Gambler’s Fallacy oder auch der Trugschluss der Spieler ist ein im Glücksspiel verbreitetes Phänomen, dass man auch beim Investieren beobachten kann. Ich werde in dieser Ausgabe darüber sprechen bzw. schreiben, was die Gambler’s Fallacy ist, wie und wo sie sich auch beim Investieren bemerkbar macht und wie uns die Gambler’s Fallacy, der auch Glücksspieler erliegen, beim Investieren schaden kann.
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Was hat es mit der Gambler’s Fallacy, dem Trugschluss der Spieler, auf sich?
Gambler’s Fallacy bedeutet, dass man annimmt, dass ein zufälliges Ereignis durch frühere Ereignisse mit einer höheren oder geringeren Wahrscheinlichkeit eintritt.
Das kann man sich ganz gut mit dem Werfen einer Münze vorstellen. Das Beispiel hatte ich bereits in Folge 60 über Recency Bias gebracht: Wenn man eine Münze wirft, dann ist das Ergebnis mit 50% Wahrscheinlichkeit Kopf und mit 50% Wahrscheinlichkeit Zahl.
Angenommen, es wurde mehrmals hintereinander Zahl geworfen. Dann wäre eine mögliche Annahme, dass im nächsten Wurf mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder Zahl geworfen wird. Zahl hat einen Lauf. Und es könnte ebenso passieren, dass man die Wahrscheinlichkeit von Kopf für besonders hoch hält. Zahl fiel schon mehrfach, nun ist Kopf an der Reihe.
In beiden Fällen wird die Eintrittswahrscheinlichkeit aufgrund der vorigen Ereignisse überschätzt. Beide Annahmen, also dass nun Kopf bzw. Zahl fallen müsste, sind ein Trugschluss. Jeder Münzwurf ist ein unabhängiges Ereignis. Bei jedem Wurf liegt die Wahrscheinlichkeit von Kopf oder Zahl bei 50:50. Die Tatsache, dass zuvor mehrmals Zahl geworfen wurde, ändert nichts an der Eintrittswahrscheinlichkeit von Kopf oder Zahl im nächsten Wurf.
Seinen Ursprung hat die Gambler’s Fallacy im Jahr 1820.
Da schrieb der Mathematiker und Astronom Pierre-Simon Laplace in einem Essay davon, dass Männer, die sich Söhne wünschten, mit der Geburt jeder Tochter glaubten, dass nun die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass das nächste Kind ein Junge wird.
Einem breiteren Publikum bekannt wurde die Gambler’s Fallacy unter dem Begriff der Monte-Carlo-Täuschung. Das geht auf eine Begebenheit am Roulettetisch im Casino von Monte Carlo im Jahr 1913 zurück.
Es begab sich, dass die Kugel beim Roulette mehrmals hintereinander auf Schwarz landete. Nun dachten sich die Spieler, dass es an der Zeit sei, dass endlich auch mal Rot kommt. Also wetteten sie, gegen Schwarz, auf Rot. Doch die Kugel landete weiterhin auf Schwarz.
Mit jedem Spiel wuchs ihre Überzeugung für Rot, sie erhöhten ihre Einsätze und somit auch ihre Verluste. Und es dauerte insgesamt tatsächlich 26 Mal, bis die Kugel auf Rot landete. Das Kasino hatte ein Vermögen gemacht, die Spieler hatten enorme Verluste eingefahren.
Nun, da die Gambler’s Fallacy beschrieben ist: Warum erliegen wir diesem Trugschluss?
Warum glauben wir, dass ein zufälliges Ereignis durch frühere Ereignisse mit einer höheren oder geringeren Wahrscheinlichkeit eintritt?
Gambler’s Fallacy hängt eng zusammen mit der zuvor schon angesprochenen Recency Bias, auf Deutsch Aktualitätsverzerrung. Recency Bias beschreibt unsere Tendenz, dass wir jüngsten Ereignissen, Informationen oder Nachrichten eine übermäßig hohe Bedeutung beimessen und dass wir sie auf die Zukunft übertragen.
Ein Grund ist, dass unser Gehirn eine Abkürzung nimmt. Und zwar ist es für uns nicht gut zu ertragen, dass ein Ereignis zufällig ist. Zufälle ergeben für uns keinen Sinn. Die sind unberechenbar und vielleicht auch etwas beunruhigend. Entsprechend versuchen wir, den Zufall zu rationalisieren.
Wir suchen nach einer Erklärung, nach einem Muster, um das Eintreten eines Ereignisses plausibel oder vorhersehbar erscheinen zu lassen. Wir bringen für uns und unser Denken Ordnung ins Chaos.
Und der Spieler erliegt dem Trugschluss, dass er Kontrolle über das Glücksspiel, den Zufall hat – sei es durch bestimmte Fähigkeiten, Strategien oder einen besonderen Prozess.
Wir unterstellen auch, dass nur kleine Stichproben die Gesamtheit hinreichend repräsentieren.
Wir ignorieren den Umfang einer Stichprobengröße. Laut den verstorbenen Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman haben wir eine „Unempfindlichkeit gegenüber der Stichprobengröße“. Als Grund sehen sie auch hier, dass unser Gehirn eine Abkürzung nimmt, um eine Entscheidung zu treffen, nämlich die sogenannte „Repräsentativitätsheuristik“.
- Wir bestimmen die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses durch den Vergleich mit ähnlichen vergangenen Ereignissen.
- Wir erinnern uns an frühere Ereignisse und wir glauben, vielleicht wünschen wir uns, dass bestimmte künftige Ereignisse mit entsprechend höherer Wahrscheinlichkeit eintreten.
- Wir unterstellen, dass kurze Ausschnitte, zufällige Stichproben auch in größeren Stichproben auftreten.
Überhaupt missverstehen wir den Zufall. Wir glauben an Fairness und an Ausgewogenheit. Wenn eine Abweichung des Gleichgewichts stattfindet, dann wird dieses Ungleichgewicht wie in einem selbstkorrigierenden Prozess wieder ausgebügelt. Das unterstellt wiederum, dass es gar keinen Zufall gibt.
Wenn man einen Multiple Choice Test absolviert, bei dem man überhaupt keine Ahnung davon hat, was denn nun die richtigen Antworten sind. Und nun hat man öfters hintereinander zum Beispiel die erste Antwortmöglichkeit ausgewählt. Dann fühlt sich das falsch an. Und vielleicht wählt man dann bewusst mal die zweite oder die dritte Antwort, um eine in den eigenen Augen natürliche Verteilung der Antworten zu reproduzieren.
Nun möchte ich Glücksspiel nicht als ernsthafte Beschäftigung mit den eigenen Finanzen verstanden wissen.
Aber dennoch ist die Frage: Wie zeigt sich die Gambler’s Fallacy beim Investieren?
Wie im vorigen Beispiel mit dem Münzwurf, gibt es auch bei Aktien zwei typische Denkmuster:
Nummer 1: Eine Aktie ist über eine längere Zeit hinweg gestiegen oder gefallen. Nun unterstellt man, dass die Entwicklung anhalten wird. Dazu gibt es das Börsensprichwort “The Trend is Your Friend”.
Gleichzeitig gibt es die dazu widersprüchliche Annahme, dass die Entwicklung nach einer Weile aufhören muss und die Gegenbewegung einsetzt. Das erinnert an Folge 10 über Verlustaversion. Da beschrieb ich die Tendenz von Anlegern, dass sie Gewinneraktien verkaufen und Verlierer bzw. Verlustbringer halten.
Der Investor Peter Lynch sagte hierzu, das sei, wie wenn man die Blumen jätet und das Unkraut gießt. Also richtig ist es genau andersrum.
Dieses falsche Verhalten könnte damit zusammenhängen, dass man den kontinuierlichen Wertanstieg einer Aktie als Anzeichen dafür sieht, dass die Kurse bald zurückgehen werden. Und umgekehrt, könnten Kursverluste dahingehend gewertet werden, dass es bald wieder bergauf geht.
Auch wenn sie sich widersprechen, verbindet beide Denkmustern miteinander, dass sie ein Ereignis der Vergangenheit nehmen und damit die Zukunft erklären, ohne weitere Daten oder Analysen zu berücksichtigen.
Manche schauen auch darauf, wie der Kurs im Vergleich zu einem Allzeithoch in der Vergangenheit liegt.
Auch das tut wenig zur Sache. Vielleicht hat der Markt die Aktie in der Vergangenheit ungerechtfertigt in diese Höhe gebracht. Vielleicht steht das Unternehmen heute schlechter da. Die Tatsache, dass es einen bestimmten Kurs mal gab, schreibt nicht vor, dass er wieder erreicht wird.
Auch die Annahme, dass das Allzeittief eine untere Verlusthürde darstellen sollte, ist falsch. Durch neue negative Entwicklungen kann der Kurs in Zukunft auch noch tiefer fallen.
Tatsächlich ist die Entwicklung von Aktienkursen zumindest kurzfristig betrachtet ziemlich zufällig und nicht oder nur schwer mit einigen dezidierten Variablen oder Ereignissen zu erklären. Und auch wenn die Ereignisse, also die Kursbewegungen, in der Vergangenheit ähnlich verliefen, so kann das jetzige Ereignis komplett anders gelegen sein.
Eine Aktie, die im Kurs gestiegen ist, kann weiter steigen. Und eine Aktie kann sich ebenso von Verlusten auch nicht mehr erholen. Die bisherige Kursentwicklung determiniert nicht die zukünftige Entwicklung.
Entsprechend vorsichtig wäre ich auch mit vermeintlich allgemeingültigen Börsenweisheiten wie zum Beispiel “Sell in May and Go Away” gefolgt von “But Remember to Come Back in September”. Demnach entwickeln sich die Börsen von Oktober bis April besser als in der Periode Mai bis September. Also sollte man im Mai seine Aktien verkaufen und dann im September wieder einsteigen. Das mag historisch betrachtet immer mal wieder so gewesen sein. Ich persönlich würde mein Portfolio aber nicht danach ausrichten. Tatsächlich zeigt eine Langzeit-Betrachtung des amerikanischen Index S&P 500, dass man seit 1973 bei einem Verkauf im Frühjahr durchschnittlich weniger Rendite erzielte, als wenn man die Wertpapiere einfach gehalten hätte.
Was kann man nun tun angesichts der Gambler’s Fallacy? Was bedeutet das für Dich als Anlegerin bzw. Anleger?
Ich bin immer vorsichtig mit absoluten Aussagen. Natürlich entwickeln sich Kurse nicht immer zufällig. Das betrifft einerseits lange Zeiträume. Kurz zur Erinnerung aus Folge 2 über Bärenmarkt und Börsenbeben:
Kurzfristig sind Aktienkurse anfällig für Meinungen, Emotionen und irrationales Verhalten. Aber langfristig repräsentiert der Aktienkurs den wahren Wert des Unternehmens. Das kannst Du auch nochmal in Folge 50 über die Kunst der Unternehmensbewertung nachhören. Und natürlich kann man oft auch kurzfristig Gründe identifizieren, warum der Kurs einer Aktie fällt oder steigt.
In der Breite des Marktes kann Gambler’s Fallacy auch eine selbsterfüllende Prophezeiung sein. Wenn zum Beispiel sehr viele Anleger der Meinung sind, dass ein Fallen der Kurse wahrscheinlich oder sogar unvermeidlich ist und sie dementsprechend handeln, dann kann die Kurse tatsächlich drücken.
Es gibt auch Investoren, die sich solche Bewegungen und Entwicklungen mit einer sogenannten Contrarian Strategie zunutze machen wollen. Stichwort Folge 15 über den Herdentrieb.
Wenn wir uns von der Gambler’s Fallacy freimachen wollen, dann müssen wir uns von dem Glauben lösen, dass bei zufälligen oder nicht eindeutig erklärbaren vergangenen Ereignisse die Zukunft klar gedeutet werden kann bzw. Eine logische Folge der Vergangenheit ist.
Wir sollten uns des Zufalls und der Unerklärlichkeit bewusst sein und wir sollten uns vergegenwärtigen, dass Ereignisse oft nicht kausal miteinander zusammenhängen.
Es kann ebenfalls helfen, sich darüber Gedanken zu machen, warum ein Ereignis von vorigen Ereignissen beeinflusst sein könnte. Oder auch nicht. Oder warum wir glauben, dass dies so ist.
Wie so oft kann es ebenso sinnvoll sein, sich einen systematischen Ansatz und ein klares Regelwerk beim Investieren aufzuerlegen, um nicht Gefahr zu laufen, dass man sich von kurzfristigen Emotionen oder kognitiven Verzerrungen überrumpeln lässt.
PS: Das Titelbild ist in Maryland (USA) entstanden.