Der ewige Zyklus

Der ewige Zyklus. Was meine ich damit? Dem amerikanischen Schriftsteller Mark Twain wird das Zitat nachgesagt:

“Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft“. 

Damit ist gemeint, dass auch wenn sich Akteure, Umstände oder Details ändern, so gibt es bestimmte Vorgänge und Ereignisse oder auch Muster, die sich in ähnlicher Weise immer wiederholen. 

Beim Investieren versuchen wir, die Realität greifbar zu machen. Und wenn sich die Realität, die Entwicklung von Unternehmen oder auch von Volkswirtschaften in ähnlicher Art und Weise wiederholt, dann sollten wir versuchen, diese Entwicklungen der Vergangenheit, die Geschichte, zu verstehen, um ein besseres Verständnis der Gegenwart und Zukunft zu entwickeln. Dazu werde ich mich in dieser Folge mit verschiedenen Zyklustypen beschäftigen.

Hier geht es zum Podcast:

Wenn wir annehmen, dass sich Geschichte vielleicht nicht 1:1 wiederholt, sie sich aber zumindest in manchen Entwicklungen und Abläufen ähnelt. Und wenn wir aus vergangenen Ereignissen lernen wollen. Dann sollten wir versuchen, in den vergangenen Ereignissen sich wiederholende Muster zu erkennen, um die Gegenwart und die Zukunft besser zu verstehen, um bessere Entscheidungen zu treffen. 

Damit sind wir beim Thema der ewige Zyklus. 

Ein Zyklus ist eine in sich geschlossene Folge zusammengehöriger Vorgänge. Es ist eine Aufeinanderfolge wiederkehrender Ereignisse.

Zyklen lassen sich in vielen Bereichen des Lebens finden, zum Beispiel in der Biologie. Die Jahreszeiten sind ein ewiger Zyklus. Es gibt den biologischen Lebenszyklus, also die verschiedenen Lebensstadien eines Organismus. Lebewesen werden geboren, sie wachsen auf und entwickeln sich, pflanzen sich fort, sie sterben. Der Zyklus geht von vorne los. 

In Folge 26 über die Summe der Erfahrungen habe ich darüber gesprochen, dass auch die Geschichte insgesamt ein ewiger Zyklus ist. Wir erleben wachsenden Wohlstand und Frieden, gefolgt von Krieg, Unruhen und Zerstörung, bevor es mit neu geordneten Machtverhältnissen wieder von vorne losgeht. 

Jede Epoche, jedes Zeitalter ist irgendwann mal zu Ende gewesen. 

Politische und wirtschaftliche Mächte steigen auf, sie erreichen ihren Höhepunkt und werden dann von anderen aufstrebenden Mächten wieder an den Rand gedrängt. Das gilt für das römische Imperium, das britische Empire oder auch das frühere spanische Weltreich.

Historisch betrachtet ist es dank Evolution, dem technischen Fortschritt und steigender Produktivität immer weiter aufwärts gegangen. Darüber hatte ich in Folge 16 mit einem Plädoyer für finanzielle Zuversicht gesprochen. Aber die Entwicklung vollzog sich auch immer in Zyklen. 

Diese Zyklizität erkennt man aber nicht mit dem Blick der jeweils aktuellen Generation. Meine Generation in Westeuropa kennt nur den Frieden und wirtschaftlichen Aufschwung, wobei es mit dem gefühlt ewig währenden Frieden auch erstmal ein bisschen vorbei ist. 

Aber unsere Erfahrungen, unsere Denkweisen, die Debatten, die wir führen, basieren auf unserer Lebenswirklichkeit. Um die Entwicklung insgesamt zu sehen oder auch um Muster zu erkennen, müssen wir rauszoomen und den Betrachtungszeitraum verlängern.

In diesem Blog bzw. Podcast habe ich schon öfters gesagt, dass sich Finanzmärkte in Zyklen entwickeln

Zum Beispiel in Folge 2 wenn die Börsen bebenDie Börse ist ein ewiges Auf und Ab. Auf den Boom folgt die Abwärtsbewegung. Wir sehen steigende Märkte, also eine expansive Phase. Das kann dann auch zu Euphorie, Übertreibungen und neuen Rekordwerten an den Märkten führen. Dann ist der Zyklus auf dem Höhepunkt, es folgt eine Stagnation, also eine Sättigung der Märkte und dann dreht sich die Stimmung. Die Kurse sinken, vielleicht kommt es sogar zum Crash, bis irgendwann der Tiefpunkt erreicht ist.

Das ganze dauert erfahrungsgemäß circa vier bis acht Jahre und dann geht der Zyklus wieder von vorne los. Und neben der Stimmung am Markt werden Marktzyklen auch durch makroökonomische Faktoren wie die Inflation und die Höhe der Zinsen oder auch das Wirtschaftswachstum getrieben.

Bei steigender Inflation wird eine Erhöhung der Zinsen erwartet, siehe Folge 3 über das Gespenst der Inflation. Für Unternehmen wird es also teurer sich Geld zu leihen, das drückt die Stimmung. Umgekehrt werden fallende Zinssätze von den Märkten positiv bewertet, da sich die Unternehmen billiger Geld leihen können

Und auch ein hohes Wirtschaftswachstum führt tendenziell zu steigenden Kursen. Der Wirtschaft, den Unternehmen geht es gut und da freuen sich auch die Aktionäre.

Während sich die Zyklen der Finanzmärkte ewig wiederholen, durchlaufen einzelne Unternehmen meist einen in sich abgeschlossenen Zyklus.

Das Stichwort hierzu lautet Business Life Cycle, auf Deutsch ist das der Lebenszyklus eines Unternehmens. Demnach durchläuft die Entwicklung eines Unternehmens fünf verschiedene Phasen. Ein Unternehmen wird gestartet, es wächst, es stabilisiert sich, es reift und es erlebt den Niedergang. 

Manchen Unternehmen gelingt es, diesen Zyklus zu verlängern oder ihn zu durchbrechen, zum Beispiel indem sie sich neu erfinden. Das ist aber eher die Ausnahme und gelingt nur den wenigsten.

Der Amazon-Gründer Jeff Bezos stellte dazu vor einigen Jahren fest, dass auch Amazon eines Tages scheitern und bankrott gehen wird. Demnach zeige die Entwicklung großer Unternehmen, dass sie in der Regel eine Lebensdauer von etwas mehr als 30 Jahren haben.

Später fügte er hinzu, dass er sich darüber mit Blick auf Amazon keine Sorgen mache, weil dieser Niedergang unvermeidlich sei. Unternehmen kommen und gehen, und die wichtigsten Unternehmen jeder Ära sind nach ein paar Jahrzehnten wieder verschwunden.

Also wir sehen, dass es Zyklen im kleinen und im großen gibt. Den Lebenszyklus von Organismen und Unternehmen oder auch die Zyklen der Wirtschaft und der Finanzmärkte. Und wenn wir in die Geschichte gucken, dann lässt sich ebenso bei Ländern ein Zyklus feststellen, in dessen Verlauf ein Land prosperiert, aber wo es ebenso wieder abwärts gehen kann. 

Wenn man die Entwicklung von Ländern betrachtet, dann dauert ein Zyklus vielleicht 100 Jahre. 

In seinem Buch “Weltordnung im Wandel” identifiziert der Investor Ray Dalio drei wesentliche Probleme, die ein Land in große Schwierigkeiten stürzen können:

  1. Es gibt hohe Schulden, also die Bürger und der Staat sind in schlechter finanzieller Verfassung.
  2. Es gibt große Unterschiede in der Bevölkerung – das betrifft sowohl Einkommen und Vermögen aber auch Werte und Überzeugungen
  3. Es gibt einen Schockmoment, also zum Beispiel eine Wirtschaftskrise oder eine Naturkatastrophe.

Ich würde hier noch ergänzen, dass lange erfolgreiche Gesellschaften im Laufe der Zeit oft satt und träge werden und der Konkurrenz aufstrebender Länder nur schwer etwas entgegensetzen können. 

Jedenfalls wirken die drei genannten Probleme oft zusammen. Also wenn die finanzielle Lage bereits angespannt ist und die Gesellschaft durch brodelnde Konflikte fragil ist, dann steigt durch den Schock die Gefahr eines eskalierenden Konflikts, also ein Kampf um die finanziellen Ressourcen und um die Macht im Land. 

Dalio unterscheidet fünf verschiedene Phasen, die eine Gesellschaft bzw. eine Volkswirtschaft immer wieder durchläuft.

Zunächst gibt es eine Konsolidierungsphase. Die geht aus einem Bürgerkrieg oder aus einer Revolution hervor. Die kann von sehr blutigen Machtkämpfen gezeichnet sein. Ein Beispiel wäre die chinesische Kulturrevolution unter Mao, mit schätzungsweise bis zu 20 Millionen Toten.

Die zweite Phase läutet dann den Frieden ein. Der Wiederaufbau findet statt, die Produktivität steigt, der Wohlstand wächst. Ein historisches Beispiel ist Deutschland nach 1945 unter Bundeskanzler Konrad Adenauer.

Der Höhepunkt ist dann die dritte Phase. Da sehen wir viel Unternehmertum und Optimismus. Den Menschen geht es spürbar besser, als der Generation zuvor und man kann die Energie, den Aufbruch im Land regelrecht spüren. Ein Beispiel sind die Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts in den USA. Mit John F. Kennedy hatte man einen charismatischen Anführer, der 1962 das Ziel formulierte, dass man zum Mond fliegt, was sieben Jahre später auch gelang. Die Risiken dieser Phase sind Kumpanei und Vetternwirtschaft und eine beginnende Verschlechterung der Produktivität und der Finanzen. Die Gesellschaft wird satt und träge und es entwickelt sich ein übersteigertes Anspruchsdenken.

Laut Dalio schaffen es erfolgreiche Nationen, hier effektiv gegenzusteuern und negative Auswüchse zu verhindern. Ansonsten geht die Entwicklung in die vierte Phase. Das ist die Zeit der Exzesse. Da steht die Politik unter großer Versuchung, alles zu machen, um dem Volk zu gefallen. Die Schulden wachsen schneller als die zukünftigen Einnahmen, das Geld wird mehr ausgegeben als in produktive Infrastruktur investiert. Es wird unterstellt, dass die zukünftige Entwicklung so positiv sein wird wie in der Vergangenheit. 

Das Land läuft Gefahr satt zu sein und die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Und man sieht wachsende Vermögensunterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen und auch steigende Ressentiments gegenüber Minderheiten. Derweil steigt an den Börsen die Gefahr von Spekulationsblasen. Ein Beispiel ist der Zusammenbruch der New Yorker Börse im Jahr 1929, in dessen Folge es zur Weltwirtschaftskrise kam.

Damit sind wir in der fünften Phase und die bedeutet schwierige Zeiten. 

Es gibt zunehmend gesellschaftliche Spannungen und auch die finanzielle Situation wird immer angespannter. Und die Frage ist dann, ob es gelingt, friedlich und konstruktiv durch diese Phase zu steuern. 

Das wiederum hängt stark vom Verhalten der politischen Führung und gesellschaftlichen Gruppierungen ab. 

  • Können notwendige Reformen angestoßen werden oder werden Teile der Gesellschaft gegeneinander ausgespielt?
  • Wie ist die gesellschaftliche Grundverfassung? Gibt es gewalttätige Ausschreitungen?
  • Wie ist das allgemeine Wohlbefinden?

All das sind wichtige Faktoren, die beeinflussen, wie ein Land durch diese Phase steuert. 

Und es braucht nicht viel Phantasie, um festzustellen, dass sich viele europäische Länder, aber auch die USA gerade irgendwo zwischen der vierten und der fünften Phase befinden. 

Das heißt nicht, dass uns nun Zeiten von Revolution oder Bürgerkrieg ins Haus stehen. Aber die Geschichte zeigt eine ewige kontinuierliche Veränderung in Zyklen. Und es gibt durchaus Anzeichen, dass wir in Deutschland den zyklischen Höhepunkt hinter uns haben und dass wir uns eher dem Ende des Zyklus nähern. 

Wir haben enorme gesellschaftliche, aber auch ökonomische Herausforderungen zu bewältigen. Es gibt ein Gefühl der Ungleichheit, viele gesellschaftliche Debatten verhärten sich. Das Bildungssystem und die Infrastruktur zeigen Schwächen. Wir leisten uns auch manche Luxusdebatte, bei der andere Länder nur mit dem Kopf schütteln.

Das kann einen mit Blick in die Geschichte durchaus beunruhigen. Und diese Analyse mag für uns wenig erfreulich sein. Ich halte es aber für wichtig, die Realität so zu sehen, wie sie ist, sich nicht in der Illusion zu wiegen, dass alles immer so bleiben wird, wie man es gerne hätte. Denn nur dann sind wir in der Lage, rationale Entscheidungen zu treffen. 

Abseits dieser Makrozyklen lässt sich innerhalb einer intakten Volkswirtschaft ein weniger dramatischer Zyklus identifizieren und zwar, dass auf wirtschaftlich gute Phasen auch weniger gute folgen.

Für den Autor Morgan Housel ist das insbesondere ein Wechselspiel aus Gier und Angst. Er stellt fest, dass Menschen immer den aktuellen Zustand in die Zukunft extrapolieren. 

Also wenn es gut läuft, dann geht man davon aus, dass es immer so bleibt. Die Möglichkeit einer schlechten Entwicklung wird ausgeblendet, schlechte Nachrichten werden vielleicht geleugnet.

In Folge 48 Auch dies wird vorübergehen habe ich darüber gesprochen, dass alles endlich ist. Und wenn eine gute Phase zu Ende geht und es auf einmal schlecht läuft, dann akzeptieren wir auf einmal nicht nur die schlechten Nachrichten, sondern wir geraten in Panik und wir gehen nun davon aus, dass es richtig dicke kommt und die Zukunft düster ist. Bis sich der Wind dreht, es wird besser, das Spiel geht wieder von vorne los.

Und das hat enorme Auswirkungen auf die Geldanlage, wie der amerikanische Ökonom Hyman Minsky mit seiner Hypothese der finanziellen Instabilität erläutert hat. Demnach führt eine stabile Wirtschaft dazu, dass die Menschen optimistisch sind. 

Wenn die Menschen optimistisch sind, dann verschulden sie sich. Wenn die Menschen sich verschulden, wird die Wirtschaft instabil. Also eine große Stabilität wirkt destabilisierend. Das bedeutet, dass extreme Bewegungen der Märkte – in beide Richtungen – unvermeidbar sind. 

Wenn wir der Überzeugung sind, dass es gut läuft, dann sorgt unser Verhalten dafür, dass es irgendwann nicht mehr gut läuft. 

Stell Dir vor, die Aktienkurse würden niemals sinken, sondern immer weiter steigen. Jeder, wirklich jeder würde so viele Aktien kaufen, wie er oder sie kann. Man würde sich verschulden, um mit dem geliehenen Geld noch mehr Aktien zu kaufen. 

Dabei würden die Kurse und entsprechend auch die Bewertungen immer weiter klettern, in absurde Höhen. Und laut Housel ist das genau das, was während eines starken Bullenmarktes passiert: die Kurse klettern immer weiter, bis sie es nicht mehr tun. Dann kommt es plötzlich und überraschend zu einer Marktkorrektur oder sogar zu einem ordentlichen Börsencrash. 

Und je mehr die Euphorie um sich greift und die Anleger meinen, dass es immer so weiter geht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem harten Absturz kommt. 

Überraschungen haben an sich, dass man sie nicht vorhersehen kann. Entsprechend groß ist die Gefahr, dass man inmitten eines euphorischen Hochs der Märkte finanziellen Schaden nimmt. 

Oder wie in Folge 21 über die Kunst ein Vermögen zu erhalten besprochen: Großer Erfolg kann uns schaden. Wenn junge Menschen in einem Bullenmarkt investieren, also in einer breiten Aufwärtsbewegung der Märkte. Dann können sie dem Trugschluss verfallen, dass sie Superinvestoren sind, obwohl sie vielleicht einfach Glück hatten. Und demnach kann es gerade für junge Investoren von Vorteil sein, wenn sie frühzeitig einen Absturz der Märkte erleben, sich eine blutige Nase holen und Verluste machen

Wir sollten vorsichtig agieren und demütig sein, auch wenn die Märkte mal davon galoppieren. Und wir sollten nicht verzweifeln, wenn der ewige Zyklus die Märkte auch mal nach unten reißt. 

Wenn wir im Eifer des Gefechts rauszoomen und den ewigen Zyklus erkennen, dann können wir Gelassenheit entwickeln und den Blick auf unsere langfristigen finanziellen Ziele und die langfristige Entwicklung der Märkte fokussieren – denn die haben sich historisch betrachtet trotz des ewigen Zyklus über einen langen Zeitraum positiv entwickelt. 

PS: Das Titelbild ist in Kolumbien entstanden.

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