Die langfristige Perspektive: Warum wir bei der Beschäftigung mit unseren Finanzen, bei der Geldanlage, eine langfristige Perspektive einnehmen sollten und wie uns das gelingt. Und was wir von einem der erfolgreichsten Unternehmer unserer Zeit darüber lernen können.
Hier geht es zum Podcast:
Die Weisheiten erfolgreicher Investoren und Unternehmer
Warren Buffett sagte einst:
“I am a better investor because I am a businessman and a better businessman because I am an investor.”
Auf Deutsch:
„Ich bin ein besserer Investor, weil ich ein Geschäftsmann bin und ein besserer Geschäftsmann, weil ich ein Investor bin.“
Man kann diese Erkenntnis auch weiter fassen: Bei der Geldanlage ist es hilfreich, sich mit den Lehren großer Investoren wie Warren Buffett zu beschäftigen. Es ist meiner Meinung nach ebenfalls sehr lehrreich, sich mit den Gedanken und den Leben erfolgreicher Unternehmer oder auch Manager zu befassen. Viele von Ihnen haben Bücher oder Aufsätze veröffentlicht. Es gibt Biografien über sie oder Internetvideos mit ihnen. Und eine – wie ich finde – sehr inspirierende Quelle ist Jeff Bezos, der Gründer von Amazon.
Bezos hat bspw. Bis zu seinem Ausscheiden aus der Unternehmensführung von Amazon im Jahr 2021 jedes Jahr seine berühmten Shareholder Letters, die Briefe an die Aktionäre, geschrieben. Damit folgt er einer Tradition von Warren Buffett, der ebenfalls jährlich einen Shareholder Letter veröffentlicht. Und auch Bezos’ Nachfolger, Andy Jassy, führt die Tradition fort und veröffentlicht alljährlich einen Brief an die Aktionäre.
Sowohl von Buffett als auch von Bezos kann man die Shareholder Letters online kostenlos nachlesen und sie sind wirklich sehr empfehlenswert. Jedenfalls gibt Bezos in den Briefen ein Update über die Entwicklung des Unternehmens im jeweiligen Jahr und er teilt seine geschäftliche Philosophie sowie Gedanken zur Strategie des Unternehmens. Und besonders berühmt ist der erste Shareholder Letter von Bezos aus dem Jahr 1997.
In diesem Brief beschreibt Bezos die Grundsätze seiner Geschäftsphilosophie und von Amazon. Dieser Brief wird jedes Jahr an den jeweils aktuellen Brief angehangen. Als Erinnerung daran, wo man herkommt und auf welchen Grundsätzen Amazon aufgebaut ist. Und ein wesentlicher Aspekt dieses ersten Shareholder Letters ist, dass es immer um die langfristige Perspektive geht. Auf Englisch: It’s all about the long term.
Gerade in den frühen Jahren wurde Amazon an den Börsen immer wieder kritisch beäugt.
Das Unternehmen wachse sehr stark, ja, durchaus. Also zur Einordnung: 1997, dem ersten Jahr von Amazon an der Börse, stieg der Umsatz um stolze 838%. Aber das Unternehmen verdiente noch kein Geld und es investierte sehr hohe Summen. Und das sei – bemängelten damals nicht wenige Kritiker- für Investoren doch ziemlich unattraktiv.
Mit dem heutigen Blick sehen wir die Sache womöglich anders.
Wenn man damals, also vor etwas weniger als 30 Jahren, 10.000 USD in Amazon investiert hätte. dann hätte sich dieses Investment bis heute auf deutlich über 600.000 USD gesteigert, also mehr als versechszigfacht. Also Amazon ist eine der ganz großen Erfolgsstories an der Börse in den letzten Jahrzehnten. Das war nur damals vielleicht nicht ganz absehbar.
Jeff Bezos wiederum, der hatte schon damals einen sehr klaren Blick auf das Unternehmen und auf seine Prioritäten, seine langfristige Perspektive. Und das kommunizierte er in seinen Shareholdern Lettern sehr deutlich.
In besagtem ersten Shareholder Letter schrieb Bezos über seine Geschäftsphilosophie, dass Amazon jetzt und in Zukunft seine Investionsentscheidungen mit Blick auf die langfristige Marktführerschaft des Unternehmens treffen wird, statt sich den kurzfristigen Reaktionen der Wall Street zu beugen oder um für kurzfristigen Profit zu optimieren. Aus heutiger Sicht war das eine goldrichtige Entscheidung.
Damals hingegen stießen die Aussagen von Bezos bei vielen Marktteilnehmern auf Unverständnis. Die Mehrheit der Akteure an der Börse blickt nunmal auf kurzfristige Kursbewegungen. Sie registriert minutiös, wie sich die Märkte oder ein Unternehmen im letzten Quartal oder im letzten Jahr entwickelt hat. Wenn wir hingegen den langfristigen Vermögensaufbau anstreben und wenn wir langfristig investieren, dann ist es weniger interessant, ob ein Unternehmen, in das wir investiert haben, kurzfristig seinen Gewinn optimieren kann.
Viel entscheidender ist für uns, wie die langfristige Perspektive des Unternehmens ist. Also ob es langfristig betrachtet mindestens so gut oder besser dasteht als heute. Entsprechend ist für langfristig orientierte Investoren das, was Jeff Bezos getan hat, also dass er Amazon mit diesem langfristigen Blick aufgebaut hat, das ist genau das, was wir von einem Unternehmenslenker erwarten.
Und wenn wir diesen Blick einnehmen, dann hätten wir seinerzeit die Kritik an Bezos’ Unternehmensphilosophie vielleicht etwas anders eingeordnet und wir wären anders als zahlreiche Kritiker möglicherweise zu dem Schluss gekommen, dass Amazon ja durchaus ein spannendes Investment darstellen könnte.
Hätte, hätte.
Die Relevanz der Lehren von Jeff Bezos als Unternehmenslenker für uns als Anlegerinnen und Anleger geht noch weiter
Denn so, wie Bezos für die Entwicklung von Amazon eine langfristige Perspektive eingenommen hat. Genau so sollten wir beim langfristigen Vermögensaufbau ebenfalls eine langfristige Betraachtungsweise einnehmen, wenn wir auf unser Geld bzw. Auf unsere Investitionen blicken.
Wenn ich regelmäßig spare und investiere, mit dem Ziel, dass ich in einer fernen Zukunft, vielleicht in einigen Jahrzehnten, ein kleines Vermögen habe. Dann sind die einzelnen Schritte, also zum Beispiel das jeden Monat zurückgelegte Geld, vielleicht nur gering. Aber über einen langen Zeitraum wird da eine ordentliche Summe zusammenkommen. Zumal wenn ich das Geld investiere und es sich mit einer langfristigen Perspektive dank der in Folge 11 beschriebenen wunderbaren Kraft des Zinseszins vermehren kann.
Wenn ich eher passiv und breit gestreut investiere, zum Beispiel mit einem ETF-Portfolio. Dann werden mich zwischenzeitliche Turbulenzen an den Märkten nicht aus der Ruhe bringen. Heute geht es vielleicht turbulent an den Märkten zu. Morgen kaufe ich mit der mir auferlegten Spar- und Investierquote stoisch weitere Wertpapiere hinzu. Und mit Blick auf die historische Entwicklung wird mein Wertpapierportfolio über einen langen Zeitraum eine positive Entwicklung nehmen.
Dafür brauche ich ebenfalls eine langfristige Perspektive.
Wenn ich hingegen in Einzelaktien investiere, dann benötige ich zwar auch eine Langfrist-Strategie, also zumindest, wenn ich nicht auf kurzfristige Kursänderungen spekuliere. Ich muss allerdings anders agieren, als mit einem breitgestreuten ETF-Portfolio. Da kann ich zwischenzeitliche Kurseinbrüche mit einem langfristigen Investment-Zeitraum einfach aussitzen.
Bei Einzelaktien funktioniert das Aussitzen so nicht. Da muss ich mich tiefer mit dem individuellen Sachverhalt auseinandersetzen. Da sollte ich kontinuierlich beobachten, ob ein Kurseinbruch nur eine zwischenzeitliche Delle ist, oder ob ich mich von dem Wertpapier trennen sollte. Ich muss einschätzen können, ob ein Unternehmen eher ungerechtfertigt an der Börse abgestraft wurde und ob es langfristig gesehen sehr gut aufgestellt ist.
Diese Einschätzung und die daran hängende Entscheidung für oder gegen eine Aktie, das ist nicht leicht.
Für regelmäßige Hörerinnen und Hörer bzw. Leserinnen und Leser ist die Wichtigkeit der langfristigen Perspektive genau genommen nichts Neues.
Das ist ein Konzept, man könnte auch sagen: Eine Philosophie, die uns in diesem Podcast schon öfters begegnet ist. Darüber hatte ich zum Beispiel in Folge 90 Das Glück ist mit den Tüchtigen gesprochen:
Warren Buffett kaufte seine erste Aktie bereits im Alter von 11 Jahren. Mittlerweile ist er über 90 Jahre alt und einer der reichsten Menschen der Welt. Buffett verfolgt einen bestechend einfachen und unaufgeregten Investmentstil und er denkt wahnsinnig langfristig. Und Jeff Bezos soll ihn einmal gefragt haben: Warren, Du bist eine der reichsten Personen auf der Welt und Dein Investment-Stil ist so simpel. Warum kopiert Dich nicht jeder? Woraufhin Buffett gesagt haben soll: Weil niemand langsam reich werden will.
Tatsächlich: Den Großteil seines Vermögens hat er erst nach seinem 65. Lebensjahr gemacht.
Und das kann in unserer sehr schnelllebigen Zeit, in der wir nach schnellem Konsum gieren und in der Geduld und langfristiges Denken für uns zunehmend ein Fremdwort zu sein scheint, in dieser Zeit kann das Denken und Handeln von Warren Buffett vielleicht ein guter Impuls für uns sein, einen langfristige Anlagehorizont auch beim Vermögensaufbau zu beherzigen, Stichwort Instant Gratification aus Folge 6.
Die langfristige Perspektive verlangt nach Ausdauer und Geduld
Man könnte auch sagen, dass der langfristige Blick auch viel mit der Fähigkeit zu tun hat, sich auf ein Ziel zu fokussieren, sich also nicht kurzfristig von anderen Dingen ablenken zu lassen oder das eigene Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Sich zu fokussieren, das ist eine Eigenschaft oder Fähigkeit, die sowohl Warren Buffett als auch der Microsoft-Gründer Bill Gates maßgeblich für ihren Erfolg verantwortlich machen. Darüber hatte ich in Folge 19 Das wichtigste Wort an der Börse gesprochen.
Und diese Fähigkeit, sich zu fokussieren, die lässt sich ebenfalls bei Jeff Bezos beobachten. Schon in der Schule soll dieser derart fokussiert gearbeitet haben, dass seine Lehrerin sich sogar bei seiner Mutter beschwerte. Wenn er an einer Aufgabe arbeitete, dann konnte ihn nichts davon abbringen. Und die Lehrerin musste ihn mitsamt seines Stuhls umsetzen, damit er sich mit der nächsten Aufgabe beschäftigte. Bezos schrieb dazu in seinem Shareholder Letter, dass sich das vermutlich bis heute nicht bei ihm geändert habe.
Diese Fokussierung kann man auch mit Ausdauer und mit Geduld übersetzen. Beides Tugenden die sich ebenfalls bei Jeff Bezos beobachten lassen. Und auch hier gibt es einen Anknüpfungspunkt zu einem bereits in diesem Podcast besprochenen Aspekt, nämlich Passivität anstelle von übermäßigem Handeln.
Der verstorbene Investor Charlie Munger nannte das “Sit on your ass investing”. Das meint, nur wenig aktiv zu sein und die meiste Zeit einfach nur abzuwarten und ruhig auf seinem Hintern sitzen zu bleiben.
Kommen wir nochmal zurück zu Amazon, Jeff Bezos und seinen Briefen an die Aktionäre.
Amazon ging im Mai 1997 an die Börse. Der erste Shareholder Letter erschien im Jahr 1998 und bezog sich auf die geschäftliche Entwicklung des Vorjahres. Im Jahr 1997 stieg die Anzahl der Kunden von Amazon von 180.000 um 738% auf über 1 ½ Millionen. Der Umsatz stieg von weniger als 16 Mio. USD um 838% auf knapp 148 Mio. USD.
Aus heutiger Sicht sind das in absoluten Werten Peanuts. Und das Unternehmen stand ja wirklich noch am Anfang. Der Cloudspeicherdienst AWS, viele Produktkategorien, den Amazon Marketplace, Amazon Prime: Das gab es seinerzeit alles noch nicht. Aber aus damaliger Sicht waren das wirklich sensationelle Zahlen.
Und da wäre es vielleicht nicht verwunderlich gewesen, wenn Jeff Bezos das schnelle Geld gewittert hätte. Wir befanden uns inmitten des Dotcom-Hypes, der nur wenige Jahre später mit dem spektakulären Platzen der Blase sein Ende fand.
Er aber behielt weiterhin die langfristige Perspektive.
Ja, es ging steil bergauf für Amazon. Ihn interessierte aber vielmehr das Potenzial, die langfristigen Möglichkeiten. In seinem Shareholder Letter schrieb er dazu sinngemäß, dass ein wesentlicher Faktor für den Erfolg von Amazon der Wert sein wird, den das Unternehmen langfristig für die Aktionäre schafft. Und dieser Wert wird sich direkt aus der Fähigkeit Amazons ergeben, die Marktführerschaft des Unternehmens langfristig auszubauen und zu festigen. Wenn dies gelingt, dann resultiert dies in höheren Einnahmen, in höherer Rentabilität, in höheren Renditen auf das investierte Kapital. Er bzw. Amazon setze hierfür im Gegensatz zu manch anderen Unternehmen auf Langfristigkeit.
Und obwohl sich schon damals abzeichnete, dass Amazon ein wirklich hervorragendes Geschäftsmodell hat. Obwohl man schon damals erahnen konnte, dass die Strategie überaus erfolgreich umgesetzt wurde. Und obwohl man schon damals vermuten konnte, dass Jeff Bezos eine große Unternehmerpersönlichkeit ist und er auch mit seinem langfristigen Ansatz goldrichtig lag.
Trotz alledem war die Entwicklung von Amazon alles andere als linear und nicht immer als Erfolgsgeschichte erkennbar. Stichwort Dotcom-Hype. Im Dezember 1999 lag der Aktienkurs von Amazon bei 106 USD. Einen Monat später lag das Papier 40% im Minus. Und innerhalb von zwei Jahren stürzte der Kurs auf bis zu 6 USD ab, was einem Rückgang von über 90% zum Kurshoch entspricht.
Anders als viele andere Internetunternehmen überlebte Amazon diese wirklich schwierige Zeit. Und Bezos blieb mit seiner langfristigen Perspektive zuversichtlich, da die Performance-Metriken von Amazon wie die Anzahl der Nutzer weiterhin sehr stark waren.
Und in der Folge war die Entwicklung wirklich hervorragend, also Bezos behielt recht mit seiner Langfriststrategie. 2019 hatte Amazon knapp 650.000 Angestellte weltweit. Der weltweite Umsatz lag bei sensationellen 233 Milliarden USD und die Amazon-Aktie hatte einen Kurs von 2.000 USD.
Das unterstreicht zweierlei:
1. Die Börse mag zwischenzeitlich verrückt spielen.
Eine Aktie mag hart abgestraft werden, obwohl das Unternehmen gar nicht schlecht dasteht. Langfristig entscheidend ist nicht, was die Börse heute sagt, sondern wie sich das Unternehmen schlägt. Stichwort Folge 2 über Bärenmärkte und Börsenbeben: Wir sollten uns vergegenwärtigen, dass Aktien keine theoretischen Konstrukte sind. Aktien sind Anteile an real existierenden Unternehmen. Mit echten Produkten. Mit echten Wettbewerbsvorteilen. Mit echten Gewinnen.
Kurzfristig ist der Markt, sind die Kurse anfällig für Meinungen, Emotionen und irrationales Verhalten. Aber langfristig setzt sich Qualität durch. Und wenn sich ein Unternehmen gut entwickelt, dann wird langfristig auch der Markt, werden die Aktienkurse dies reflektieren und den Erfolg des Unternehmens widerspiegeln.
Der Investment-Altmeister Benjamin Graham sagte in diesem Zusammenhang:
In the short run, the market is a voting machine, but in the long run, it is a weighing machine.
Zu deutsch:
Auf kurze Sicht ist der Aktienmarkt eine Wahlmaschine, aber auf lange Sicht ist er eine Waage.
2. Der harte Einbruch der Amazon-Aktie während des Platzens der Dotcom-Blase, trotz einer fundamental guten Entwicklung des Unternehmens und die Anfälligkeit der Börse für Emotionen und irrationales Verhalten, das verdeutlicht ebenfalls die Schwierigkeit der langfristigen Perspektive bei Investitionen in Einzelaktien.
Das Platzen der Dotcom-Blase mag aus heutiger Sicht nur eine zwischenzeitliche Kurskapriole für Amazon gewesen sein, die die langfristige atemberaubende Entwicklung nur zwischenzeitlich etwas verlangsamt hat.
Aber die Schwierigkeit, das richtig einzuschätzen, also ob ein Unternehmen wirklich so gut aufgestellt ist, dass es langfristig gesehen besser dasteht, diese Schwierigkeit sollte bei Investitionen in Einzelaktien wirklich nicht unterschätzt werden.
Das Titelbild ist auf Sizilien entstanden.