Der Corporate Life Cycle

Der Corporate Life Cycle oder auf Deutsch der Unternehmenslebenszyklus. In diesem Beitrag geht es darum:

  • Welche verschiedenen Phasen Unternehmen in ihrem Leben durchlaufen
  • Wie einer der renommiertesten Finanz-Denker auf dieses Thema blickt
  • Was das nun für uns als Anlegerinnen und Anleger bedeutet.

Hier geht es zum Podcast:

Was ist der Corporate Life Cycle?

In Folge 65 Der ewige Zyklus erwähnte ich bereits, dass Unternehmen meistens einen in sich abgeschlossenen Zyklus durchlaufen, den Unternehmenslebenszyklus. Demnach durchläuft die Entwicklung eines Unternehmens verschiedene Phasen – von seiner Gründung, über die Etablierung, bis zu seinem Niedergang. Also anders ausgedrückt: Auch Unternehmen sind nicht unsterblich. Sie leben nicht ewig.

Das kann auch zu der Frage führen: Warum ist das so? 

Die vermeintlich einfache Antwort ist, dass alles irgendwann zu Ende geht, Folge 48 Auch dies wird vorübergehenZeiten ändern sich, neue Wettbewerber treten an, neue Technologien verbreiten sich, Bedürfnisse verändern sich. Da wird es wohl mehrere Erklärungen geben. Fakt ist: Die Lebenszeit der meisten Unternehmen ist endlich. 

Zwar gelingt es manchen Unternehmen, diesen Zyklus zu verlängern oder ihn zu durchbrechen, zum Beispiel indem sie sich neu erfinden. Das ist aber eher die Ausnahme. Die meisten Unternehmen haben eine begrenzte Lebensdauer.

Der Amazon-Gründer Jeff Bezos stellte dazu einmal fest, dass auch Amazon eines Tages scheitern und bankrott gehen wird. Der Niedergang sei unvermeidlich. Unternehmen kommen und gehen, und die wichtigsten Unternehmen jeder Ära sind nach ein paar Jahrzehnten wieder verschwunden.

Für uns als Anlegerinnen und Anleger bedeutet dies, dass wir uns auf die Endlichkeit einstellen müssen. Auch das großartigste Unternehmen, die beste Aktie, hat in der Regel irgendwann ein Ende oder wird zumindest ein Schatten seiner selbst sein.

Das wirft einige Fragen auf, zum Beispiel wie gestalten sich die verschiedenen Phasen entlang des Corporate Life Cycle und was bedeutet die jeweilige Phase für das Investieren? 

Es gibt verschiedene Konzepte des Corporate Life Cycle, die sich oft nur punktuell voneinander unterscheiden. 

Manche unterscheiden zwischen fünf, andere zwischen sechs verschiedenen Phasen, wobei die Grundidee immer sehr ähnlich ist. Ein Unternehmen wird gestartet, es wächst, es stabilisiert sich, es reift und es erlebt den Niedergang. 

Und in jeder dieser Phasen gibt es unterschiedliche Faktoren zu berücksichtigen. 

Junge Unternehmen sind meist wenig oder überhaupt nicht profitabel, sie verfügen aber oft über sehr gute Investitionsmöglichkeiten. Also anders ausgedrückt: Bei diesen Unternehmen wird viel in Wachstum investiert, während die Profite erst in Zukunft locken. 

In der Mitte des Lebenszyklus ist die Rentabilität in der Regel am höchsten, parallel gehen die Investitionsmöglichkeiten zurück. Es wird weniger investiert, dafür mehr Ertrag generiert.

Und in den späten Phasen des Lebenszyklus gehen sowohl die Rentabilität als auch die Investitionsmöglichkeiten zurück. 

Die Herausforderungen im Corporate Life Cycle

Aswath Damodaran ist Professor für Finanzen an der New York University. Er hat sich viel mit dem Corporate Life Cycle beschäftigt und dargelegt, was die Charakteristika der jeweiligen Phasen sind, welchen Herausforderungen ein Unternehmen jeweils begegnen muss und was jeweils die größten Risiken sind.

Ein noch junges, frisch gegründetes Unternehmen, ein Startup, hat zunächst eine vielversprechende Geschäftsidee. Diese gilt es in Produkte zu übersetzen. Ein großes Risiko ist in dieser Phase, dass dies nicht gelingt oder dass man sich mit zahlreichen Wettbewerbern konfrontiert sieht, gegen die man den Kürzeren zieht. Wenn die Produkte einmal am Markt sind, dann wird der Umsatz zwar auf relativ kleiner Basis aber dafür sehr stark wachsen. Die Verluste sind sehr hoch und alles oder fast alles verfügbare Kapital wird in das Geschäft reinvestiert. 

Die nächste Phase bezeichnet Damodaran als Young Growth, auf Deutsch junges Wachstum. Hier geht es um die weitere Ausarbeitung eines umsatzträchtigen Geschäftsmodells – hier ist das Risiko, dass dies vielen nicht gelingt. Der Schritt von der Idee zum Produkt mag gelungen sein. Dies in ein gutes Geschäftsmodell zu übersetzen ist damit aber noch nicht garantiert. Zudem muss sich das Unternehmen vermutlich weiterhin gegen zahlreiche Wettbewerber und ihre Lösungen durchsetzen. Das Umsatzwachstum ist in dieser Phase weiterhin hoch und das Unternehmen erwirtschaftet immer noch einen Verlust, der sich vielleicht sogar noch vergrößert, zum Beispiel um das Wachstum zu finanzieren. Entsprechend wird auch in dieser Phase ein Großteil der verfügbaren Ressourcen in das Geschäft reinvestiert. 

In der High Growth Phase geht es darum, das Geschäft zu skalieren. Das bedeutet: Der Umsatz soll steigen, ohne dass die Investitionen und Kosten in gleicher Weise mitwachsen. Dies ist mit Blick auf wachsende Margen und das Gewinnpotenzial wichtig. Das funktioniert nur leider nicht immer und laut Damodaran ist dies auch höchste Risiko: Das Geschäft ist nicht skalierbar. Ein Beispiel: Eine Anwaltskanzlei skaliert nicht. Das Geschäftsmodell besteht darin, dass man geleistete Stunden in Rechnung stellt. Wenn man den Umsatz steigern, also mehr Stunden in Rechnungen stellen möchte, dann braucht es mehr Anwälte. Also die Kosten wachsen mit dem Umsatz. Demgegenüber kann ein Radiosender theoretisch unbegrenzt Hörer haben, ohne dass die Kosten steigen, also vielleicht abseits des Aufwands für ein höheres Verbreitungsgebiet. Jedenfalls ist in der High Growth Phase das Umsatzwachstum weiterhin hoch, vermutlich wird immer noch ein Verlust erwirtschaftet, aber die Lage verbessert sich. Es wird immer noch viel investiert aber nur noch proportional zum Umsatz.

Die nächste Phase bezeichnet Damodaran als Mature Growth, wörtlich übersetzt bedeutet dies reifes Wachstum. Also anders ausgedrückt: Das Unternehmen befindet sich nun an der Schwelle von einem jungen Wachstumsunternehmen zu einem etablierten, einem reifen Unternehmen. Das Unternehmen ist schon ordentlich gewachsen. Es wächst weiterhin, aber nur moderat. Der Wettbewerbsdruck hat womöglich etwas nachgelassen. Das größte Risiko sieht Damodaran darin, dass das Unternehmen nun nicht mehr weiter wachsen kann. Weil dies ist der Schlüssel für die weitere Entwicklung: Das Unternehmen soll weiter wachsen und gleichzeitig die Profitabilität steigern. Das Unternehmen erzielt also bereits einen Gewinn, der sich vergrößern soll. Es wird immer noch viel reinvestiert aber unterproportional zum Umsatz.

Nun folgt die Phase Mature Stable. Das kann man mit reif und beständig übersetzen. Das Unternehmen ist nun schon groß, das Umsatzwachstum ist gering, der Gewinn ist stabil, das Geschäft ist planbar. Es wird eher wenig in das Geschäft reinvestiert, vielleicht ein geringer Prozentsatz der erzielten Umsätze. Die Risiken lauern nun vor allem in neuen Wettbewerbern, die dem nun etablierten Unternehmen das Geschäft streitig machen wollen und in neuen Produkten und Technologien, die das Geschäft disruptieren. Dagegen muss sich das Unternehmen zur Wehr setzen. 

Wenn dies nicht gelingt oder das Unternehmen sich nicht neu erfindet, dann kommt die letzte Phase, der NiedergangDer Markt ist gesättigt, vielleicht sind auch die Produkte veraltet. Die Branche beginnt zu schrumpfen, manches Unternehmen zieht sich vom Markt bzw. Aus dem Geschäftsfeld zurück. Für das Unternehmen bedeutet das: Die Erlöse stagnieren, vielleicht gehen sie auch zurück. Es ist vermutlich noch profitabel, wobei die Margen eher rückläufig sind. Wichtig ist nun, dass der Niedergang sorgsam gemanagt wird und dass nicht Ressourcen auf vergebliche Versuche verschwendet werden, die Alterung und den Rückgang aufzuhalten. Anstatt in das Geschäft zu reinvestieren, ist es nun oft sinnvoller, sich von manchen Geschäftsfeldern zu verabschieden, Unternehmensteile zu veräußern und das Geschäft den neuen Gegebenheiten entsprechend zu schrumpfen. 

Weitere Eigenschaften des Corporate Life Cycle

Natürlich ist der Corporate Life Cycle wie hier beschrieben nur ein etwas verallgemeinerndes Schema, wobei die Situation individuell auch anders ausfallen kann.

Damodaran visualisiert den Corporate Life Cycle als eine mathematische Kurve und er argumentiert, dass die Kurve in drei Dimensionen variieren kann: 

  1. Die Länge, also wie lange ein Unternehmen besteht
  2. Die Höhe, also wie stark ein Unternehmen sich vergrößern kann
  3. Die Steigung, also wie schnell das Unternehmen sich vergrößern kann

Allen Unternehmen ist gemein, dass sich ihre Aufgaben und Herausforderungen über den Lebenszyklus hinweg ändern. Ein Unternehmen muss ein Geschäft aufbauen, es skalieren und durch Phasen niedrigen Wachstums führen. Es kommt der Zeitpunkt, an dem ein Unternehmen den Niedergang managen muss und ein Unternehmen muss immer wieder mit unterschiedlichen Wettbewerbssituationen umgehen. Es ändern sich ebenfalls Dinge wie die Profitabilität und der Investitionsbedarf und im Zeitverlauf gibt es sehr unterschiedliche Anforderungen an das Management. 

Und jede dieser Phasen birgt das Risiko, dass das Unternehmen aus jeweils unterschiedlichen Gründen scheitert. Tatsächlich schaffen es die meisten Unternehmen nicht von der Idee zum Produkt. Auch der Weg von einem Produkt, das am Markt ist, hin zu einem starken Wachstum, ist den meisten Unternehmen nicht vergönnt. Und viele bereits gut gewachsene Unternehmen scheitern daran, sich erfolgreich gegen den Wettbewerb zu verteidigen. 

Anders ausgedrückt: Die vorzeitige Sterblichkeitsrate im Corporate Life Cycle ist weitaus höher als im Lebenszyklus eines Menschen. 

Die hohe Sterblichkeitsrate von Unternehmen hat enorme Implikationen für uns als Anlegerinnen und Anleger. 

Stichwort Folge 21 über die Kunst ein Vermögen zu erhaltenNatürlich möchten wir unser Geld vermehren. Doch nicht umsonst lautet Warren Buffets erste Regel des Investierens: “Verliere niemals Geld”. Es geht darum, dass wir unser Geld nicht übermäßig ins Risiko stellen, dass wir es bewahren, dass unser bereits erwirtschaftetes Vermögen überlebt. 

Für uns als Anlegerinnen und Anleger bedeutet das, dass wir bei der Entscheidung, ob wir in ein Unternehmen investieren oder nicht in unterschiedlichen Phasen des Unternehmens auf andere Dinge achten müssen. 

Wenn ich mich für die Investition in ein junges, stark wachsendes Technologieunternehmen interessiere, dann schaue ich womöglich weniger auf den Profit heute bzw. Falls überhaupt einer erwirtschaftet wird. Ich möchte aber vermutlich ein starkes Wachstum sehen und eine begründete Vorstellung davon haben, wie sich das Unternehmen weiterentwickeln wird und ob das Management die Fähigkeit und eine überzeugende Strategie hat, damit dies auch so eintritt.

Bei einem etablierten Unternehmen schaue ich womöglich stärker auf die Profitabilität und darauf, ob das Geschäft auch perspektivisch Bestand hat, ob es starke Wettbewerbsvorteile gibt, Stichwort Investieren in Aktien mit Burggräben aus Folge 52. 

Und bei einem reifen sowie idealerweise sehr profitablen Unternehmen interessiert mich womöglich weniger, dass in neue eher weit entfernte Geschäftsfelder investiert wird, sondern wie mit den Gewinnen umgegangen wird, also zum Beispiel ob und wie Geld in Form von Aktienrückkäufen oder Dividenden an die Anteilseigner zurückgeführt wird. Weitere Details dazu kannst Du nochmal in Folge 29 über Aktienrückkäufe und in Folge 20 mit Dividenden Tipps nachhören. 

Damodaran empfiehlt Akzeptanz als die gesündeste Reaktion auf das Altern. Ein Unternehmen sollte akzeptieren, wo es sich im Lebenszyklus befindet und sich entsprechend verhalten. Ein noch junges Unternehmen, das auf starkes Wachstum setzt, sollte sich nicht übermäßig verschulden oder leichtfertig Aktienrückkäufe starten. Ein reifes Unternehmen, das seinen Wert insbesondere aus den vorhandenen Vermögenswerten und seinen Wettbewerbsvorteilen zieht, sollte diesen Wert nicht durch den Erwerb von Unternehmen in neuen und unbekannten Geschäftsfeldern ins Risiko stellen, um an alte Wachstumszeiten anzuschließen. Diese Akzeptanz, so Damodaran, falle insbesondere schrumpfenden Unternehmen schwer, da Management und Investoren sich mit der Verkleinerung des Unternehmens abfinden müssen. 

Tendenziell lässt sich beobachten, dass sich der Corporate Life Cycle im Laufe der Zeit verkürzt hat. Heutzutage können viele Unternehmen viel schneller wachsen, als dies vor nur wenigen Jahrzehnten möglich gewesen wäre.

Ein Unternehmen wie Siemens oder Volkswagen musste seinerzeit mit sehr viel Kapital Maschinen erwerben, eine Infrastruktur aufbauen und ein Vertriebsnetz etablieren. Einmal an der Spitze hatten sie eine enorme Machtposition und waren nur sehr schwer angreifbar.

Heutige Unternehmen müssen deutlich weniger Aufwand betreiben, um dank digitaler Möglichkeiten und einer globalisierten Weltwirtschaft sehr schnell sehr stark zu skalieren. Diese Möglichkeiten stehen gleichzeitig auch dem Wettbewerb offen und das Innovationstempo ist ungemein hoch. Ein Unternehmen kann heutzutage schneller in die Champions League seiner Branche vorstoßen. Aber ebenso schnell wird es auch wieder vom Thron gestoßen. 

Investieren im Corporate Life Cycle

Abschließend lässt sich zum Corporate Life Cycle festhalten, dass man grundsätzlich in jeder Phase ein gutes Investment tätigen kann. Man kann aber ebenso in jeder Phase ein schlechtes Geschäft machen. 

Ein noch relativ junges Wachstumsunternehmen mag die besten Zeiten noch vor sich haben – es kann trotzdem ein schlechtes Investment darstellen, wenn der Preis, den man bezahlt, zu hoch ist, oder wenn sich die Dinge anders entwickeln als erhofft. Umgekehrt kann auch ein Unternehmen im Niedergang eine gute Investition sein, wenn man denn der Preis stimmt. 

Es kann ebenfalls legitim sein, dass man einen Investmentstil verfolgt, der eine bestimmte Phase im Corporate Life Cycle fokussiert. Value-Investoren bspw. wittern oft die besten Geschäfte bei etablierten Unternehmen, während Growth-Investoren vielfach jüngere Unternehmen bevorzugen, die ein hohes Wachstum versprechen. 

Man kann aufgrund der eigenen Anlagephilosophie durchaus bevorzugt in Unternehmen einer bestimmten Phase des Lebenszyklus investieren. Meiner Meinung nach ist es aber empfehlenswert, dass das Portfolio nicht zu sehr in Schieflage gerät und man nur auf das nächste große Ding setzt oder nur Aktien hat, die die besten Tage hinter sich haben.

Und natürlich ist nicht immer selbsterklärend, in welcher Phase sich ein Unternehmen gerade befindet. Die von Damodaran aufgeführten Kriterien können dabei helfen, aber hier zeigt sich wieder einmal, dass das Investieren in Einzelaktien durchaus arbeitsintensiv sein kann.

Das Titelbild ist in Valencia entstanden.

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