Complexity Bias

Complexity Bias oder die Frage: Warum so kompliziert? Ich werde mich in dieser Ausgabe damit beschäftigen, warum wir uns zuweilen von Komplexität angezogen fühlen und was das für unsere Finanzen bedeuten kann. 

Hier geht es zum Podcast:

Complexity Bias – Wir leben in einer ziemlich komplexen und komplizierten Welt. 

Manche mag das verunsichern. Manche fühlen sich dann auch zu vermeintlich einfachen Antworten hingezogen. Das kennt man zum Beispiel aus den politischen Debatten unserer Zeit. 

Es gibt aber ebenso das Phänomen, dass wir Komplexität suchen. Dass wir Komplexität der Einfachheit vorziehen. Dass wir die Dinge kompliziert machen. Wir sehen Komplexität, wo eigentlich der Zufall regiert. Und wir unterstellen, dass etwas eher wahr oder besonders schlau ist, wenn es kompliziert daherkommt.

Dieses Phänomen ist bekannt als Complexity Bias, auf Deutsch Komplexitätsverzerrung und beschreibt unsere Tendenz, komplexen Konzepten übermäßig viel Bedeutung beizumessen. Wenn es zu einem Sachverhalt zwei miteinander konkurrierende Hypothesen oder Erklärungen gibt, dann neigen wir dazu, die komplexere zu wählen. Die einfache Lösung wird übersehen oder ausgeblendet. 

Und das hat auch der chinesische Philosoph Konfuzius festgestellt, der sinngemäß gesagt haben soll:

„Das Leben ist wirklich einfach, aber wir bestehen darauf, es kompliziert zu machen“. 

Für treue Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts bzw. Leserinnen und Leser dieses Blogs mag das etwas widersprüchlich klingen: Die Realität ist nunmal komplex. Und ich habe schon öfters gesagt, dass wir – um die Komplexität der Realität für uns verständlich und greifbar zu machen – dass wir oft nach griffigen Konzepten, nach vereinfachten Antworten und nach mentalen Abkürzungen suchen. 

Ich habe ebenfalls gesagt, dass diese Vereinfachungen zu einem falschen Verständnis oder zu falschen Schlussfolgerungen führen können. Und nun sage ich, dass wir uns von Komplexität angezogen fühlen. Wie passt das denn zusammen?

Complexity Bias und andere kognitive Verzerrungen

Das ist tatsächlich interessant. Die meisten kognitiven Biases, also kognitiven Verzerrungen, dienen dazu, dass wir mentale Energie sparen, also dass wir die sinnbildliche mentale Abkürzung nehmen.

Zum Beispiel Confirmation Bias aus Folge 28. Die sorgt dafür, dass wir an unseren bestehenden Meinungen und Überzeugungen festhalten, wobei wir Informationen ignorieren, die unseren Überzeugungen widersprechen. Wir handeln komplexitätsreduzierend. Indem wir Informationen ignorieren, zeichnen wir einen Sachverhalt weniger komplex, man könnte auch sagen, eindimensionaler, als er in Wirklichkeit ist.

Der Autor Shane Parrish hat hierzu festgestellt, dass es vielleicht den Anschein hat, dass gängige kognitive Verzerrungen kognitive Abkürzungen sind und dass bei der Complexity Bias das Gegenteil der Fall ist. Er argumentiert, dass auch die Complexity Bias eine kognitive Abkürzung darstellt. Er sagt, dass wir es mit der Entscheidung für eine komplexe oder komplizierte Antwort bzw. Erklärung vermeiden, jene hinreichend zu verstehen. Indem wir unterstellen, dass ein Sachverhalt komplexer ist, als dies in Wirklichkeit der Fall ist, geben wir die Verantwortung ab, ihn wirklich zu verstehen. 

Und das erinnert an einen Aspekt aus Folge 91. Da sprach ich über den verbreiteten finanziellen Glaubenssatz “Ich kann nicht mit Geld umgehen”. 

Dieser Glaubenssatz kann verschiedene Gründe haben. Und die Überzeugung kann bei manchen tief sitzen. Und mancher hat womöglich wirklich ein Defizit. Aber zuweilen wirkt eine solche Aussage fast wie eine Entschuldigung, auf der man sich ausruht. Es ist wohl auch bequemer zu sagen “ich kann das nicht” als das Thema anzugehen. Und durch die zugrunde liegende Unterstellung, dass Finanzen komplex sind, schiebt man die Verantwortung weg, die eigene Situation aktiv zu verändern. 

Eine weitere Erklärung für Complexity Bias und unsere Wertschätzung von Komplexität könnte darin begründet liegen, dass wir aufgrund von Komplexität Kompetenz unterstellen.

Komplexität verkauft sich einfach verdammt gut. Komplexität gibt uns das gute Gefühl, dass wir echte Expertise einkaufen – ein Paradebeispiel für Complexity Bias. Jemand, der wirklich klug und kompetent ist, hat natürlich eine komplexe Lösung parat. Für eine einfache Lösung brauche ich doch keinen Experten. 

Stichwort Folge 5 über AutoritätsgläubigkeitFinanzberater, vermeintliche Börsen-Experten oder auch manche Influencer nutzen mitunter eine Sprache, die für finanzielle Laien wie Fachchinesisch daherkommt. Also der Finanzjargon macht möglicherweise Eindruck und unterstreicht, dass ich einem Profi zuhöre, der sich mit diesem wirklich komplizierten Thema viel besser auskennt als ich. Auch hier nehmen wir uns aus der Verantwortung das Thema zu verstehen. Wir wenden uns vertrauensvoll an den vermeintlichen Experten, der uns sagt, was zu tun ist.

Der amerikanische Schriftsteller Andy Benoit hat hierzu angemerkt, dass die meisten Genies nicht erfolgreich sind, indem sie komplizierte Zusammenhänge dekonstruieren und einfach darstellen. Vielmehr nutzen sie unerkannte Einfachheiten aus.

Und auch der Finanzberater überfrachtet mich möglicherweise mit Informationen und Fachbegriffen. Er lässt das Thema komplizierter aussehen, als es ist. Damit rechtfertigt er seinen Status, um mich entsprechend zu beraten, also mir Finanzprodukte zu verkaufen, für die er eine Provision erhält. Wobei ich mir möglicherweise mit überschaubarem Aufwand die relevanten Grundlagen aneignen könnte, sodass ich selbst durch den dann doch nicht so undurchschaubaren Finanzdschungel navigieren könnte. 

Welche möglichen negativen Effekte kann die Complexity Bias auf unsere Finanzen haben?

Komplexität macht das Leben manchmal richtig interessant. Es passiert aber auch nicht selten, dass Chaos und Zufall im Gewand von Komplexität daherkommen.

Ein Beispiel sind Verschwörungstheorien. Dinge passieren. Möglicherweise kann man die Ursache eines Ereignisses auch erklären. Tatsächlich ist die Wirklichkeit oft vom Zufall geprägt. Verschwörungstheorien sind oft ziemlich komplex und zeigen System im Chaos. Sie rationalisieren und vermitteln den Anschein der Erklärung, was wie und warum passiert.  

Auch die Werbung appelliert oft an unseren Wunsch nach Komplexität und an Complexity Bias. Da ist das Bier isotonisch und der Joghurt probiotisch. Das klingt wahnsinnig schlau und ziemlich gut für uns. Aber letztlich bin ich weit davon entfernt beurteilen zu können, wie sich das auf unseren Körper auswirkt. Ich persönlich könnte nicht sagen, was im Detail dahintersteckt und ob die Werbebotschaften wirklich wissenschaftlich belegt sind. 

Und Komplexität muss ja nicht schlecht und kann durchaus legitim sein. Eine Freundin von mir backt hervorragendes Sauerteigbrot. Da wird die Sauerteigkultur gehegt und gepflegt. Es kommt auf Details wie die richtige Mischung der Zutaten und die exakte Ruhezeit des Teigs an. Das ist für jemanden wie mich, der von Backen ziemlich wenig Ahnung hat, ziemlich komplex. Und am Ende steht da als Ergebnis ein ziemlich leckeres Brot. Das weiß ich zu würdigen und ich bin mir durchaus bewusst, dass das Brot das Resultat eines komplizierten, komplexen Prozesses ist.

Wenn wir uns allerdings beim Investieren von hoher Komplexität leiten lassen, dann kann dies dazu führen, dass wir unsere Fähigkeiten überschätzen. Wenn wir unsere Fähigkeiten überschätzen, dann kann das zu einer erhöhten Risikobereitschaft führen, die wiederum in finanziellen Verlusten münden kann.

Anders als im Beispiel der Finanzberater und Influencer braucht es beim Investieren vielleicht auch gar nicht den Einfluss Dritter, damit man meint, dass Komplexität für ein gutes Ergebnis hilfreich ist.

Beim Investieren und an der Börse neigen viele Menschen zu dem Glauben, dass erfolgreiche Strategien besonders komplex sein sollten. Sie neigen zur Complexity Bias. Dem mag die Überzeugung zugrunde liegen: Die Finanzwelt ist komplex, also brauchen wir komplexe Lösungen.

Dann kann es zwei Möglichkeiten geben: 

Vielleicht sind wir der Überzeugung, den komplexen Zusammenhang in alle seine Bestandteile zu zerlegen und genau darlegen zu können, was wie warum eintreten wird. Das wäre wie beim Backen des Sauerteigbrots: Das mag komplex sein, aber wenn ich mich auskenne, dann führt mein Prozess zu einem guten Ergebnis.

Ein Beispiel beim Investieren wäre die Vorhersage, wie sich eine Aktie oder auch der Markt insgesamt in der nächsten Zeit entwickeln wird. Wir identifizieren alle möglichen Faktoren, wir treffen Annahmen und dies dient uns dann als zwar komplizierte, aber in unseren Augen schlüssige und sehr smarte Erklärung für einen Sachverhalt.

Unabhängig davon, dass man meiner Überzeugung nach die kurzfristige Entwicklung der Märkte oder einer Aktie nicht vorhersagen kann: hier liegt die Überzeugung zugrunde, dass man alle relevanten Faktoren identifiziert, dass man sie richtig interpretiert und dass man die richtigen Annahmen trifft. 

Warren Buffett hat gesagt, dass man nur in das investieren sollte, was man auch versteht. Unser Wissen ist aber nunmal sehr begrenzt. Dazu hatte ich in Folge 58 Du weißt nicht, was Du nicht weißt den Investor Howard Marks zitiert. Der sagte: 

“Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Jeder hat eine Meinung. Aber Meinungen sind etwas völlig anderes als Wissen.”

Und angewendet auf das Beispiel der Marktvorhersage ist es äußerst unwahrscheinlich, dass ich die Situation komplett durchdringe und mit meiner Prognose verlässlich richtig liege.

Die andere Möglichkeit ist, dass ich die Komplexität zwar anerkenne, ich aber der Meinung bin, dass das viel zu kompliziert ist, als dass ich es hinreichend verstehen kann. Also das wäre das zuvor beschriebene Phänomen: Ich bin nicht in der Lage, die Strategie zu durchdringen, das akzeptiere ich und ich source mein Denken an eine Autorität aus, die vermeintlich wissender ist als ich – das wäre bspw. Der Finanzberater, der Influencer oder der Börsen-Guru.

Oder auch ein komplexes Finanzprodukt: Vielleicht erkenne ich an, dass ich es in der Tiefe nicht komplett verstehe. Aber: Da lockt eine sehr hohe Rendite. Diese Rendite ist aber alles andere als sicher. Eine hohe Rendite mag in Aussicht gestellt werden. Das heißt aber noch lange nicht, dass dies auch so eintritt. Und oft haben komplexe Finanzprodukte zudem noch höhere Kosten und Gebühren, die erstmal wieder eingespielt werden müssen. 

Was können wir tun, um der Komplexität Herr zu werden und um der Complexity Bias nicht zu verfallen?

Wenn wir dazu neigen, beim Investieren ein komplexes Konzept zugrunde zu legen, wenn wir der Complexity Bias erliegen, dann sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass wir nicht alles verstehen. Folge 58: Du weißt nicht, was Du nicht weißt. Und wir sollten uns darum im Klaren sein, dass nicht alles, was komplex ist, auch unbedingt besser ist. 

Wir sollten – wie erwähnt – nur in das investieren, was wir auch verstehen. Es gibt erprobte Investmentansätze, die nicht komplex sind, zum Beispiel der schon öfters in diesem Podcast angesprochene Sparplan auf ein breitgestreutes ETF-Portfolio.

Wenn ich einen langfristigen Zeithorizont habe, dann muss ich mich nicht darum sorgen, wie sich die Märkte kurzfristig entwickeln oder ob eine einzelne Aktie nun ein gutes Investment darstellt. 

Wenn ich mich trotzdem dem Investieren in Einzelaktien hingeben möchte, dann kann ich das mit einem sehr kleinen Anteil meines Depots machen und mich Stück für Stück herantasten. Dann kann ich auch schriftlich festhalten, warum ich zu einem bestimmten Zeitpunkt der Meinung war, warum die entsprechende Aktie ein vielversprechendes Investment darstellt. Und dann kann ich im Laufe der Zeit immer wieder meine Notizen hervorholen und prüfen, ob das, was ich vermutet habe, auch wirklich so eingetreten ist. Dann lerne ich ebenfalls, wo ich bestimmte Faktoren vernachlässigt oder eine Situation falsch eingeschätzt habe.

Die wahrscheinlich beste Methode, um der Komplexität zu begegnen, ist das Konzept von Ockhams Rasiermesser. Doch damit beschäftige ich mich erst in der nächsten Folge.

PS: Das Titelbild ist in Athen entstanden.

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