Hetty Green – Die Königin der Wall Street

Hetty Green, die Königin der Wall Street, galt seinerzeit, also Ende des 19. Und Anfang des 20. Jahrhunderts, als die reichste Frau Amerikas. Und wie Hetty Green es in dieser Zeit als Frau bis an die Spitze schaffte und mit welchen Problemen sie dabei zu kämpfen hatte, darum geht es in dieser Folge.

Hier geht es zum Podcast:

Wenn über die größten Investoren aller Zeiten gesprochen wird, dann fallen in der Regel Namen von Männern wie Warren Buffett oder Peter Lynch. 

Und das Thema Finanzen scheint insgesamt sehr männlich dominiert. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Laut einer Studie des deutschen Aktieninstituts von 2021 investieren in Deutschland nur 12% der Frauen und rund 23% der Männer. 

Die Quote ist also insgesamt niedrig, nur ca. 15% der Deutschen investieren ihr Geld. Aber bei Frauen ist die Zahl nochmal besonders gravierend. Es gibt aber keinen Grund, warum Frauen nicht ebenso gut mit Geld umgehen und investieren können wie Männer.

Tatsächlich legen Studien immer wieder nahe, dass Frauen besser mit Geld umgehen können. Gründe wären bspw., dass sie vorsichtiger agieren und investieren, dass sie Entscheidungen weniger erratisch treffen und dass sie eher langfristig denken.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass in Schwellenländern Mikrokredite für Familien in prekären Verhältnissen eher Frauen als Männern gewährt werden, da diese erfahrungsgemäß das geliehene Geld sorgsamer nutzen und den Kredit eher zurückzahlen.

Trotzdem, Geld und Finanzen scheint eine männliche Domäne zu sein und da ist die Geschichte von Hetty Green besonders erfrischend, die bereits im 19. Jahrhundert eindrucksvoll gezeigt hat, dass Frauen trotz aller Vorurteile und Widerstände die besseren Investoren sein können.

Hetty Green wurde 1834 in eine wohlhabende Familie im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts geboren.

Es ist überliefert, dass sie bereits im Alter von sechs Jahren ihrem Vater und ihrem Großvater die Börsenberichterstattung oder auch Geschäftsberichte von Unternehmen vorlas und dass sie mit acht Jahren ihr erstes Bankkonto eröffnete.

Also sie kam wirklich sehr früh in Kontakt mit der Börse und da schließt sich etwas der Kreis zu Folge 26 über die Summe der Erfahrungen:

Wenn man in Kindheit und Jugend einen Zugang zu Finanzen vermittelt bekommt oder wenn Geld in der Familie auch beim Abendessen besprochen wird und das Thema nicht negativ behaftet ist, dann hat man einen ganz anderes Verhältnis zu Finanzthemen, als wenn Geld in Kindheit und Jugend eher ein Tabu ist oder als Limitierung wahrgenommen wird.

Hetty jedenfalls erwies sich als äußerst geschickt im Umgang mit Geld und als sie 13 Jahre alt war, übernahm sie sogar die Buchhaltung für ihre Familie. Neben diesem Bildungsvorsprung hatte Hetty auch sonst eine für Finanzen vorteilhafte Herkunft und durch verschiedene Erbschaften kam sie auf ein Vermögen von zunächst fünf Millionen Dollar, was heute ungefähr 90 Millionen Dollar entspricht.

Also man kann sagen, dass das Leben es finanziell betrachtet gut mit ihr gemeint hat, aber es fällt auch nicht schwer sich vorzustellen, mit welchen Vorurteilen und Hindernissen sie als Frau, als Investorin im 19. Jahrhundert zu kämpfen hatte. 

Das zeigt sich zum Beispiel an ihrem damaligen Spitznamen. Der lautete nämlich nicht Königin sondern Hexe der Wall Street, was nicht nur äußerst despektierlich ist. Es verkennt auch, wie erfolgreich sie tatsächlich war und dass sie durchaus in einer Reihe mit damaligen Wirtschaftskoryphäen wie dem Banker J.P. Morgan stand.

Die Skepsis gegenüber ihren Fähigkeiten, einfach weil sie eine Frau war, zeigte sich auch daran, dass sie ihr väterliches Erbe nicht erhielt, sondern dass dieses von einem Verwalter kontrolliert wurde, der ihr monatlich einen Betrag auszahlte. 

Doch statt sich davon ein Luxusleben zu finanzieren, kaufte Hetty Green amerikanische Staatsanleihen, die zur Finanzierung des Bürgerkriegs gegen die Südstaaten ausgegeben wurden. Und sie kaufte immer weiter. Selbst als im Markt große Skepsis darüber herrschte, ob sich die noch junge Nation nach dem Bürgerkrieg positiv entwickelt, war sie unbeirrt, sie kaufte die Anleihen zu Niedrigpreisen und machte in kurzer Zeit ihr erstes eigenes Vermögen.

Dieses Prinzip von günstig kaufen und teuer verkaufen, das wir auch von anderen Investoren kennen, das behielt Hetty Green auch bei weiteren Wertpapiergeschäften bei.

Der New York Times sagte sie einmal, dass dies das Geheimnis ihres finanziellen Erfolgs sei: Wertpapiere billig kaufen, wenn sie niemand will, warten bis der Wert steigt und alle sie kaufen wollen.

Und was sich hier so einfach anhört, ist in der Praxis natürlich etwas komplizierter. Aber sie wusste schon sehr genau, was sie tut. Und sie hat nicht wild spekuliert, sondern ist sehr besonnen vorgegangen. Zum Beispiel hielt sie immer große Mengen Bargeld vor.

Und das half ihr, sich bietende Chancen wahrzunehmen. Zum Beispiel beim großen Finanzcrash von 1907, auch bekannt als die Panik von 1907. Dabei fielen die Kurse an der New Yorker Börse um fast die Hälfte. Hetty Green wiederum hatte viel Bargeld, kaufte billig und machte einen hohen Gewinn. 

Laut Hetty Green ist Reich werden keine Kunst.

Man müsse nur billig kaufen und teuer verkaufen, sowie klug und sparsam agieren. Und mit diesem sehr klugen Verhalten wurde sie für viele zwar zum geschäftlichen Vorbild. Aber auch das Misstrauen stieg, eben weil sie eine erfolgreiche Frau war und weil sehr viele Menschen und Organisationen ihr Geld schuldeten, die sie auch schonmal mit einer Pistole eintrieb.

Sie hatte ein äußerst gesundes Selbstbewusstsein und sie wusste um ihre Fähigkeiten. Und den Vorurteilen als Frau begegnete sie schon fast trotzig mit der Überzeugung, dass Frauen sowie die besseren Investoren sein. 

Von sich selbst sagte sie, dass sie mehr über Aktien wusste als Männer, die damit ihr Geld verdienten. Insgesamt war sie der Meinung, dass 

“eine gute Geschäftsfrau oft smarter ist als ein guter Geschäftsmann. Sie scheint eine intuitive Wahrnehmung zu besitzen, die Männern fehlt.“ 

Und dabei war ihr immer bewusst, dass sie trotz ihres vermögenden Hintergrunds kämpfen und sich durchsetzen muss, um ihr Stück vom Kuchen zu bekommen. So soll sie gesagt haben, dass sie gekommen ist, um sich zu holen, was ihr zusteht. Und bei ihrer Hochzeit pochte sie auf einen harten Ehevertrag, um sicherzustellen, dass ihr ebenfalls wohlhabender Gatte im Fall der Scheidung nicht einen Cent erhält.

Als Hetty Green schließlich 1916 in New York verstarb, war sie die reichste Frau und hinterließ ein Vermögen von umgerechnet mehreren Milliarden Dollar.

Hetty Green war nicht nur überaus erfolgreich mit ihren Geschäften. 

Ihr Erfolgsgeheimnis ist wohl auch in ihrer Sparsamkeit begründet. Sparsamkeit, das war für sie eine überaus wichtige Tugend, die sie ihr Leben lang verfolgte.

Zu ihrem 21. Geburtstag soll Hetty Green die Kerzen auf ihrem Geburtstagskuchen nicht angezündet haben, um diese am nächsten Tag im Laden zurückzugeben. Eines Tages erhielt sie von ihrem Vater 1.200 Dollar für ein Ballkleid. Daraufhin kaufte sie eines für 200 Dollar und sparte den Rest. 

Ihre Sparsamkeit zeigte sich nicht nur bei Konsum- oder Luxusartikeln. Ihr ganzer Lebensstil war darauf ausgelegt.Während andere Magnaten ihrer Zeit in teuren Häusern in vornehmer Lage wohnten, lebte sie in günstigen Wohnungen im wenig glamourösen und hauptsächlich von Einwanderern bewohnten Vorort Hoboken. 

Hetty Green vermied es, ihre Wohnung zu heizen und warmes Wasser nutzte sie auch nicht. Zudem meldete sie sich nicht offiziell bei den Behörden, um Steuern zu umgehen, was nach ihrem Tod, als es um die zu zahlende Erbschaftssteuer ging, mehrere Gerichte beschäftigte. Und statt ein Büro zu mieten, nutzte sie den öffentlichen Schalterraum der Seaboard National Bank, um ihren Papierkram zu erledigen. Nebenbei war sie die größte Anteilseignerin der Bank.

Diese etwas schrullige Sparsamkeit, die kennen wir auch anderen reichen Menschen wie Warren Buffett oder dem verstorbenen IKEA-Gründer Ingvar Kamprad. Darüber hatte ich in Folge 38 Wer den Pfennig nicht ehrt gesprochen. Und vielleicht ist oft auch ein Grund für Wohlstand eine gewisse Genügsamkeit und Bescheidenheit.

Hetty Green zog ihre Sparsamkeit nicht nur durch, sondern sie war regelrecht knauserig. 

Sie war zum Beispiel bekannt dafür, immer das gleiche Kleid zu tragen, wobei sie nur die dreckigsten Stellen wusch, um Seife zu sparen. Das erinnert an die Geschichte von Ronald Read aus Folge 9 “wie ein Tankwart Millionär wurde”. Der seinen alten Mantel mit Sicherheitsnadeln verschloss. Jedenfalls gibt es zahlreiche weitere Anekdoten über ihre Sparsamkeit, die ihr sogar einen Eintrag ins Guiness Buch der Rekorde als weltgrößten Geizhals einbrachte. 

Also um das einzuordnen: Ich rufe nicht dazu auf, der extremen Sparsamkeit einer Hetty Green nachzueifern. Gleichwohl sollte man sich immer wieder bewusst machen, dass manch eine Konsumentscheidung bei näherem Hinsehen vielleicht auch verzichtbar ist.

Weitere Details dazu kannst Du zum Beispiel in Folge 36 über richtiges Sparen oder in Folge 57 über finanzielle Freiheit und die FIRE Bewegung nachhören.

Ich finde, dass die Geschichte von Hetty Green zwar inspirierend und auch interessant ist. Sie taugt meiner Meinung nach aber nur bedingt als Vorbild.

Ich finde es wirklich bemerkenswert, wie sie sich in ihrer Zeit in einer von Männern dominierten Welt durchsetzte. Und ich kann mir vorstellen, dass sie echt bittere Erfahrungen machen musste, als Expertin auf ihrem Gebiet, die dann einfach nur, weil sie eine Frau ist, immer wieder zurückgewiesen wird. 

Ich bin ja grundsätzlich ein großer Freund von Sparsamkeit. Aber ihre Sparsamkeit wirkt schon etwas extrem. Selbst auf dem Sterbebett soll ihre größte Sorge gewesen sein, dass ihr Sohn das ganze Geld verprasst. 

Hetty Green aber war es egal, was andere von ihr dachten, was neben dem Neid und der Missgunst bestimmt dazu beigetragen hat, dass sie bei vielen unbeliebt war. Und vielleicht war ihr Verhalten auch eine Reaktion auf die Gehässigkeit, die ihr entgegenschlug. 

In jedem Fall war Hetty Green eine großartige Geschäftsfrau. Sie war mutig, aber bei ihren Finanzentscheidungen ging sie sehr bedacht vor.

Ihr Credo war, dass man mit übermäßiger Vorsicht mehr Geld macht als mit grober Fahrlässigkeit.  Das erinnert an einen Gedanken aus Folge 21 über die Kunst ein Vermögen zu erhalten: Auch wenn man noch dabei ist, ein Vermögen aufzubauen, sollte man es unbedingt vermeiden, das Erreichte ins Risiko zu stellen. Wohlstand zu bewahren bedeutet nicht unbedingt, noch reicher zu werden, sondern zu überleben. 

Hetty Green war eine wirklich starke Vorreiterin für die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen.

Sie selbst sagte:

„Solange Frauen nicht mit dem Sparen anfangen, werden wir nicht viele weibliche Millionäre in diesem Land haben.“

Und ihre Unabhängigkeit von ihrem Vater, dem eingesetzten Vermögensverwalter oder auch von ihrem Ehemann unterstrich sie mit der Aussage, dass eine gute Geschäftsfrau üben und trainieren sollte, ihrem eigenen Urteilsvermögen zu vertrauen.

Dazu wäre ein ergänzender Gedanke von mir: Solange Menschen ihr finanzielles Schicksal nicht vermehrt selbst in die Hand nehmen, verschenken sie ein gutes Stück Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. 

Daher sollte die Geschichte von Hetty Green in diesem Sinne auch als Ermutigung verstanden werden.

PS: Das Titelbild ist in Mailand entstanden.

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