Home Bias beschreibt die Tendenz von Anlegerinnen und Anlegern, ihr Geld überproportional in ihrem Heimatland anzulegen. Sie tun das aus verschiedenen Gründen, die teilweise emotional getrieben und wenig rational sind.
Oft ist dabei die Annahme, dass man mit der Fokussierung auf den eigenen Markt, den man gut zu kennen meint, das Risiko einer schlechten Performance des eigenen Wertpapierportfolios minimiert. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Das wird in dieser Ausgabe vertieft:
- Was ist Home Bias und warum ereilt sie uns?
- Wie wirkt sich diese Heimatliebe, diese Heimatmarktneigung auf unser Portfolio aus und warum sollten wir uns davor hüten, übermäßig in unserem Heimatland zu investieren?
- Und letztlich die Frage, was wir gegen eine übermäßige Home Bias tun können.
Hier geht es zum Podcast:
Der Begriff Bias bedeutet auf Deutsch so viel wie Verzerrung.
Mit Bias oder Verzerrung werden in der Verhaltensökonomie und spezifisch bei Fragen der Geldanlage irrationale Verhaltensweisen beschrieben. Home Bias beschreibt, dass Investoren vergleichsweise viel Geld in z.B. Unternehmen aus dem DAX investieren, anstatt es global anzulegen.
Die Frankfurt School of Finance and Management hat festgestellt, dass 15% des deutschen Aktienkapitals in deutsche Unternehmen fließt, obwohl deutsche Aktien am Weltmarkt nur einen Anteil von 2% haben. Das Delta von 13 Prozentpunkten, das ist die Home Bias. Es gibt auch Erhebungen, wonach deutsche Anleger 50% deutsche Aktien in ihren Depots haben.
Und dieses Verhalten lässt sich überall auf der Welt beobachten. Das haben deutsche Investoren nicht exklusiv. Das Finanzunternehmen Charles Schwab hat festgestellt, dass Investoren in den USA 85% ihres Vermögens ebendort investieren, während US-Aktien einen weltweiten Anteil von nur 60% haben.
Interessant ist, dass die Home Bias auch altersabhängig zu sein scheint. So neigen laut Charles Schwab 45% der Baby Boomer, also der Nachkriegsgeneration zu Home Bias. Bei den Millenials, also der zwischen 1981 und 1998 geborenen Generation, sind es nur 24%. Diese Unterschiede könnten vielleicht damit erklärt werden, dass jüngere Menschen in einer globalisierten Welt aufgewachsen sind, in der das Fremde vertrauter ist. Und in den letzten Jahren hat die Digitalisierung es auch enorm erleichtert, transparent und preisgünstig international zu investieren. Was für junge Menschen selbstverständlich sein mag, für Ältere ist es das möglicherweise nicht.
Warum neigen wir zu Home Bias und warum ist das überhaupt problematisch für unsere Finanzen?
Wie bereits angedeutet, beschreibt Home Bias die Übergewichtung von heimischen Aktien im Portfolio als irrational. Einer der Hauptgründe für ein hohes finanzielles Engagement in der eigenen Heimat ist Vertrautheit.
Die deutsche Wirtschaftsberichterstattung fokussiert auf den DAX und deutsche Unternehmen. Und vielleicht hat man Bekannte, die in einem dieser Unternehmen arbeiten und sie erzählen davon. Und dadurch könnte sich die Meinung ausbilden, dass wir diese Unternehmen besonders gut kennen und ihre Lage richtig einschätzen können, dass wir Kontrolle über die Situation haben.
Es gibt keine Sprachbarriere. Die relevanten Informationen zur politischen Lage, zur Entwicklung der Wirtschaft und über ein Unternehmen, seine Produkte und sein Management liegen uns zumindest theoretisch vor. Wobei es auch Studien gibt, dass vergleichsweise wenige Privatanleger auch die Geschäftsberichte der Unternehmen lesen, in die sie investiert sind.
Jedenfalls unterstellen wir vielleicht explizit oder unterbewusst, dass wir als Deutsche einen Informationsvorsprung im Verständnis über ein deutsches Unternehmen oder den Wirtschaftsstandort Deutschland haben.
Aber selbst wenn man diesen Informationsvorsprung hätte – was in den meisten Fällen eher unwahrscheinlich ist – müsste man auch die Konkurrenz in China, Indien oder den USA verstehen, um die Wettbewerbssituation wirklich beurteilen zu können.
Umgekehrt verspüren wir eine Informationsasymmetrie bei ausländischen Unternehmen und anderen Ländern. Über die meinen wir nicht so viel zu wissen und möglicherweise vermuten wir auch größere Risiken, wenn wir im Ausland investieren.
Also nach dieser Lesart könnte Home Bias auch salopp mit “Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht” übersetzt werden.
Es kann auch sein, dass Patriotismus bei Home Bias eine Rolle spielt.
Dass man stolz auf die hiesige Wirtschaft ist und dass man mit seinem Invest Zuversicht in die zukünftige Entwicklung ausdrücken möchte.
Als Deutsche tun wir uns vielleicht manchmal mit Patriotismus schwer. Labels wie Exportweltmeister, deutsche Ingenieurskunst oder die Qualitäten des guten deutschen Handwerks tragen wir dann aber schon ganz gerne.
Ein weiterer Grund für Home Bias ist, dass Investoren anderen Ländern ein höheres politisches Risiko unterstellen.
Politisches Risiko meint bspw. eine volatile politische Lage, die Möglichkeit von wirtschaftsfeindlichen Reformen oder sogar Enteignungen. Und dieser Punkt ist absolut valide. Ich würde auch davor zurückschrecken, einen Großteil meines Vermögens in einem Land mit einer noch jungen und eher wackeligen Demokratie oder gar einem autokratischen Staat zu investieren.
Allerdings meint die Abkehr von Home Bias nicht, dass man überproportional in unsicheren Ländern investieren sollte. Außer Deutschland und dem europäischen Ausland gibt es neben dem wohl größten Börsenland USA zahlreiche andere Länder, die hinsichtlich Rechtsstaat und politischer Stabilität qualifizieren, wie zum Beispiel Japan, Australien und Südkorea.
Das ist umgekehrt nämlich das Problem der Home Bias: Indem sie auf den heimischen, vermeintlich wohl bekannten und stabilen Markt fokussieren, meinen Anleger das Risiko zu reduzieren. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Das Stichwort lautet Klumpenrisiko.
Klumpenrisiko bedeutet das Risiko einer zu großen Konzentration, also mangelnder Diversifikation. Bei Aktien bedeutet das bspw., dass viele der Unternehmen, in die ich investiert bin, in ähnlichen bzw. miteinander korrelierenden Geschäftsfeldern tätig sind oder dass sie von einer bestimmten Region abhängig sind, weil sie dort ansässig sind oder einen Großteil ihres Geschäfts dort machen.
Bei der Home Bias wird es verpasst, das Geld über verschiedene Regionen zu streuen. Auch wenn viele Unternehmen global tätig sind, korrelieren die verschiedenen Regionen und Aktienmärkte auf der Welt nur bedingt.
Ein Beispiel: Während deutsche Unternehmen im Winter 2022 unter hohen Energiepreisen ächzen, schaut die US-Wirtschaft eher gelassen auf das Thema. Sie könnte hier signifikante Wettbewerbsvorteile erzielen.
Wenn ein Großteil meines Vermögens in den DAX investiert ist, dann fokussiere ich einerseits auf einen vergleichsweise kleinen Aktienmarkt und ich habe eine hohe Abhängigkeit von der Wertentwicklung dieses einen Indizes und von der Situation in Deutschland.
Zudem hat der DAX mit einem hohen Fokus auf die Automobil- und Industriebranche viele Aktien, die sensibel auf Preisentwicklungen bei Energie reagieren. Demgegenüber gibt es im DAX keine Rohstoffunternehmen und nur wenig Technologie.
Wenn ich also nur oder überwiegend in den DAX oder in Einzelaktien aus dem DAX investiert bin, dann habe ich bei steigenden Energiepreisen möglicherweise ein Problem.
Die Gefahr von Home Bias ist, dass man Renditepotenziale verschenkt
Das meint, dass man über einen langen Zeitraum eine geringere Rendite erwirtschaftet, als mit einem geografisch breitgestreuten Portfolio.
Da erinnern wir uns an die Ausgabe über die wunderbare Kraft des Zinseszins: auf den ersten Blick mag eine um nur wenige Prozentpunkte geringere Rendite nicht so gravierend aussehen.
Über einen langen Zeitraum von zum Beispiel 20 oder 30 Jahren schlägt hier aber der Zinseszins voll durch. Und dann reden wir über wirklich signifikante Beträge, die Du auf der Straße liegen lässt.
Man kann auch die Frage stellen, wie gut der Standort Deutschland und deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich mit der Digitalisierung klarkommen bzw. wie sie für die nächsten Jahre und Jahrzehnte aufgestellt sind.
Das sprengt den Rahmen dieser Folge. Aber man kann schon feststellen, dass Deutschland einen hohen Anteil Old Economy hat. Also die eher traditionelle Wirtschaft mit einem Schwerpunkt in zum Beispiel Maschinenbau, Industrie und Automobilwirtschaft. Während die großen Digital-Innovationen der letzten Jahre vornehmlich aus Asien und Amerika kamen.
Deutschland ist eine wohlhabende Industrienation. Aber dieser Zustand ist auch nicht auf ewig in Stein gemeißelt. Die hiesige Wirtschaft steht nicht nur wegen Entwicklungen wie der Elektrifizierung der Automobilindustrie vor großen Herausforderungen.
Im Januar 2023, da meldete das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, dass Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit mit Blick auf Bürokratie, Steuerlast, Energiekosten und Fachkräftemangel weiter zurückgeht.
Zeitgleich häuften sich die Meldungen über Abwanderungspläne deutscher Unternehmen ins Ausland. So hat das Mainzer Pharma-Unternehmen BionTech angekündigt, seine Krebsforschung nach Großbritannien zu verlegen.
Der Industriegase-Konzern Linde hat sich von der Frankfurter Börse zurückgezogen und ist zukünftig nur noch in New York gelistet. Der DAX hat damit sein nach Marktkapitalisierung größtes Unternehmen verloren.
Der Chemieriese BASF wiederum kündigte weitreichende Investitionen in China an, während in Deutschland Einsparungen und womöglich Massenentlassungen drohen.
Deutschland ist ein starker Wirtschaftsstandort und auch im DAX sind erfolgreiche global aufgestellte Unternehmen.
Also die Botschaft ist nicht, dass Du Investitionen in Deutschland ausklammern solltest. Die Botschaft ist, dass der Erfolg nicht immer gegeben sein muss.
Es gibt Herausforderungen und in der Wirtschaftswelt herrscht globaler Wettbewerb. BMW, SAP und die Lufthansa sind sicherlich tolle Unternehmen, aber ihr fortwährender Erfolg ist nicht zwingend gegeben.
Es geht darum, die richtige Balance in seinem Portfolio zu haben.
Eine übermäßige Home Bias bedeutet eine geringe Diversifikation und eine hohe Konzentration. Das sorgt für ein erhöhtes Risiko und die Rendite kann geschmälert werden.
Und um Risiken zu managen und Kapitalverlust zu vermeiden, solltest Du über verschiedene Regionen hinweg diversifizieren. Weitere Details zu Risiko an der Börse, kannst Du auch nochmal in Folge 7 nachhören.
Was kannst Du tun, um Home Bias zu vermeiden?
Der Schlüssel ist Diversifikation. In einem breitgestreuten Portfolio können Unternehmen aus dem DAX ebenso ihren Platz finden, wie aus anderen europäischen Ländern, den USA, Japan oder auch aus Schwellenländern.
Ein Stichwort ist hier ETF.
Kurze Erinnerung an die Ausgabe über die ersten Schritte der Geldanlage:
ETF steht für Exchange Traded Fund oder auch an der Börse gehandelter Fonds. Ein ETF ist ein Aktienfonds, der oft viele 100 oder 1000 Aktien enthält und einen Aktienindex nachbildet.
Und ETFs bieten den Vorteil, dass sie sehr kostengünstig sind und dass Du mit geringem finanziellen Einsatz den Markt in seiner Breite abdecken kannst und das Risiko von der schlechten Performance einzelner Aktien minimierst.
Ein breitgestreutes Portfolio kannst Du mit den passenden ETFs einfach und ohne viel Arbeit zusammenstellen. Damit vermeidest Du Klumpenrisiken und hast Dein Portfolio über verschiedene Regionen und Branchen breit gestreut. Dann bist Du nicht von der Performance oder von Ereignissen in einem einzelnen Markt abhängig. Dann könnten Kursrückgänge in einer Region vielleicht durch Kursgewinne in einer anderen Region kompensiert werden.
Wenn Du einmal Deinen ETF- oder Aktienmix definiert hast, dann kann es ebenfalls hilfreich sein, dass Du Dir ein klares Regelwerk auferlegst. Zum Beispiel mit einem Sparplan, über den Du monatlich in die von Dir ausgewählten Wertpapiere investierst. Du könntest ebenfalls mit Quoten arbeiten, also zum Beispiel, dass deutsche Aktien nicht mehr als bspw. 5% Deines Depots ausmachen sollen.
Solche Regeln helfen Dir dabei, dass Deine Investitionsentscheidungen klar strukturiert sind und rational erfolgen.
Denn je weniger Du diese Entscheidungen aktiv treffen musst, sie Dir also durch Deine Regeln abgenommen werden, desto mehr verringert Du das Risiko, aus einer eher kurzfristigen Laune heraus unüberlegt und emotional zu handeln.
Wissenswertes zur Home Bias nochmal zusammengefasst:
Durch Home Bias neigen wir dazu, dass ein zu hoher Teil unseres Portfolios mit Wertpapieren aus unserem Heimatland oder unserer Heimatregion besteht.
Die Folge ist ein Klumpenrisiko und die Gefahr einer unterdurchschnittlichen Rendite. Durchdie Kraft des Zinseszins wirkt sich das über einen langen Zeitraum stark auf unser Vermögen aus.
Das Ziel sollte ein hinsichtlich Branchen, aber auch Regionen breit diversifiziertes Portfolio sein.
Auch wenn die Weltwirtschaft durch die Globalisierung miteinander verwoben ist, verringerst Du durch Diversifikation die Wahrscheinlichkeit, dass ein negatives Ereignis in einer Branche oder in einer Region sich allzu stark auf dein gesamtes Portfolio auswirkt.
Ein solch diversifiziertes Portfolio lässt sich zum Beispiel mit ETFs und einem klaren Regelwerk wie einem Sparplan ziemlich leicht und ohne großen Aufwand umsetzen.
Das Titelbild ist in der Steiermark entstanden.