Die Vermessung Deiner Finanzen, oder auch: Was gemessen wird, wird gemanagt.
- Wie uns das Messen und Tracken bei der Geldanlage und dem Vermögensaufbau helfen kann.
- Was wir nicht messen sollten oder wo wir zumindest vorsichtig sein sollten, um durch falsches oder übermäßiges Messen keinen finanziellen Schaden zu nehmen.
Hier geht es zum Podcast:
Eine Messgröße sollte keine Zielvorgabe sein
In der letzten Ausgabe habe ich mich mit Goodhart’s Gesetz beschäftigt. In aller Kürze besagt es, dass wenn eine Messgröße zu einer Zielvorgabe wird, dann ist sie keine gute Messgröße mehr.
Ein Beispiel: Angenommen, Du hast Übergewicht, ausgedrückt im Körpergewicht oder BMI als Messgröße. Und nun möchtest Du gesünder werden. Wenn Du nun ein bestimmtes Wunschgewicht anstrebst, dann hast Du die Messgröße als Ziel definiert. Und vielleicht triffst Du dann ungesunde Entscheidungen, um den Gewichtsverlust zu beschleunigen.
Bei der Geldanlage ist das Messen von Fortschritt, von Erfolg und wie man richtig misst, das ist ein ziemlich umfangreiches Thema. Und effektiv zu messen und dann entsprechende zielführende Maßnahmen zu ergreifen, das ist gar nicht so leicht.
Nun ist es so, dass in der Welt der Finanzen, der Aktien und des Investierens alles Mögliche gemessen, quantifiziert und analysiert wird. Darüber habe ich in Folge 32 über die Macht der Zahlen gesprochen.
Damals zitierte ich John Bogle, quasi Erfinder des ETFs und Gründer des Vermögensverwalters Vanguard. Bogle kritisierte, dass wir zwar alles Erdenkliche in Zahlen, bunten Grafen und Tabellen ausdrücken, aber dass wir das, was wir messen, nicht immer hinreichend einordnen. Er war der Meinung, dass wir die Komplexität der Realität und das dahinterliegende, also das, was das Gemessene ausdrückt, nicht übersehen sollten.
Zahlen und Kennzahlen drücken komplexe Sachverhalte aus und sie helfen, bestimmte Dinge oder eine Situation besser zu verstehen. Wir müssen sie aber immer im Kontext betrachten.
Und im Zusammenhang des Messens gibt es eine berühmte Management-Weisheit, nämlich:
What gets measured gets managed
auf deutsch:
Was gemessen wird, wird gemanagt.
Dieser Satz wird immer wieder dem Management-Vordenker Peter Drucker zugeordnet. Er hat ihn aber gar nicht gesagt. Und der Satz mag sehr einleuchtend klingen. Weil natürlich: Wie könnten wir überhaupt etwas managen, das nicht gemessen wird?
Der Satz ist aber nicht unproblematisch. Denn tatsächlich ist das Messen ein zweischneidiges Schwert. Einerseits lässt sich nicht alles messen. Es ist auch gar nicht immer sinnvoll, Dinge zu messen.
Albert Einstein hatte dazu in seinem Büro an der Princeton University ein Schild hängen mit den Worten:
Nicht alles, was zählt, kann man zählen und nicht alles, was man zählen kann, zählt.
Zuweilen ist das richtige Maß nicht offensichtlich.
Möglicherweise verstellt das Messen den Blick auf das, was wirklich wichtig ist. Oscar Wilde schrieb dazu in Das Bildnis des Dorian Gray:
„Heute kennt man von allem den Preis, aber von nichts den Wert.“
Etwas zu messen kann auch zu ungewollten Ergebnissen führen. Und möglicherweise messen wir etwas, um das Erreichen eines Ziels zu überprüfen, wobei bereits die Zielvorgabe zu eindimensional war oder sie ungewollte Effekte nach sich zieht.
In Großbritannien gab es den Fall einer Notrufmeldestelle. Diese hatte als Zielvorgabe, 92% der Anrufe innerhalb von 10 Sekunden zu beantworten. In der Folge fingierten die Mitarbeiter in ruhigen Zeiten Anrufe, um das Ziel zu erreichen.
In den USA gab es einen großen Betrugsskandal um die Großbank Wells Fargo. Diese gab als Ziel vor, dass ihre Mitarbeiter den eigenen Kunden acht Finanzprodukte verkauften. Daraufhin legten Mitarbeiter ohne Wissen und Zustimmung der Kunden Millionen Konten an. Viele bemerkten den Betrug, als ihnen unerwartete Rechnungen ins Haus flatterten und sie ungefragt Kredite erhielten. Bei der Aufarbeitung wurde der damalige Vorstandsvorsitzende der Bank dazu befragt, warum die Mitarbeiter ein Verkaufsziel von acht Finanzprodukten pro Kunde hatten. Woraufhin er sagte, dass sich das so schön reimt, “eight rhymes with great”.
Das sind zwei eindrückliche Beispiele für Goodharts Gesetz und für negative Auswirkungen von falschen Zielvorgaben und falschen Anreizen. Also Zielvorgaben und Anreize können absurd sein und großen Schaden anrichten. Wir sollten aber ebenfalls hinterfragen, ob es eine so gute Idee ist, manche Dinge zu messen und wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass da auch Fallstricke lauern.
Was gemessen wird, das wird gemanagt.
Nun mag mancher einen Widerspruch zu Goodharts Gesetz sehen.
Allerdings besagt Goodharts Gesetzt nicht, dass nicht gemessen werden soll. Es nicht so, dass wir nicht messen sollten. Nur sollte das Gemessene nicht die Zielvorgabe sein. In diesem Sinne ist diese Folge ein Weiterdenken, ausgehend von Goodharts Gesetz, ein weiterer Schritt.
Tatsächlich ist es bei der Beschäftigung mit den eigenen Finanzen durchaus sinnvoll zu messen. Wenn man seine Finanzen im Griff haben möchte, dann sollte man messen – die Einhaltung des selbst auferlegten Budgets, die Sparquote, wie viel man wofür ausgibt.
Was gemessen wird, wird gemanagt. Ich muss meine Geldsituation verstehen, um selbstbestimmt agieren zu können.
Wenn ich meine Ausgaben nicht im Auge habe, dann werde ich mein Budget vermutlich reißen. Wenn ich Schulden habe, dann bringt es mir nichts, davor die Augen zu verschließen. Ich muss einen Plan entwickeln, wie ich diese zurückzahle und ich sollte nachhalten, also messen, dass mir das auch gelingt. Und wenn ich die Einhaltung meiner Sparquote nicht nachverfolge, dann wird das vermutlich nichts mit der Geldanlage und dem Vermögensaufbau. Gleichzeitig kann das Messen, die Beschäftigung mit meinen Finanzen auch zur Obsession werden, wodurch ich den Blick für die anderen Dinge des Lebens verschließe oder ich – wenn es schlecht läuft – angstgetrieben agiere.
Etwas überspitzt gesagt: Wenn ich nur den Fortschritt meines Vermögensaufbaus fokussiere und messe, dann wird es finanziell gesehen vielleicht ziemlich gut für mich laufen, aber ich vernachlässige meine Gesundheit oder Beziehungen.
Und wenn ich permanent auf meinen Kontostand schiele, dann verpasse ich es, das Leben zu genießen und ich ignoriere, was wirklich wichtig ist. Ich verliere aus den Augen, zu welchem Zweck ich ein Vermögen aufbaue und die Beschäftigung mit meinen Finanzen wird leicht zum Selbstzweck. Ich vernachlässige vielleicht sogar meine Lebensziele.
Da sind wir wieder einmal bei dem Aspekt, dass die Beschäftigung mit unseren Finanzen eine Selbsterfahrung ist. Wir sollten unsere Wünsche verstehen und unsere Ziele definieren. Das geht aber deutlich über finanzielle Aspekte hinaus, Geld ist hier maximal Mittel zum Zweck. Dann können wir einen Plan entwickeln, wie wir unsere Ziele erreichen und mit entsprechenden Messgrößen können wir den Fortschritt messen.
Rationale Besessenheit
Der Autor Scott Galloway hat in seinem Buch “Die Algebra des Geldes” zum Messen unserer Finanzen festgestellt, dass wir “rational besessen” sein sollten. Wir sollten uns auf unser Einkommen, unsere Ausgaben und unsere Investitionen konzentrieren, ohne uns emotional zu verstricken. Ziel sei es, dass die Vermessung der eigenen Finanzen eine intellektuelle Übung ist, die uns das Gefühl der Kontrolle gibt und nicht unsere Ängste oder unsere Gier befeuert.
Und das unterstreicht, dass der Satz “was gemessen wird, wird auch gemanagt” sowohl ein Gebot als auch eine Warnung ist.
Wenn wir etwas messen, dann erhalten wir Feedback. Dann können wir, sofern nötig, Maßnahmen ergreifen. Die Crux ist, dass dies für alles gilt, was wir messen.
Wenn ich die falschen Dinge messe, dann kann sich das negativ auf mein Denken und mein Handeln auswirken. Und wenn ich etwas messe, über das ich gar keine Kontrolle habe, ich also keine Maßnahmen ergreifen kann, dann hilft mir das auch nicht weiter bzw. Vermutlich erfahre ich große Frustration.
Anders ausgedrückt: ich sollte relevante Dinge messen, also das, was ich messe, soll tatsächlich auf mein Ziel einzahlen. Und ich sollte das, was ich messe, beeinflussen können.
Die Vermessung Deiner Finanzen im Zeitverlauf
Was aus finanzieller Sicht geboten ist, also wie wir uns verhalten sollten, welche Aspekte wichtig sind, das ist nicht zwingend statisch, sondern das kann sich im Laufe der Zeit ändern.
In frühen Jahren, also wenn Du vielleicht Mitte zwanzig bis Mitte dreißig bist, in diesen frühen Jahren ist Deine Investmentperformance nicht der maßgebliche Treiber für Deinen langfristigen finanziellen Erfolg. Natürlich solltest Du Dein Geld nicht übermäßig ins Risiko stellen und dahingehend investieren, dass Du eine Rendite erwirtschaftest. Aber vermutlich stehst Du mit Deinen Sparbemühungen noch relativ am Anfang. Es gilt also in erster Linie darum, dass Du ein Finanzpolster aufbaust, um überhaupt investieren zu können. Entsprechend kann es sinnvoll sein, dass Du weniger die Performance Deines Portfolios misst und Du vielmehr darauf achtest, dass Du Deine Ausgaben im Griff hast und dass Du Deine Sparrate einhältst bzw. Sie womöglich erhöhst.
Und da greift ein Aspekt aus Folge 64 über die ersten 100.000 €. Demnach sind die ersten Jahre des Vermögensaufbaus eine lehrreiche Zeit. Wenn ich mit wenig Geld anfange und ich mir als Ziel ein Vermögen von 100.000 € setze. Dann sind 100.000 € erstmal wahnsinnig viel Geld und das ist ein weiter Weg. Dann ist das Erreichen von 100.000 € für mich nicht nur ein besonderes Ereignis. Vielmehr habe ich auf dem Weg zu diesem Betrag eine Menge gelernt. Ich habe mir Verhaltensweisen angeeignet, die für den Vermögensaufbau insgesamt wichtig sind. Und indem ich darauf achte, dass ich mein Budget einhalte, dass ich meine Ausgaben messe, damit entwickle ich ein Mindset, das es mir erlaubt, mein finanzielles Schicksal in meine Hände zu nehmen.
Goodharts Gesetz: Wenn eine Messgröße zu einer Zielvorgabe wird, dann ist sie keine gute Messgröße mehr. Und vor diesem Hintergrund könnte man argumentieren, dass mein Ausgabeverhalten, das Einhalten meiner Sparquote eigentlich gar nicht das Ziel ist. Es geht nicht um das Ergebnis, es geht um mein Verhalten. Es geht darum, dass ich meinen finanziellen Muskel trainiere.
Und wenn wir die Vermessung Deiner Finanzen vor dem Hintergrund unseres Verhaltens beleuchten, dann sind wir bei Dingen wie der Umschlagmethode aus Folge 69. Ich kann natürlich meine Ausgaben mit digitalen Tools tracken. Die will ich gar nicht schlecht reden, wenn es denn hilft. Es passiert aber leicht, dass wir sie nur bedingt nachhalten. Und wenn ich einmal im Monat da reingucke, dann messe ich vielleicht den Wasserstand, aber ich messe nicht mein Verhalten. Mit Konzepten wie der Umschlagmethode wiederum ist jeder Bezahlvorgang eine bewusste Aktion, physisch greifbar und ich muss sehr bewusst eine Entscheidung treffen, wenn ich von dem mir auferlegten Budget abweiche.
Es geht darum, was ich tatsächlich ausgebe, wie ich mich tatsächlich verhalte, und nicht, was ich glaube zu tun oder was ich mir vornehme.
Die Vermessung Deiner Finanzen, das Messen der eigenen Ausgaben und der Sparquote ist eine regelmäßige Angelegenheit. Scott Galloway vergleicht das mit sportlichen Vorsätzen. Wenn ich einmal im Monat meine Ausgaben addiere, dann tracke ich nicht mein Verhalten. Das ist, wie wenn ich nur einmal im Monat ins Fitnessstudio gehe.
Abschließend lässt sich über die Vermessung Deiner Finanzen festhalten.
Die Orientierung an Messgrößen ist ja grundsätzlich eine gute Sache. Messgrößen können uns Fortschritte und HIndernisse zeigen. Sie können uns helfen, uns und unser Verhalten kontinuierlich zu verbessern,
Gleichzeitig sollten wir uns der Grenzen und der möglichen Fallstricke bewusst sein. Weil gerade bei der Geldanlage, kann das Messen der Investmentperfornance tückisch sein.
Anders als die Höhe Deiner Ausgaben, kannst Du die kurzfristige Entwicklung der Börsen nicht beeinflussen. Also anders ausgedrückt: Das Investieren kann ein Beispiel für die Kehrseite Medaille sein. Was gemessen wird, wird gemanagt.
Wenn ich mit einem passiven und breitgestreuten Ansatz langfristig investiere, dann kann es hilfreich sein, dass ich den Fortschritt, also die Performance meines Portfolios, nur in größeren Zeitabständen messe, also zum Beispiel 1-2 mal pro Jahr.
Die Märkte können stark schwanken. Da kann sich ein zu häufiges Tracken negativ auf unser Wohlbefinden auswirken und wir laufen Gefahr, dass wir Maßnahmen ergreifen, die uns finanziell schaden, zumal wenn sie emotional getrieben sind.
Du kannst ja durchaus regelmäßig einen Blick ins Depot werfen. Du solltest nur versuchen, einen gewissen emotionalen Abstand zu wahren. Dabei kann ebenfalls helfen, dass Du die Performance einordnest, zum Beispiel indem Du Dein Portfolio der Entwicklung eines Vergleichsindex gegenüberstellst oder indem Du nicht die tagesaktuelle Performance betrachtest, sondern den Blick auf das vergangene Jahr oder eine langjährige durchschnittliche Performance wirfst. Weil das ist es, was letztendlich zählt.
Das Titelbild ist in Berlin entstanden.