Glauben oder Wissen beim Investieren: Warum wir glauben, statt zu wissen. Warum das beim Investieren nicht so gut ist. Wie wir es vermeiden, uns selbst oder anderen all zu schnell zu glauben.
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Das mit dem Glauben ist ja so eine Sache.
Religiöser Glauben kann sinnstiftend sein und Halt bieten. Er kann aber ebenso Menschen anderen Glaubens zu Feindbildern machen.
Es gibt politische Überzeugungen, die auf einem bestimmten Gesellschaftsbild fußen. Und auch hier kann der Glaube an etwas, die Überzeugung für etwas große positive Wirkung entfalten, oder auch eine Gesellschaft spalten.
Beim Investieren geht es häufig um das Verständnis eines Sachverhalts, das Verständnis von Zusammenhängen, wobei nicht gegeben ist, dass dieses Verständnis auch richtig ist. Auch hier geht es um Überzeugungen. Um Glauben.
Zum Beispiel beim Investieren in Einzelaktien. Um Gewinneraktien zu identifizieren, sollte man das zugrundeliegende Unternehmen tief verstehen und man sollte der Meinung sein – also glauben -, dass es qualitativ hochwertig ist. Und man sollte ebenfalls von der Qualität der eigenen Analyse überzeugt sein. Darüber habe ich in Folge 74 über das Investieren mit Überzeugung gesprochen.
Verständnis, Überzeugung, Glauben: Das geht deutlich weiter, als das einzelne Unternehmen, die eine Aktie. Beim Investieren geht es sehr grundsätzlich darum, dass wir die Welt, die Komplexität der Realität, verstehen.
Und so, wie es Überzeugungen gibt, ob eine Aktie ein gutes Investment darstellt oder auch nicht, so haben wir ebenfalls eine Vorstellung davon, wie die Welt um uns herum funktioniert. Wir haben einen Glauben, warum sie so ist, wie sie ist. Wir haben ein bestimmtes Weltbild.
Das führt zu der fast schon etwas philosophischen Frage:
Was glaube ich? Und was bräuchte es, damit ich meine Überzeugung, meinen Glauben, ändere?
In Folge 26 über die Summe der Erfahrungen, sagte ich: Wer wir sind, wie wir denken, unsere Überzeugungen, Ziele, die wir verfolgen: Das alles ist stark geprägt durch unsere Erfahrungen. Also bspw. Erziehung, das soziale Umfeld, traumatische Erlebnisse oder auch schicksalhafte Begegnungen.
Und unsere Überzeugungen, unser Glauben und unsere Glaubenssätze werden ebenso durch unsere Lebensumstände geformt. Familie und Beruf, der sozioökonomische Status, aber auch welche wirtschaftlichen Anreize wir haben. Das alles sind Dinge, die beeinflussen, was wir glauben.
Und die Frage zu beantworten, was passieren muss, damit wir unseren Glauben, unsere Meinung ändern: Diese Antwort fällt gar nicht so leicht.
Stichwort Folge 27 über kognitive Dissonanz: Wenn wir mit Informationen konfrontiert sind, die im Widerspruch zu unseren Meinungen und Überzeugungen stehen, dann suchen wir einen Weg, diesen Widerspruch aufzulösen und unsere bestehende Überzeugung aufrechtzuerhalten oder sogar zu stärken.
Wir neigen dazu, widersprüchliche Beweise und Argumente zu ignorieren, sie zu kritisieren oder sie zu verzerren. Wir wollen unser Denken – unseren Glauben – rechtfertigen. Wir wollen unser Selbstbild bewahren. Das soll zumindest für uns sinnvoll und konsistent sein. Wir wollen uns nicht eingestehen, dass wir falsch gelegen oder einen Fehler begangen haben.
Egal wie falsch oder auch überholt unsere Überzeugungen sein mögen: Wir halten oft erstaunlich lang an unserem Glauben fest.
Und neben diesem inneren Druck, dem Wunsch, das eigene Selbstbild zu wahren, gibt es auch äußere Faktoren. Wir suchen nach sozialer Akzeptanz. Wir suchen nach Identität, nach Bestätigung. Vielleicht sind wir der Meinung, dass wir auf der Suche nach Wahrheit, nach der richtigen Erklärung für einen Sachverhalt sind.
Aber wir Menschen sind nunmal sehr soziale Wesen und da überwiegt nicht selten der Wunsch zu gefallen, das Streben nach Zugehörigkeit und der Drang, nicht gegen den Strom zu schwimmen. Oder wie der Autor James Clear sinngemäß gesagt hat:
Jemanden davon zu überzeugen, seine Meinung zu ändern, ist in Wahrheit der Versuch, ihn oder sie davon zu überzeugen, den eigenen Stamm, die Gruppe, der man zugehört, zu wechseln.
Die Autorin Polina Marinova Pompliano greift den Gedanken von James Clear in ihrem Buch Hidden Genius auf. Den eigenen Stamm, die Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, zu wechseln, das mag ein extrem schwieriges Unterfangen sein. Doch der Aufwand lohnt. Hilft es doch, die Realität objektiver zu sehen, also die eigene Meinung hinterfragen zu können. Das ist grundsätzlich eine sinnvolle Fähigkeit, aber gerade beim Investieren ist das essentiell.
Wir wollen verstehen. Wir wollen die Dinge so sehen, wie sie sind. Beim Investieren geht es nicht darum, Recht zu haben oder sich im Recht zu fühlen. Es geht nicht um unser Ego oder um unser Weltbild. Unser Glauben hilft uns nicht weiter, wenn wir falsch liegen.
Gerade an der Börse gibt es viele Gruppen, die sich einer bestimmten Denkschule zugehörig fühlen. Das können begründete Überzeugungen sein, zum Beispiel das Value Investing und das Growth Investing, über die ich in Folge 96 über die Investment-Lehren des Phil Fischer gesprochen habe.
Das sind zwei unterschiedliche Ansätze, man könnte auch sagen Investment-Philosophien. Und beide sind total legitim. Es passiert aber gar nicht selten, dass Überzeugungen sektenhafte Züge bekommen. Dass ein bestimmtes Dogma vorherrscht.
Das sieht man in Phasen der Markteuphorie, wenn die Kurse gefühlt immer weiter klettern. Kritische Stimmen, die dem Glauben des ewigen Wachstums und des schnellen Wohlstands widersprechen, die werden da nicht so gerne gehört. Gleiches sieht man bei sehr angesagten Aktien, bei neuen revolutionären Technologien oder auch bei mancher Krypto-Währung. Auch hier kann ich eine begründete Meinung haben. Aber das Risiko besteht, dass ich glaube. Ich glaube einem Guru, ich glaube dem Zeitgeist, ich glaube dem Hype. Klares und objektives Denken fällt mir schwer. Ich laufe Gefahr auf fehlerhafte Erzählungen hereinzufallen, mein kritisches Denken wird ausgeschaltet.
Oberflächlich betrachtet mögen wir intelligent sein, gebildet, talentiert und erfolgreich.
Geht es nach Pompliano sind wir aber sehr vulnerabel. Wir sind anfällig für blinden oder zumindest naiven Glauben.
Sekten wissen das hervorragend auszunutzen. Das mag so extrem erscheinen. Ganz weit von einem weg. Sowas würde mir doch nicht passieren. Aber frag Dich doch mal: Wann war das letzte Mal, dass Du eine finanzielle oder eine politische Autorität in Frage gestellt hast, von der Du bisher sehr überzeugt warst?
Stichwort Folge 5 über Autoritätsgläubigkeit. Wir leben in einer sehr komplizierten, sich ständig verändernden Welt. Das erzeugt Unsicherheit. Das macht uns anfällig für Autoritäten, die unseren Ängsten und Sorgen mit vermeintlich einfachen Antworten begegnen.
Und das geschieht nicht nur an den Rändern, sondern entlang des gesamten Spektrums. Das betrifft politische Fragen zur Sicherheit der Rente, zur “gerechten” Besteuerung, oder zur Sinnhaftigkeit des Investierens. Und das betrifft unsere Finanzen und die öffentlichkeitswirksam zur Schau getragenen Glaubensbekenntnisse irgendwelcher Experten. Wie man jetzt unbedingt investieren sollte, wie man in wenigen Jahren reich wird oder – auch ein Klassiker – was bei einem vermeintlich aufkommenden Börsencrash zu tun sei.
Mit der Ungewissheit um uns herum müssen wir irgendwie klarkommen. Und die oft einfache Lösung ist es, solche Botschaften zu glauben, auch wenn wir in Wahrheit für einen anderen Zweck manipuliert werden.
Und unser Glaube kann sich durch Echokammern und falsche Autoritäten in den sozialen Medien formen. Es kann aber ebenso das eigene soziale Umfeld sein, in dem der eigene Glauben geteilt und weiter gefestigt wird.
Was können wir nun tun, um nicht blind oder naiv zu glauben?
Was können wir tun, um unseren bestehenden Glauben zu hinterfragen und offen für Alternativen zu sein?
Der Psychologe Philipp Tetlock führte einmal Studie durch, in der er die Probanden in Füchse und Igel einteilte. Diese Unterteilung geht zurück auf den griechischen Dichter Archilochos aus dem 7. Jahrhundert vor Christi.
Demnach weiß der Fuchs sehr viele Dinge. Der Igel weiß eine große Sache. Tetlock beobachtete, dass sich manche Führungskräfte wie Igel verhalten. Sie haben eine Weltanschauung, die auf einigen wenigen sehr fundamentalen Wahrheiten beruht. Und diese eine Wahrheit nutzen sie, um alle möglichen Dinge zu erklären und zu verstehen.
Die Füchse hingegen neigen dazu, sehr inkonsistent zu sein. Ihr Weltbild fußt nicht auf der einen großen Wahrheit, sie schnuppern in viele Argumentationen rein und somit lassen sie sich von vielen verschiedenen Beweisen und Ideen leiten.
Tetlock jedenfalls untersuchte über einen Zeitraum von 20 Jahren, wie gut die Igel und die Füchse sich darin schlagen, Entwicklungen in der Zukunft vorherzusehen. Und er fand heraus, dass die Füchse dabei wesentlich besser abschnitten als die Igel. Tetlock erklärte dies so, dass für einen Fuchs jeder Fehler oder jede falsche Einschätzung nur eine Gelegenheit ist, neue Dinge zu lernen, wodurch er deutlich besser mit komplexen oder auch unvorhersehbaren Fragestellungen umgehen kann.
Das bedeutet zweierlei:
- Unterstreicht das die Notwendigkeit nach Neugier, die Lust auf Neues, ein großes Interesse an den Dingen und den Drang, wirklich verstehen zu wollen. Einfach recht haben zu wollen, das führt uns im Zweifelsfall nicht zur Wahrheit und wir nehmen uns eine Gelegenheit zum Lernen.
- Tetlock hinterfragt mit seiner Beobachtung die Bedeutung von Experten als Wegweiser in einer komplizierten Welt. Der Crash-Guru oder der Krypto-Kenner: Die mögen auf ihrem Gebiet durchaus Sachkunde haben. Es ist aber naheliegend, dass sie Igel-Attribute aufweisen. Dass sie in ihren Überzeugungen gefestigt sind, dass ihre Antworten auf komplexe Fragen sehr eindeutig sind und abwägende Begriffe wie “jedoch”, “zugleich”, “obwohl” wird man von ihnen eher selten hören.
Also anders ausgedrückt: Wenn wir bestehende Überzeugungen aufbrechen möchten, wenn wir unseren Glauben hinterfragen wollen, dann sollten wir Raum für Nuancen schaffen und die Welt nicht in schwarz-weiß, 1 und 0, ja und nein einteilen.
Pompliano ist der Meinung, dass wir der Welt mit einer gesunden Dosis intellektueller Bescheidenheit und Skepsis begegnen sollten.
Der Historiker Daniel J Boorstin sagte dazu:
“Das größte Hindernis für Entdeckungen oder auch Erkenntnis ist nicht Unwissenheit. Es ist die Illusion von Wissen.”
Wenn Du Deine Überzeugungen ändern möchtest, dann musst Du zunächst verstehen, was Du glaubst. Und dann kannst Du Dich mit Deinen Meinungen und auch Vorurteilen auseinandersetzen und Dir zum Beispiel die Frage stellen, was die stärksten Argumente gegen Deine Ansicht sind. Versuche danach zu streben, objektiv zu sein, nicht danach, richtig zu liegen. Das Ziel ist nicht die Bestätigung des eigenen Egos, sondern die Annäherung an die Wahrheit.
Der Astrophysiker und Wissenschaftsjournalist Neil deGrasse Tyson ist der Meinung, dass viele Menschen die Fähigkeit verloren haben, zu beurteilen, was wahr ist und was nicht. Er empfiehlt Skepsis als beste Verteidigung gegen – wie er sagt – schlampiges Denken. Skeptiker stellen in Frage, was sie nicht wissen. Sie sind auf der ständigen Suche nach objektiven Wahrheiten. Und sie erkennen, wenn Beweise und stichhaltige Argumente vorgelegt werden, die ihrer Meinung widersprechen.
Praktisch angewendet kann man es da mit dem verstorbenen Investor Charlie Munger halten. Der war stets darauf bedacht, sich nicht zum Sklaven seiner Überzeugungen und Glaubenssätze zu machen. Er sagte sinngemäß, dass er kein Recht habe, eine Meinung zu einem Thema zu haben, es sei denn, er könne die Argumente gegen seine Position besser darlegen als die Leute, die sie vertreten. Erst wenn er dieses Stadium erreicht habe, sei er qualifiziert zu sprechen.
Das ist ein – wie ich finde – sehr erfrischender Ansatz in einer Zeit, in der zu oft Glauben statt Wissen regiert und in der sich scheinbar jeder zu jedem Thema befähigt fühlt mitzudiskutieren.
Das Titelbild ist in Chicago entstanden.