In dieser Ausgabe geht es um Aktientipps. Oder um es genauer auszudrücken: Hier gibt es keine Aktientipps.
Warum sollten wir bei Aktientipps skeptisch sein? Warum weigere ich mich, anderen Menschen Aktientipps zu geben? Und Wie blickt der womöglich größte Investor unserer Zeit auf das Thema Aktientipps?
Hier geht es zum Podcast:
Wenn man den Begriff Aktientipps googelt, dann erhält man je nach Schreibweise über 12 Millionen Suchergebnisse.
In vielen Suchergebnissen erfahren wir, dass Aktien für die Geldanlage alternativlos sind. Wir lernen die Vorteile von Aktien kennen. Also zum Beispiel, dass man sie flexibel handeln kann.
Aber vor allem erfahren wir, worauf wir beim Investieren in Einzelaktien so achten sollten und wir erhalten – getreu dem Suchbegriff – zahlreiche Tipps, welche Aktien man jetzt unbedingt kaufen sollte, welche Aktien nach Meinung der jeweiligen Autoren so richtig durch die Decke gehen werden.
Und die Absender dieser Tipps sind vielfältig. Da sind Anbieter von Finanzdienstleistungen. Deren Geschäftsmodell kann es bspw. Sein, dass wir ihre Finanzprodukte kaufen oder dass wir viel mit Aktien handeln. Da sind Influencer, deren Geschäftsmodell unsere Aufmerksamkeit ist, damit wir über sie verbreitete Werbebotschaften empfangen.
Zum Jahresanfang gibt es in einschlägigen Finanzmedien immer die heißen Tipps vermeintlicher Experten. Das sind die sogenannten “Stock picks”, die Aktienempfehlungen. Das Ziel dieser Empfehlungen ist in den seltensten Fällen, dass Anleger bessere Entscheidungen treffen und eine hohe Rendite einfahren. Die sollen in erster Linie Auflage machen und für Klickzahlen sorgen.
Es gibt auch Fälle, in denen Absender von Aktientipps gezielt versuchen, uns zu beeinflussen und ein Wertpapier empfehlen, das sie selbst besitzen.
In diesem Zusammenhang gibt es das sogenannte “Pump and Dump”, auf deutsch bedeutet das soviel wie “aufpumpen und wegwerfen”. Dabei werden meist kleine Aktientitel, sogenannte Penny Stocks, oder auch Kryptowährungen durch irreführende oder sogar falsche, in jedem Fall äußerst positive Aussagen, künstlich im Preis nach oben getrieben und von den – man muss schon sagen Betrügern – auf dem Höhepunkt wieder verkauft. Die normalen Anleger gucken in die Röhre. Sie erwarten in der Folge meistens Verluste.
Und bei den Suchergebnissen für Aktientipps finden sich auch durchaus seriöse Quellen, denen ich gar kein schlechtes Motiv oder gar Irreführung der Leser unterstellen möchte.
Aber Tipps sind im Zusammenhang mit Aktien schon ein sehr großes Wort. Das suggeriert, dass ich einen wirklich wertvollen Rat erhalte. Aktientipps können eine begründete Meinung sein. Aber in vielen Fällen kann man sich die Frage stellen, ob der Absender des Tipps überhaupt qualifiziert ist, also selbst erfolgreich investiert. Das wird wohl oft eher nicht der Fall sein, selbst wenn er oder sie viele Follower hat oder für ein renommiertes Unternehmen arbeitet. Stichwort Folge 5 über Autoritätsgläubigkeit.
Das Thema Aktientipps begegnet einem nicht nur im Internet.
Wenn im Taxi oder auf einer Party das Gespräch in Richtung Geldanlage geht, dann passiert es schnell, dass der eine den anderen nach Aktientipps fragt. Und das lässt sich insbesondere in Zeiten der Markteuphorie beobachten, wenn immer mehr Menschen auf den Zug aufspringen und an der Börse mitmischen wollen.
Der Investor Peter Lynch hat in diesem Zusammenhang etwas augenzwinkernd die Cocktailparty-Theorie aufgestellt. Demnach kann man bei diesen Gesprächen zwischen vier verschiedenen Phasen unterscheiden. Diese Phasen richten sich nach der jeweiligen Marktsituation, über die ich in Folge 65 “der ewige Zyklus” gesprochen habe.
Die Börse ist ein ewiges Auf und Ab. Wir sehen steigende Kurse, Euphorie, vielleicht neue Rekordwerte oder auch Übertreibungen. Irgendwann ist der Markt auf dem Höhepunkt, es folgt eine Stagnation, dann dreht sich die Stimmung. Die Kurse sinken, vielleicht kommt es sogar zum Crash, bis irgendwann der Tiefpunkt erreicht ist. Und dann geht der Zyklus wieder von vorne los.
Peter Lynch über Aktientipps
In der ersten Phase eines steigenden Marktes, da sprechen die Leute nicht über Aktien. Die Kurse sind eine Weile gefallen und kaum jemand erwartet, dass es wieder nach oben geht. Lynch stellte dazu fest, dass wenn er in dieser Phase auf einer Party angesprochen und gefragt wird, was er beruflich macht und er angibt, dass er Aktienfonds verwaltet, dann nicken die Menschen höflich und gehen wieder weiter. Oder sie wechseln zumindest schnell das Thema.
Seiner Theorie nach, kann das ein guter Marktindikator sein: Wenn zehn Menschen auf einer Party lieber mit einem Zahnarzt über Zahnbelag sprechen, als mit ihm über Aktien, dann ziehen die Märkte bald wieder an.
In der zweiten Phase gehen die Menschen nach der Antwort auf die Frage seines Berufs nicht sofort weg. Vielleicht erzählen sie ihm noch, wie riskant der Aktienmarkt ist, bevor sie sich wieder dem Zahnarzt zuwenden. Insgesamt wird auf der Party noch mehr über Zahnbelag als über Aktien gesprochen. Der Markt ist seit dem Tief etwas gestiegen, aber dem schenken noch wenige Menschen Beachtung.
In Phase drei ist der Markt seit dem Tief schon recht ordentlich gestiegen. Der Zahnarzt wird auf der Party nun eher ignoriert und stattdessen bildet sich eine Schar Interessierter um den Investor. Manche ziehen ihn vertrauensvoll zur Seite und fragen, welche Aktien sie kaufen sollten. Auch der Zahnarzt fragt ihn nach Aktientipps. Und vermutlich haben alle Anwesenden Geld in Aktien investiert und nun diskutieren sie über ihre Investitionen.
In der vierten und finalen Phase, da ist der Investor immer noch im Mittelpunkt des Geschehens. Aber nun sagen ihm die Partygäste, welche Aktien er kaufen soll. Auch der Zahnarzt hat ein paar heiße Tipps.
Und wenn man von seinen Nachbarn, beim Friseur oder im Taxi Tipps bekommt, welche Aktien man nun kaufen soll und diese Aktien womöglich in den Tagen darauf auch noch steigen, dann ist dies laut Peter Lynch ein guter Indikator dafür, dass der Markt nah am Höchststand ist und es demnächst wieder runtergehen könnte.
Lynch fügte noch hinzu, dass er nicht auf seine Cocktailparty-Theorie setzt. Er glaube nicht an die Vorhersage von Märkten. Stattdessen setzt er auf den Kauf großartiger Unternehmen zu einem guten Preis – unabhängig davon, wo die Märkte insgesamt gerade stehen.
Trotzdem hat die Cocktailparty-Theorie, wie ich finde, durchaus einen wahren Kern. Nur sieht der etwas anders aus, als die Partygäste vermuten. Ich würde niemals auf die Aktientipps anderer Menschen setzen bzw. Meine Investitionsentscheidungen auf sie stützen.
Und wenn um einen herum alle das große Geld wittern und heiße Aktientipps austauschen, dann könnte das ein Warnsignal für zunehmende Irrationalität am Markt sein und man sollte versuchen, sich nicht von dieser Begeisterung anstecken zu lassen.
Sich nicht beeinflussen zu lassen, das ist eine Sache. Ich für meinen Teil weigere mich anderen Aktientipps zu geben.
Das mache ich nicht aus Egoismus oder weil ich meine Erfolgsideen nicht mit anderen teilen möchte. Vielleicht habe ich ein anderes Risikoprofil oder einen anderen Zeithorizont als mein Gegenüber. Vor allem investiere ich für mich selbst. Und wenn ich mit einer Einschätzung falsch liege oder wenn ich eine schlechte Entscheidung treffe, dann muss ich mich nur vor mir selbst verantworten. Die Verantwortung für die Handlung Dritter kann und will ich nicht übernehmen. Es würde aber auf mir lasten und mich auch bei meinen zukünftigen Entscheidungen beeinflussen, wenn andere aufgrund meiner Empfehlungen für sich schlechte Entscheidungen treffen..
Ein Problem von Aktientipps im Freundes- und Bekanntenkreis ist, dass Menschen eher mit ihren Gewinnen prahlen. Über Verluste spricht man nicht so gerne. Wenn Dein Bekannter Dir von vermeintlich großartigen Aktien berichtet, wirst Du also vermutlich eine geschönte oder zumindest verzerrte Sicht der Dinge erzählt bekommen.
Beim Investieren geht es aber nicht darum, wer das beste Ergebnis einfährt. Und es geht nicht darum zu zeigen, wie vermögend und erfolgreich man ist. Es geht um das Erreichen der eigenen finanziellen Ziele.
Du kannst Dich mit anderen austauschen. Du solltest Dich und Deine Finanzen aber nicht mit ihnen vergleichen. Du musst unabhängig und möglichst unbeeinflusst denken und die für Dich richtigen Entscheidungen treffen. Folge 25 Jeder spielt sein eigenes Spiel.
Nehmen wir an, ich bin von einer Aktie überzeugt.
Und womöglich liege ich sogar richtig, dass es sich um ein richtig gutes Unternehmen handelt und dass die Aktie langfristig hervorragende Perspektiven hat. Und dann fragt mich ein Freund nach einem Aktientipp. Daraufhin empfehle ich ihm diese Aktie.
Dann wird er meinen Tipp vermutlich nicht als Inspiration nehmen und selbst recherchieren. Womöglich denkt er sich, dass das ein solider Ratschlag ist, wo ich mich doch so viel mit der Börse beschäftige. Doch beim Investieren muss man seine Hausaufgaben machen und aufgrund eigener Recherche und durch eigene Auseinandersetzung mit einer Aktie selbst der Meinung, der Überzeugung sein, dass es sich um ein gutes Investment handelt.
Dazu hatte ich in Folge 46 “Wenn die Überzeugung nur geliehen ist” den Investor Ian Cassel zitiert, der sinngemäß sagte, dass man sich zwar die Aktienideen von anderen Menschen ausleihen kann, aber nicht ihre Überzeugung von einer Aktie.
Jedenfalls kauft mein Freund die Aktie. Und kurz darauf schmiert das Papier ab. Dann hat mein Freund ein Problem. Wenn er nicht seine Hausaufgaben gemacht und sich selbst von der Qualität des Wertpapiers überzeugt hat, dann kann er nicht einschätzen, ob das ein ungerechtfertigter Kursverlust und die Perspektive weiterhin gut ist. Er kann darauf wetten, dass sich das Papier wieder erholt. Er kann darauf vertrauen, dass ich mit meiner Meinung schon richtig liege – wobei ich meine Meinung vielleicht auch mittlerweile geändert habe. Jedenfalls ist das ein ziemlich gewagtes Vorgehen und das hat mit solidem Investieren wenig zu tun. Und für unsere Freundschaft ist das auch nicht ungefährlich.
Deswegen: Konkrete Aktientipps wird es von mir nicht geben. Aber wenn mich jemand nach Anlageempfehlungen fragt, dann bin ich bei den Inhalten dieses Podcasts. Die zeigen zwar nicht den schnellen Weg zum Reichtum, aber sie geben Hinweise, welche Fragen man sich in Bezug auf Geld stellen sollte, welche Verhaltensweisen klug sind und welche Dinge man bei der Geldanlage besser unterlassen sollte. Für den Umgang mit dem eigenen Geld und für die eigenen finanziellen Entscheidungen ist aber jeder selbst verantwortlich.
Damit bin ich abschließend bei Warren Buffett und Aktientipps.
Der sagte im Jahr 2020 auf der Hauptversammlung seiner Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway sinngemäß, dass es in dieser Welt Überraschungen gibt. Und es wird Unternehmen geben, die er für sehr gut hält, die sich aber als nicht so gut erweisen. Und umgekehrt wird es Unternehmen geben, die sich besser entwickeln, als als er denkt.
Und das gilt auch für Berkshire Hathaway. Er sei zwar der Meinung, dass das Unternehmen sehr solide ist. Aber er würde nicht sein Leben darauf verwetten, dass Berkshire in den nächsten zehn Jahren eine bessere Rendite als der Aktienindex S&P 500 erwirtschaften wird.
Wenn er also jemandem eine Anlage empfehlen müsste, wäre es ein S&P 500 ETF, weil man von ihm eine bessere Langzeitperformance erwarten könne, als von jeder einzelnen Aktie. Vielleicht ist es für Dich nicht der S&P 500. Und vielleicht kommen abseits von ETFs auch andere Wertpapiere für Dich in Betracht.
Aber wenn einer der erfolgreichsten Investoren unserer Zeit sich nicht zutraut, gute Aktientipps zu geben und er stattdessen auf ETFs verweist, die breite Marktsegmente abdecken, dann sollte man schon ernsthaft hinterfragen, wie viel man auf die Aktientipps anderer Menschen geben kann, egal wie verlockend sie klingen.
PS: Das Titelbild ist in Malaga entstanden.