Die Irrationalität der Märkte

Wie sich die Irrationalität der Märkte und der Börse bemerkbar macht. Und was Du, als Anlegerin, als Anleger, unternehmen kannst, um der Irrationalität zu begegnen, keinen finanziellen Schaden zu nehmen und selber rationale Entscheidungen zu treffen. 

Hier geht es zum Podcast:

Wir leben in herausfordernden Zeiten. 

Es gibt großen Wandel in der Wirtschaftswelt, gesellschaftliche Spannungen und politische Unsicherheit. Manche befürchten, dass Europa im globalen Wettbewerb den Anschluss verliert. Und angesichts von Belastungen wie einer überbordenden Bürokratie, hohen Steuern und hohen Energiekosten sieht mancher Deutschland wieder mal als kranken Mann des Kontinents. 

Doch die Börse scheint all dies nicht zu tangieren.

2023 stieg der DAX, der deutsche Aktienindex, um rund 20%. 2024 ging es um fast 19% bergauf. Und auch Anfang 2025, also zumindest zum Zeitpunkt der Aufnahme dieser Folge, geht die Aufwärtsbewegung weiter und der DAX klettert von Rekord zu Rekord. 

Nun gibt es das Argument, dass die im DAX vertretenen Unternehmen nur wenig Geschäft in Deutschland machen. Also die Stimmung kann hierzulande im Keller, die Situation durchaus schwierig sein, den Unternehmen kann es dann immer noch gut gehen. Da ist durchaus was dran. Zugleich kann man Zweifel daran haben, dass bspw. die hiesige Automobilbranche  auch in Zukunft auf den Weltmärkten stark vertreten sein wird. Man kann sich durchaus sorgen, ob wir als ehemaliger Exportweltmeister mit Fokus auf Industrie und Maschinenbau im digitalen Zeitalter und mit dem Fortschreiten der künstlichen Intelligenz auch weiterhin in der ersten Liga mitspielen werden. Und angesichts des Trends, regionale Märkte vom Welthandel eher abzuschotten und zum Beispiel Einfuhrzölle zu erheben, ist es ebenfalls offen, wie unsere Wirtschaft damit umgehen wird. 

Ob wir nun der kranke Mann Europas sind oder sein werden und ob unsere Wirtschaft auch zukünftig so stark sein wird, wie in der Vergangenheit, das will ich an dieser Stelle nicht bewerten. Aber es ist schon bemerkenswert, welche positive Entwicklung der DAX – zumindest in Summe – angesichts der offensichtlichen Herausforderungen und großen Unsicherheiten genommen hat bzw. nimmt. Und wenn man angesichts dieser Entwicklung in den letzten paar Jahren darauf spekuliert hat, dass es einen größeren Kurseinbruch gibt. Dann war das durchaus eine legitime Überlegung. Wenn man jedoch mit seinen Investitionen darauf gesetzt hat, dann hat man sich womöglich eine blutige Nase geholt und einen spürbaren Dämpfer im eigenen Portfolio erfahren. Und da greift ein Spruch des bekannten Ökonomen und Investor John Maynard Keynes. 

Dieser sagte:

“Markets can remain irrational longer than you can remain solvent.” 

Auf deutsch:

„Die Märkte können länger irrational bleiben, als Du zahlungsfähig bleiben kannst.“

Laut der Efficient Market Hypothesis, der Markteffizienzhypothese, sind Aktienmärkte immer – wie es der Name sagt – effizient. 

Alle verfügbaren Informationen sind im Aktienkurs eingepreist. Aktien werden immer zu einem fairen, einem nachvollziehbaren Wert gehandelt. Entsprechend ist es Anlegern unmöglich, Aktien unterbewertet zu kaufen oder zu einem überhöhten Preis zu verkaufen. 

Das bedeutet zweierlei: 

  1. Es ist unmöglich den Markt zu schlagen. Höhere Renditen lassen sich nur durch risikoreichere Anlagen erzielen.
  2. Wenn Märkte immer effizient sind, dann sind sie nicht irrational. Das Zitat von Keynes wäre somit falsch. 

Nun ist die Efficient Market Hypothesis in der akademischen Welt immer noch weit verbreitet. In der Praxis wird sie von vielen Akteuren aber mindestens hinterfragt. Wenn es unmöglich ist, den Markt zu schlagen, dann dürfte es Investoren wie Warren Buffett, die über Jahrzehnte den Markt outperformen und die beim Investieren nachweislich einen guten Prozess verfolgen und gute Entscheidungen treffen, dann dürfte es diese Investoren gar nicht geben. 

Und wenn man davon ausgeht, dass die Märkte immer recht haben, sie stets effizient und nie irrational sind, wie ist es dann zu erklären, dass eine Aktie heute bspw. 50 Euro wert ist. Und am nächsten Tag gibt es ein kleines Börsenbeben, die Kurse sacken in der Breite ab und die Aktie sinkt auf 45 Euro. Weil, das bedeutet dann ebenfalls, dass das Unternehmen über Nacht 10% an Wert verloren hat. Und wenn sich im Grundsatz für das Unternehmen nichts verändert hat – also: Auftragslage, Wettbewerbssituation, Ertragskraft – alles gleich. Dann geht eine unterstellte Effizienz der Märkte davon aus, dass dies genau so ist. Also, dass das Unternehmen tatsächlich heute 10% weniger wert ist als gestern. Das ist in meinen Augen äußerst fragwürdig und alles andere als rational.

Mit der Efficient Market Hypothesis werde ich mich in einer späteren Folge nochmals tiefer beschäftigen. Aber mal anders betrachtet: Aktienmärkte bzw. Kursbewegungen von Aktien sind die Summe der Entscheidungen der Anleger. Also der Börsenwert ist kein objektiver Wert, sondern vielmehr die Zusammenkunft von Angebot und Nachfrage. Was ist ein Käufer bereit zu zahlen und was möchte ein Verkäufer auf jeden Fall haben. Und natürlich gibt es zunehmend Algorithmen an der Börse, aber zumindest in der Vergangenheit waren Anleger alle Menschen. 

Stichwort Folge 26 über die Summe der Erfahrungen: Wir Menschen sind alles andere als rational. Wir sind in unserem Denken, unserer Wahrnehmung, unseren Überzeugungen und in unserem Handeln gar nicht so analysierend, abwägend, wohlüberlegt und wissend, wie wir vielleicht meinen. 

Und die von Keynes angesprochene Irrationalität der Märkte, die kann man regelmäßig beobachten, zum Beispiel bei Blasen. Diese können sich über viele Jahre immer weiter aufblähen, also die Preise eines zugrundeliegenden Vermögenswertes steigen immer weiter, sie sind immer irrationaler. 

Das ergibt natürlich keinen Sinn. Demgegenüber sollte ich als Anlegerin bzw. Anleger natürlich rational handeln. Ich sollte mich nicht von Euphorie oder Panik mitreißen lassen, sondern einen langfristigen Blick einnehmen und rationale Anlageentscheidungen treffen. Nur: Wenn ich der Irrationalität der Märkte kurzfristig mit rationalen Überlegungen und Argumenten begegnen möchte, dann kann das eine ganz heiße Kiste sein. Und kurzfristig ist relativ, die Irrationalität kann länger anhalten als gedacht. Die Märkte können länger irrational bleiben, als Du zahlungsfähig bleiben kannst.

Wir leben in einer scheinbar rationalen Welt.

Heutzutage wird alles gemessen, getrackt, erklärt. Es werden Daten erhoben, die dann entsprechend rationale Handlungsempfehlungen suggerieren. Das Problem ist nur: Dabei stoßen wir immer wieder an Grenzen. 

Wir suchen nach logischen Erklärungen. Wir planen strategisch rational. Aber die Welt und insbesondere die Menschen verhalten sich nunmal anders. 

Der Astrophysiker Neil deGrasse Tyson hat einmal gesagt:

“The universe is under no obligation to make sense to you”

Frei übersetzt: Das Universum ist nicht dazu verpflichtet, für Dich Sinn zu ergeben. 

Die Daten können sehr eindeutig sein und trotzdem entwickelt sich alles anders als gedacht.

Es gibt eine Anekdote über die Ardennenoffensive des Zweiten Weltkriegs im Winter 1944/1945. Die Ardennenoffensive gilt als eine der verheerendsten Schlachten für das US Militär. Für die Amerikaner kam der Angriff der Wehrmacht total überraschend. Er ergab einfach keinen Sinn. Die Wehrmacht hatte zu wenig Truppen. Es gab zu wenig Treibstoff und Nahrungsmittel. Das Wetter war schlecht und das Gelände war alles andere als gut für einen erfolgreichen Angriff. 

Die Alliierten folgerten daraus, dass ein rational handelnder Kommandeur nicht angreifen würde. Hitler handelte nur alles andere als rational und er verfolgte weiter die Vision des Endsiegs. Die Alliierten gewannen die Schlacht letzten Endes, allerdings mit desaströsen Verlusten. Sie hatten alle Planungen richtig gemacht. Doch sie hatten Hitlers Irrationalität unterschätzt.

Das ist natürlich ein etwas schwieriger Vergleich. Aber auch beim Investieren sollten wir sollten wir uns der Irrationalität bewusst sein. 

Das gilt insbesondere für das Investieren in Einzelaktien. Natürlich sollte ich meine Hausaufgaben gemacht und ein Unternehmen gut analysiert haben. 

Ich kann ebenfalls absolut recht haben mit meiner Einschätzung, dass der Preis einer Aktie überhaupt nicht gerechtfertigt ist. Und trotzdem kann der Kurs absurd hoch gehen oder abstürzen. Dann ist es wichtig, dass ich mich von meinen Emotionen löse, dass ich mich nicht von der Stimmung mitreißen lasse und aus FOMO übereilt kaufe oder in Panik alles abstoße. Stichwort Folge 10, Wie Verlustaversion Deinen Finanzen schadet.

Langfristig setzt sich die Rationalität durch. Langfristig sind die Zahlen entscheidend – im positiven wie im negativen. Aber kurzfristig, da regieren Emotionen und gutes Storytelling bzw. Das Narrativ und die Stimmung. Die Schwierigkeit ist nur, dass niemand weiß, wie lange das in einem konkreten Fall sein wird.

Morgan Housel hat sinngemäß gesagt: Jeder Aktienkurs ist nur eine Zahl von heute, multipliziert mit einer Geschichte über morgen.

Geschichten wie auch die damit zusammenhängenden Emotionen, die können aberwitzig sein und die Wünsche, Träume, Hoffnungen aber auch Unsicherheit und Ängste der Menschen reflektieren.

Das kann man sehr deutlich am Beispiel des Zusammenbruchs des Unternehmens Wirecard sehen. Schon lange bevor das Unternehmen Insolvenz anmeldete, lagen die Fakten vor. Die Financial Times berichtete über Manipulationsvorwürfe und über Unstimmigkeiten in der Bilanz des Unternehmens. Aber hierzulande wollte man das nicht hören. Zu schön war der Traum, Jahrzehnte nach der Gründung von SAP, endlich wieder ein starkes digitales deutsches Unternehmen hervorzubringen. So ging die Party munter weiter, die Kurse kletterten, bis das Kartenhaus in sich zusammenbrach. 

Und viele neigen bei Fragen der Geldanlage zur Irrationalität. Das zeigt das Phänomen, dass sich immer wieder Menschen durch unrealistisch hohe Renditeversprechen zu zweifelhaften Anlagen verleiten lassen. Ihr kritischer Verstand müsste ihnen sagen, dass ein utopisch hoher Gewinn mit seriösen Transaktionen nicht zu erzielen ist. 

Neben der Irrationalität der Märkte und der Menschen, neben den zuweilen erratischen Ausschlägen von Kursen und Emotionen.

Daneben haben Menschen individuell unterschiedliche persönliche Situationen, unterschiedliche Einschätzungen und unterschiedliche Interessen.

Ein Beispiel für sehr unterschiedliche Einschätzungen ist Wasserstoff als Energiequelle der Zukunft. Während manche hier ein großes Potenzial sehen, glauben andere Akteure, dass diese Energiequelle aus verschiedenen Gründen eine Nischentechnologie mit überschaubarem wirtschaftlichen Potenzial bleiben wird.

Was für mich logisch sein mag, kann für Dich keinen Sinn ergeben. Wir haben unterschiedliche Ziele und Ambitionen, eine unterschiedliche Risikoaffinität, einen anderen Zeithorizont. Wir sollten nicht davon ausgehen, dass unsere Überlegungen und unsere Entscheidungen im Einklang mit anderen Marktakteuren sind.

Wenn ich eine Aktie kaufe, weil ich das Unternehmen für vielversprechend halte. Und ich bin der Meinung, dass ich sie zu einem guten Preis erhalte. Dann steht mir gegenüber ein Verkäufer, der anders als ich die Aktie loswerden möchte und der vielleicht froh ist, überhaupt noch diesen Preis bekommen zu haben. Und neben einer womöglich unterschiedlichen Einschätzung zum Potenzial der Aktie oder der Situation am Markt insgesamt, daneben gibt es unterschiedliche Gründe eine Aktie zu kaufen oder zu verkaufen. Diese Gründe können einer rationalen Überlegung folgen. Müssen sie aber nicht. 

Das gilt für eine einzelne Aktientransaktion und für Millionen von Transaktionen, bei denen sich individuell Käufer und Verkäufer über einen Preis einigen und die in Summe den Aktienkurs bilden. Weil nichts anderes ist die Börse, der Markt.

Und wenn man sich den Aktienmarkt als die Summe individueller Einschätzungen und Entscheidungen von in der Tendenz irrational agierenden Marktteilnehmern vorstellt, dann unterstreicht dies, dass die Märkte zumindest kurzfristig nicht unbedingt effizient sind und recht haben, dass sie kurzfristig irrational sein können. In Folge 2 Wenn die Börsen beben habe ich in diesem Zusammenhang den Investment-Altmeister Benjamin Graham zitiert.

Graham sagte:

“In the short run, the market is a voting machine, but in the long run, it is a weighing machine.“

Auf deutsch:

Auf kurze Sicht ist der Aktienmarkt eine Wahlmaschine, aber auf lange Sicht ist er eine Waage. 

Also kurzfristig ist der Markt, sind die Kurse anfällig für Meinungen, Emotionen und irrationales Verhalten. Aber langfristig, da setzt sich Qualität durch und wenn sich die Wirtschaft gut entwickelt, dann wird auch der Markt, die Aktienkurse dies reflektieren und den wahren Wert der Unternehmen widerspiegeln. 

Was kann man nun tun, um mit der Irrationalität der Märkte umzugehen?

Wenn die Märkte irrational sind, dann kann es helfen, einen langfristigen Blick einzunehmen und sich die zyklischen Bewegungen der Börse zu vergegenwärtigen. 

Manche Anleger versuchen Phasen der Übertreibung an den Märkten auch für sich zum Vorteil zu nutzen, also bspw. um hervorragende Aktien zu günstigen Kursen zu kaufen, wenn die Kurse im Keller sind. Wobei das leichter gesagt als getan ist.

Vielleicht siehst Du Dich ja in der Lage, die richtigen Aktien zu identifizieren, zum richtigen Zeitpunkt bzw. Preis zu kaufen und dann auch wieder zu verkaufen. Den meisten Menschen gelingt das nicht. Allerdings: Auch wenn die Märkte wie von Keynes beschrieben länger irrational bleiben können, so wird diese Irrationalität nicht von Dauer sein und langfristig wieder Vernunft einkehren.

Entsprechend ist es meiner Meinung nach und auch historisch betrachtet eher ratsam, über einen langfristigen Zeitraum mit einem passiven Investmentansatz und niedrigen Kosten zu investieren. Stichwort Folge 22 über passives Investieren mit ETFs.

Das Titelbild ist in München entstanden.

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