wiederum setzen auf das steile Wachstum und dass dieses eines Tages in attraktive Gewinne umgemünzt werden kann. Und der Aktienkurs steigt, die PE-Ratio ebenso. Das kann man öfters bei sogenannten Wachstumsaktien beobachten, zum Beispiel bei Technologie-Unternehmen.
Es kommt also wirklich darauf an, die Situation im Einzelfall zu bewerten.
Wenn Du das Kurs-Gewinn-Verhältnis verschiedener Unternehmen einer Branche im Zeitverlauf vergleichst, dann solltest Du ein ganz gutes Gefühl für eine typische Bewertung in dieser Branche bekommen. Und wenn das Kurs-Gewinn-Verhältnis eines Unternehmens da ziemlich ausreißt, dann kannst Du Dir das nochmal tiefer angucken. Vielleicht versteckt sich hinter einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis ja wirklich ein Schnäppchen.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist ein nützliches Werkzeug, es hat aber einen Beipackzettel.
Du kannst neben dem Kurs-Gewinn-Verhältnis auch weitere Kennzahlen zu Rate ziehen, um eine Aktie zu bewerten, zum Beispiel das Kurs-Umsatz-Verhältnis, auf Englisch Price to Sales Ratio. Im Gegensatz zum Kurs-Gewinn-Verhältnis funktioniert die Price to Sales Ratio auch bei Unternehmen, die noch keinen Gewinn erwirtschaften, also deren KGV negativ wäre.
Egal welche Kennzahlen Du letztlich verwendest: Sei Dir bewusst, dass sie einen bestimmten Sachverhalt ausdrücken, aber nur selten das komplette Bild zeichnen.
Du solltest also keine vorschnellen Investitionsentscheidungen treffen, nur weil eine Kennzahl attraktiv erscheint.
Die Welt ist komplex und um es mit Warren Buffett zu sagen: investieren ist einfach, aber nicht leicht
PS: Das Titelbild ist über den Wolken entstanden.