Grenznutzen

Der Grenznutzen und das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens: Wie der Nutzen von Konsum oder auch Geld nicht immer weiter ansteigt, sondern ebenfalls abnehmen kann. Und was der abnehmende Grenznutzen nun für Dich als Konsument bedeuten kann.

Hier geht es zum Podcast:

Was ist der Grenznutzen?

In Folge 55 über das Easterlin-Paradox habe ich mich mit dem Zusammenhang von Wohlstand und Glück befasst. Und in diesem Kontext gibt es in der Volkswirtschaftslehre das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens, auf Englisch the law of diminishing marginal utility. Sehr verwandt dazu das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge, the law of diminishing marginal returns. 

Das Konzept über den abnehmenden Grenznutzen ist ein – wie ich finde – interessanter Ansatz, um sich mit der schon ziemlich existenziellen Frage zu beschäftigen, ob mehr Geld oder auch mehr Konsum glücklich macht.

Aber der Reihe nach. Was ist das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens?

Stell Dir vor, Du machst eine Wanderung durch die Wildnis. Es ist irre heiß. Du hast noch mehrere Stunden vor dir. Und plötzlich stellst Du fest, dass Du Dein Getränk vergessen hast. Nach einiger Zeit kommst Du an eine Quelle. Du hast schon wahnsinnigen Durst, Dein Mund ist vollkommen ausgetrocknet. Und jetzt stell Dir vor, wie gut der erste Schluck kühles Wasser ist. Auch der zweite Schluck ist fantastisch. Schluck Nummer drei ist immer noch sehr gut, kommt aber nicht an das Wohltun des ersten Schlucks ran. Und das geht mit jedem weiteren Schluck so weiter, bis Du schließlich keinen Durst mehr hast.

Der Grenznutzen ist der Nutzenzuwachs, den Du aus jedem zusätzlichen Schluck ziehst. Dieser zusätzliche Nutzen wird mit jedem Schluck kleiner. Und die Tatsache, dass mit jedem Schluck der Nutzen kleiner wird, das ist das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens.

Oder etwas verkopft ausgedrückt: Der abnehmende Grenznutzen beschreibt, dass jede zusätzliche Einheit einer Sache zu einem immer geringeren Anstieg des subjektiven Nutzens derselben führt. 

Nutzen meint, wie viel tatsächlichen Nutzen, wie viel Zufriedenheit, Freude oder auch Mehrwert wir aus einer Sache, zum Beispiel einer Ware oder Dienstleistung ziehen.

Drei Stücke Schokolade sind vielleicht besser als zwei. Aber das zehnte Stück wird nicht wesentlich besser sein als das neunte und vielleicht ist es sogar zu viel.

Der Grenznutzen und die Grenzerträge

Wie eingangs erwähnt, ist das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens ähnlich dem Gesetz der abnehmenden Grenzerträge, auf Englisch the law of diminishing marginal returns. 

In der Wirtschaftswissenschaft ist damit der Rückgang eines inkrementellen, eines zusätzlichen Ertrags gemeint, wenn die Menge eines einzelnen Produktionsfaktors erhöht wird. Ein Produktionsfaktor ist zum Beispiel Arbeitskraft oder auch eingesetztes Kapital. Also wie auch beim Gesetz des abnehmenden Grenznutzens gilt beim abnehmenden Grenzertrag, dass der Wert einer Sache abnimmt, je mehr man sie nutzt.

Stell Dir ein Geschäft vor, das einen hohen Kundenandrang hat. Diese Kunden wollen beraten werden, dafür braucht es Verkäufer. Und die Frage ist, wie viele Verkäufer optimal sind. 

Wenn es zu wenige Verkäufer gibt, ist das Geschäft unterbesetzt. Rein wirtschaftlich betrachtet sind alle Käufer maximal ausgelastet, was ja gut ist. Wenn ich aber als Kunde eine Frage habe, dann renne ich quer durch den Laden, um überhaupt einen Verkäufer zu finden, der nicht im Verkaufsgespräch ist. Und vielleicht kaufe ich dann nicht oder ich zücke mein Handy und bestelle gleich online. Das Geschäft muss also mehr Verkäufer einstellen.

Jeder zusätzliche Verkäufer ist komplett ausgelastet und mit jedem zusätzlichen Verkäufer steigt der Umsatz in gleichem Maße. 

Das geht solange, bis das Geschäft schließlich die optimale Anzahl an Verkäufern hat. Die Verkäufer sind alle ausgelastet und gleichzeitig sind es genügend Verkäufer, um jeden Kunden zu bedienen. Alle Kunden sind gut betreut, kein Umsatz geht verloren. 

Und mit jedem zusätzlichen Verkäufer, also oberhalb der optimalen Anzahl an Verkäufern, verbessert sich das Betreuungsverhältnis der Kunden durch die Verkäufer weiter. Da das Geschäft aber immer noch gleich groß ist und es eine gleich große Anzahl an Kunden gibt, verringert sich die Effizienz der Verkäufer.

Oder anders ausgedrückt: Jeder zusätzliche Verkäufer steht für einen geringeren zusätzlichen Umsatz. Der Grenzertrag nimmt ab oder anders ausgedrückt: der Umsatz pro Mitarbeiter sinkt

Und das geht bis zu dem Punkt, an dem es zu viele Verkäufer gibt. Dann findet immer noch jeder Kunde einen Verkäufer, aber die Verkäufer sind auch immer wieder nicht beschäftigt oder sie stehen sich gegenseitig auf den Füßen. Mit zusätzlichen Verkäufern steigt der Umsatz nicht mehr, sondern nur die Kosten. Das Geschäft sollte nun entweder einige Verkäufer entlassen oder sich vergrößern. 

Und in allen drei genannten Stadien – zu wenig, genau richtig, zu viele Verkäufer – sind die Grundfläche und das Erlöspotenzial des Geschäfts konstant. Durch die Erhöhung der Anzahl der Mitarbeiter steigen Effizienz und Produktivität zunächst, bis sie das Optimum erreichen und dann sinken Effizienz und Produktivität, die Grenzerträge nehmen ab.

Kommen wir nochmal zurück auf die Ausgangsfrage, ob mehr Geld glücklich macht.

In Folge 55 “Das Easterlin-Paradox” habe ich darüber gesprochen, wie schwierig es ist, eine Korrelation zwischen dem individuellen Glücksempfinden und konkreten Geldbeträgen herzustellen. Es gibt hierzu auch immer wieder Streit in der Wissenschaft. 

Jedenfalls haben Daniel Kahneman und Angus Deaton hierzu festgestellt, dass Menschen in wohlhabenden Ländern mit steigendem Einkommen nicht glücklicher sind, wenn sie bereits ein Jahreseinkommen von 60.000 bis 90.000 Dollar erzielen.

Also wenn jemand 30.000 Dollar verdient, dann erfährt er oder sie sehr viel mehr Glück, wenn dieser Betrag auf 60.000 Dollar steigt. Laut Kahneman und Deaton würde sich eine weitere Erhöhung um 30.000 Dollar auf dann 90.000 Dollar nur wenig auf das persönliche Glück auswirken. Das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens würde dies ebenfalls bestätigen. 

Abseits von vielen weiteren möglichen Faktoren, die das persönliche Glück beeinflussen, könnte man daraus ableiten, dass Millionäre zwar glücklicher sind als Normalverdiener. Aber dass Normalverdiener ungleich glücklicher sind als Geringverdiener. 

Wenn ich wenig Geld besitze, dann kann sich meine persönliche Situation und auch mein persönliches Glück enorm verbessern, wenn ich 10.000 € erhalte. Bin ich hingegen Multimillionär, dann machen 10.000 € mehr vielleicht gar nicht so sehr den Unterschied für mich.

Man könnte auch argumentieren, dass es einen vielleicht etwas widersprüchlich erscheinenden Zusammenhang zwischen dem Grenznutzen und Verlustangst gibt. Zwar wird ein sehr wohlhabender Mensch nicht unbedingt zufriedener, wenn er z.B. 10.000 € zusätzlich erhält. Er empfindet es aber vermutlich als belastend, wenn er – z.B. durch ungeschickte Entscheidungen – 10.000 € verliert. Das Stichwort hierzu ist Verlustaversion, über die ich in Folge 10 gesprochen habe. Und dieses Phänomen kann ebenfalls erklären, warum Anleger Gewinne zu früh realisieren, nämlich aus der Angst sie wieder verlieren zu können.

Der Grenznutzen und Konsum

Also mehr Geld und mehr Konsum machen uns vielleicht und mit Einschränkungen glücklicher. Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Das Geschäft versucht im beschriebenen Beispiel die optimale Menge an Verkäufern zu beschäftigen, sodass der Nutzen maximiert wird. Doch was können wir, als Verbraucherinnen und Verbraucher, mit Blick auf einen sinkenden Grenznutzen nun tun?

Zunächst sollten wir beachten, dass wir den abnehmenden Grenznutzen in vielen Bereichen beobachten können. 

In Folge 82 hatte ich über das Pareto-Prinzip gesprochen. Nach dem Pareto-Prinzip resultieren 80% der Ergebnisse aus 20% der Ursachen. Anders ausgedrückt: 20% des Arbeitsaufwandes sind für 80% der Ergebnisse ursächlich. Diese 20% haben demnach die höchste Produktivität. Oberhalb dieser 20% sehen wir entsprechend abnehmende Grenzerträge. Entsprechend könntest Du hinterfragen, welche Arbeiten oder Aufgaben Du erledigst oder zumindest priorisierst und welche vielleicht nicht den großen Unterschied machen oder besser delegiert werden.

Das Prinzip der abnehmenden Grenznutzens kann uns auch als Verbraucher begegnen. 

Angenommen, ich brauche ein neues Handy. Dann wird der Unterschied zwischen einem Modell für 50 € und einem für 500 € vermutlich enorm sein. Da würde man erwarten, dass das teurere Modell besser verarbeitet ist, eine längere Akkulaufzeit hat oder über eine bessere Kamera verfügt. Wenn ich hingegen vor der Wahl stehe, ein Handy für 700 € oder eines für 800 € zu kaufen, dann ist der Unterschied vermutlich nicht so groß.

Bei Konsumgütern gibt es Angebote, wonach mir der zweite gekaufte Artikel zum halben Preis angeboten wird. Das hat ebenfalls den abnehmenden Grenznutzen als Hintergrund. Vermutlich brauche ich den ersten Artikel und habe eine entsprechend hohe Zahlungsbereitschaft. Der zweite Artikel ist für mich vielleicht nice to have, der zusätzliche Nutzen dieses Artikels ist für mich aber geringer. 

Natürlich kann es ebenfalls sein, dass ich nur vom Rabatt angelockt bin. Oder auch: mich ereilt Verlustangst, wenn ich diese Rabattgelegenheit nicht ergreife. In jedem Fall ist meine Zahlungsbereitschaft geringer als bei Artikel Nummer 1 und es ist davon auszugehen, dass der Verkäufer trotz des Rabatts einen zwar sinkenden, aber immer noch positiven Grenzertrag erwirtschaftet. Trotzdem zahle ich für Artikel Nummer 2 immer noch Geld. Und da kann es sinnvoll sein zu hinterfragen, ob ich den Artikel wirklich benötige. 

Grenznutzen und der Marginalismus

Der Jurist Hermann Heinrich Gossen lebte im 19. Jahrhundert. Und er gilt als einer der wichtigsten Vertreter der sogenannten Grenznutzenschule, auch Marginalismus genannt.

Er würde uns vermutlich raten, dass wir unseren Konsum diversifizieren, um unseren Nutzen zu maximieren, wobei er wohl ebenfalls darauf drängen würde, dass wir das jeweils nur so lange tun, wie es uns Nutzen stiftet.

Also angenommen, ich habe mir ein bestimmtes Budget für Freizeitaktivitäten auferlegt. Und nun gehe ich auf die Kirmes. Dann sollte ich nicht dem Automatismus verfallen, mein ganzes Geld an diesem Tag auf den Kopf zu hauen. Das eine Karussell gönne ich mir und die Tüte Popcorn ist auch noch drin. 

Aber habe ich wirklich einen noch schöneren Tag, wenn ich zig weitere Fahrgeschäfte mitnehme und mir noch den Backfisch und die Bratwurst kaufe? Oder maximiere ich meinen Nutzen, wenn ich nur einen Teil meines Budgets ausgebe und ich mir dafür ein paar Tage später noch den Besuch eines Konzerts leisten kann? 

Wie so oft gibt es hier bei der Beschäftigung mit den eigenen Finanzen kein Richtig und kein Falsch. Aber es kann durchaus sinnvoll sein, sich diese Fragen zu stellen, die eigenen Wünsche zu reflektieren und sein Verhalten entsprechend anzupassen.

Das Titelbild ist in Berlin entstanden.

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