Goodharts Gesetz, oder auch:
- Wie und warum wir dazu neigen, falsche Ziele zu definieren.
- Wie das unserem finanziellen Wohlergehen schaden kann.
- Was man stattdessen tun kann, um den langfristigen finanziellen Erfolg nicht zu gefährden.
Hier geht es zum Podcast:
Was ist Goodharts Gesetz?
Die britische Anthroprologin Marilyn Strathern sagte:
When a measure becomes a target, it ceases to be a good measure.
Auf deutsch: Wenn eine Messgröße zu einer Zielvorgabe wird, dann ist sie keine gute Messgröße mehr. Und diese Aussage von Marilyn Strathern beschreibt ein Phänomen, das bekannt ist als Goodharts Gesetz, benannt nach dem ebenfalls britischen Wirtschaftswissenschaftler Charles Goodhart.
Warum ist das so? Warum ist eine Messgröße keine gute Messgröße mehr, wenn sie zur Zielvorgabe wird? Und was bedeutet das?
Im Kern weist Goodharts Gesetz darauf hin, dass es einige Fallstricke gibt, wenn wir Erfolg zu sehr anhand von vereinfachenden Kennzahlen messen. Wenn die Messgröße, die Kennzahl das Ziel ist. Dann kann es passieren, dass wir die Messgröße manipulieren.
Ein Beispiel: In der Schule soll man etwas lernen. Und Noten sollen dabei helfen, zu messen, wie der Leistungsstand der Schüler ist. Wenn nun Lehrer danach beurteilt würden, mit welchen Noten ihre Schüler abschneiden. Dann wären die Noten nicht mehr Messgröße, sondern Zielvorgabe. Dann könnte es bspw. passieren, dass Lehrer die Standards senken oder in Prüfungssituationen die Schüler unrechtmäßig unterstützen, damit diese gute Noten erzielen. Das Ziel mag erreicht sein, die Messgröße ist obsolet.
Das ist meiner Meinung nach ein grundsätzliches Problem von Schulnoten. Das eigentliche Ziel der schulischen Ausbildung ist Verständnis und Vorbereitung auf das Leben. Aber in der Realität geht es um das Erreichen guter Noten, damit man versetzt wird oder um überhaupt Zugang zu weiteren Bildungsmöglichkeiten zu erhalten. Als Konsequenz haben Schüler einen starken Anreiz, ihr Lernen für das Notensystem, das gute Abschneiden in Klausuren zu optimieren und nicht die Inhalte wirklich zu verstehen.
Tatsächlich lässt sich Goodharts Gesetz in vielen Lebensbereichen beobachten.
Angenommen, Du hast Übergewicht, ausgedrückt im Körpergewicht oder BMI als Messgröße. Und nun möchtest Du gesünder werden. Wenn Du nun ein bestimmtes Wunschgewicht anstrebst, dann hast Du die Messgröße als Ziel definiert. Und vielleicht triffst Du dann ungesunde Entscheidungen, um den Gewichtsverlust zu beschleunigen.
Der Erfolg von Politikern wird anhand von Zustimmungsraten gemessen. Diese Messgröße wird zum Ziel. Und in der Folge richten Politiker sich eher danach, was populär ist und nicht unbedingt danach, was in einer Situation sinnvoll wäre.
In der Geschäftswelt können falsch definierte Ziele unethisches Verhalten oder zu kurzsichtiges Handeln fördern.
Es gibt die Anekdote einer Nagelfabrik in der Sowjetunion. Diese hatte als Vorgabe, möglichst viele Nägel zu produzieren. Man kam der Zielvorgabe nach und produzierte winzige Nägel, die aber absolut unbrauchbar waren. Daraufhin wurde das Ziel auf produziertes Gewicht umgestellt. Nun lieferte die Fabrik übergroße und somit ebenfalls unbrauchbare Nägel.
Ein weiteres Beispiel findet sich in Indien, als das Land unter britischer Kolonialherrschaft stand. Und zwar sorgte man sich über die hohe Zahl giftiger Kobras in der Stadt Delhi. Um die Zahl zu reduzieren, wurde eine Belohnung für jede Schlange ausgesetzt, die den Beamten gebracht wurde. Die Bürger kamen der Aufforderung nach und alsbald züchteten sie sogar Schlangen, um diese in Geld einzutauschen. Infolgedessen wurde das Schlangenproblem immer größer.
In Folge 54 über vernetztes Denken hatte ich die Geschichte als Beispiel gebracht, was passiert, wenn man Konsequenzen auf der zweiten Ebene nicht berücksichtigt. Das meint, dass man nicht nur Ursache und Wirkung bedenkt, sondern welche weiteren, nachgelagerten Folgen eine Aktion haben.
Und die Geschichte ist ebenfalls ein Beispiel für Goodharts Gesetz. Die Messgröße war die Anzahl Schlangen in der Stadt. Man gab das Ziel aus, die Anzahl der Schlangen zu dezimieren. Die Messgröße wurde das Ziel.
Wir neigen dazu, auf gesetzte Ziele hin zu optimieren – ungeachtet möglicher Konsequenzen und Probleme.
Und das Beispiel aus Indien zeigt, dass Ziele oft mit Anreizen verbunden sind. Die Kraft von Anreizen, auf englisch Incentives, die ist nicht zu unterschätzen.
Charlie Munger hat dazu gesagt:
“Show me the incentives, and I’ll show you the outcome.”
Auf deutsch: Zeig mir die Anreize und ich zeige dir das Ergebnis.
Für jede Schlange gab es Geld. Also optimierten die Bewohner Delhis danach, möglichst viele Schlangen zu übergeben.
Wenn ein Bankberater danach provisioniert wird, wie viele Finanzprodukte er aus dem eigenen Haus verkauft. Dann ist er einerseits kein Berater sondern Verkäufer. Gleichzeitig hat er wenig Anreiz, mir die für mich besten Finanzprodukte zu empfehlen. Er wird mir eher diejenigen andienen, auf die er incentiviert ist.
Goodharts Gesetz und Deine Finanzen
Kommen wir nochmal zurück zur Aussage von Marilyn Strathern: Wenn eine Messgröße zu einer Zielvorgabe wird, dann ist sie keine gute Messgröße mehr. Wie steht das im Zusammenhang zu den eigenen Finanzen, zu finanziellen Zielen?
Unsere Finanzen sind alleine unsere Sache. Wir müssen uns nicht gegenüber jemandem rechtfertigen oder für unsere Ergebnisse Rechenschaft gegenüber Dritten ablegen. Gleiches gilt für unsere finanziellen Ziele. Finanzielle Ziele können individuell sehr unterschiedlich sein – sei es eine bestimmte Anschaffung, das Erreichen finanzieller Unabhängigkeit, die finanzielle Absicherung im Alter oder auch nur Geld um seiner selbst willen.
Egal welcher Wunsch dem Vermögensaufbau zugrunde liegt, oft haben Menschen eine konkrete Zahl vor Augen, die sie erreichen möchten. Dass es nicht unbedingt empfehlenswert ist, eine konkrete Zahl anzustreben, darüber habe ich in Folge 92 über die magische Million gesprochen.
Und das Erreichen eines bestimmten Geldwertes, eines bestimmten Vermögensmeilensteins oder auch einer bestimmten jährlichen Rendite: Das sind Messgrößen, Kennzahlen.
Wenn ich eine dieser Kennzahlen nun als Ziel ausrufe, dann besteht die Gefahr von falschen Prioritäten und von Manipulation, also dass ich mich selbst belüge. Es kann passieren, dass ich zu fixiert bin auf materielle Dinge und monetären Erfolg. Und darüber vernachlässige ich persönliche Erfüllung, die Freuden des Alltags oder auch Beziehungen zu anderen Menschen. Es besteht das Risiko, dass ich ungeachtet der möglichen Konsequenzen und Probleme auf das gesetzte Ziel hin optimiere.
Wenn ich eine Metrik wie eine bestimmte Rendite oder einen bestimmten Geldwert als Ziel definiere, dann kann das mich dazu verleiten, besonders aggressiv zu investieren. Dass ich zocke und gewagte Wetten eingehe. Dass ich wenig reflektiert den neuesten Trends hinterherlaufe. Dass ich übereilte Entscheidungen treffe. In guten Zeiten mag das aufgehen und mir eine ordentliche Rendite bescheren. Aber gleichzeitig schraube ich das Risiko hoch. Ich erhöhe das Risiko von Kapitalverlust und einer unterm Strich schlechten Rendite.
Anders ausgedrückt: Wenn Dir eine Kennzahl wichtig ist, dann solltest Du keine Ziele auf Basis dieser Kennzahl definieren.
Was können wir nun tun, um mit Goodharts Gesetz umzugehen?
Wir befinden uns in einem Dilemma. Wir nutzen Kennzahlen, um Erfolg zu messen, und gleichzeitig sollten wir diese Kennzahlen nicht als Zielvorgabe nutzen.
Und etwas überspitzt gesagt, sind wir selbst daran auch ein bisschen schuld. Wir dürsten nach Simplifizierung. Wir möchten oft eine einzelne Zahl als Zielvorgabe haben oder um einen komplexen Sachverhalt akkurat auszudrücken.
Stichwort Folge 32 über die Macht der Zahlen: Der Gründer des Vermögensverwalters Vanguard, Jack Bogle, kritisierte, dass wir zwar alles Erdenkliche in Zahlen ausdrücken, aber dass wir Zahlen nicht immer hinreichend einordnen. Seiner Meinung nach sollten wir die Komplexität der Realität und das dahinterliegende, das was die Zahlen ausdrücken, nicht verkennen.
Oft ist die Lage komplexer, als es eine einzelne Kennzahl ausdrücken kann und somit springt es zu kurz, dass wir das Erreichen dieser Kennzahl als Ziel anstreben.
Eine Möglichkeit wäre, dass man mehrere Ziele definiert, um den Facettenreichtum eines Sachverhalts abzubilden bzw. Um alle Aspekte zu berücksichtigen. Also neben dem Ziel zu sparen, könnte ein weiteres Ziel sein, auch regelmäßig in den Urlaub zu fahren. Oder bei der Jobsuche könnte man neben einem bestimmten Gehaltsziel ebenfalls qualitative Ziele definieren, die Spaß bzw. Erfüllung an der Tätigkeit in den Mittelpunkt stellen.
Natürlich kann es sinnvoll sein, die Erhöhung der Sparrate zu forcieren. Insofern kann die Sparrate als Messgröße auch hilfreich sein, um bestimmtes Verhalten zu fördern. Wenn ich aber als Ziel die Maximierung der Sparrate aufrufe, dann tue ich mir vermutlich auch keinen Gefallen, da ich über das Erreichen dieses Ziels andere Aspekte des Lebens vernachlässige.
Und das ist natürlich etwas vertrackt: Es ist ja durchaus legitim, dass ich meine jährliche Rendite verbessern möchte. Und gleichzeitig soll ich eine höhere Rendite nicht als Ziel ausrufen.
Wie gehen das Erreichen von Rendite und Goodharts Gesetz zusammen?
Ich könnte bspw. Als Ziel definieren, dass ich langfristig ein Vermögen aufbauen will. Das wiederum verlangt, dass ich
- regelmäßig spare und
- mein angespartes Geld so investiere, dass es über einen langen Zeitraum eine ordentliche Rendite abliefert.
Für das regelmäßige Sparen kann ich wie in Folge 1 über die ersten Schritte der Geldanlage und Folge 98 über den umgekehrten Haushaltsplan beschrieben, in Abhängigkeit meiner Lebensumstände, meiner Bedürfnisse und meiner finanziellen Möglichkeiten ein zwar ambitioniertes aber immer noch realistisches Budget erstellen, das mich in meinem Leben nicht zu sehr einstrengt. Dann kann ich meine Sparrate messen. Und ich kann regelmäßig prüfen, ob und wie ich mein Budget optimieren kann, um meine Sparrate zu erhöhen, aber ohne meine weiteren Ziele und Wünsche, also bspw. Urlaube, zu untergraben.
Eine langfristig gute Rendite wiederum verlangt natürlich, dass ich mein Geld gewinnbringend anlege. Ich sollte es also nicht nur auf dem Girokonto herumliegen lassen. Und gleichzeitig sollte ich vermeiden, dass ich übermäßige Risiken eingehe, um keine Verluste einzufahren, die meiner Rendite schaden.
Stichwort Folge 14 über die erste Regel des Investierens. Die erste Regel des Investierens lautet: verliere niemals Geld.
Die Rendite ist neben der Sparrate eine Messgröße, eine Kennzahl, mit der ich prüfen kann, ob ich mich beim Erreichen meines langfristigen Ziels, dem Vermögensaufbau, auf einem guten Weg befinde.
Und wie auch bei der Sparrate kann ich dann überlegen, wie ich die Kennzahl Rendite verbessere, ohne mein eigentliches Ziel zu torpedieren. Also wie ich es schaffe, eine höhere Rendite zu erzielen, ohne dass ich das Risiko von Kapitalverlust erhöhe.
Es kann hilfreich sein, dass ich für mich die langfristigen Ziele betone, anstatt auf die kurzfristige Performance zu schielen. Geldanlage und Vermögensaufbau geschieht nicht über Nacht. Die Richtigkeit einer Entscheidung zeigt sich nicht unbedingt am kurzfristig messbaren Ergebnis, sondern in der langfristigen Performance. Es ist weniger bedeutsam, wie meine Rendite in diesem Jahr ist. Entscheidend ist, wie meine langjährige durchschnittliche Rendite ausfällt.
Zudem ist der Erfolg der Geldanlage vielfach durch unser Verhalten bestimmt. Insofern kann es sinnvoll sein, den eigenen Prozess vor das Ergebnis zu stellen und Verhaltensweisen zu fokussieren, die für das Erreichen der langfristigen Ziele hilfreich sind bzw. Mit denen potenziell schädliche Verhaltensweisen vermieden werden.
Das kann man zum Beispiel mit einem Regelwerk machen, das die eigenen Investitionsentscheidungen leitet.
Und wenn ich Geld oder einen bestimmten Geldbetrag als Messgröße und nicht als Ziel verstehe, dann erkenne ich ebenfalls an, dass Geld Mittel zum Zweck, ein Werkzeug, zum Erreichen meiner eigentlichen Ziele und kein Selbstzweck ist. Damit sind wir wieder bei der schon öfters in diesem Podcast angesprochenen Erkenntnis, dass die Beschäftigung mit den eigenen Finanzen auch eine Selbsterfahrung ist.
Es ist durchaus sinnvoll, messbare finanzielle Ziele zu formulieren. Dann kann ich einen klaren Plan entwickeln, mit dem ich diese Ziele erreichen und den Fortschritt messen kann.
Es sind aber meine Werte und meine Wünsche, die meine persönlichen Ziele definieren. Und meine persönlichen Ziele übersetzen sich dann in finanzielle Ziele.
Das Titelbild ist in der Steiermark entstanden.