Animal Spirits oder auch: Das Tier in Dir. In dieser Ausgabe geht es um unsere Instinkte. Ich werde darüber sprechen, wie diese uns bei der Geldanlage beeinflussen und wie diese Beeinflussung zu zwei der größten Börsenbeben der jüngeren Geschichte beigetragen hat. Und abschließend werde ich mich damit befassen, was Du tun kannst, um selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen und Dich nicht von Deinen Instinkten kontrollieren zu lassen.
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Die Animal Spirits
1936 veröffentlichte John Maynard Keynes seine allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. Und in dem Werk prägte er im Zusammenhang mit dem Investieren ebenfalls den Begriff der “Animal Spirits”. Damit beschrieb er, wie Menschen finanzielle Entscheidungen treffen, wenn sie hohe Unsicherheit erfahren oder unter Druck stehen.
Wenn wir im Kontext der Geldanlage von Animal Spirits sprechen, dann meinen wir psychologische und emotionale Faktoren, unreflektierte und mitunter irrationale Instinkte, die unser Verhalten beeinflussen. Es geht hier also um sehr tief in uns sitzende animalische Instinkte. Man könnte auch sagen, dass Keynes ein Vorreiter der Verhaltensökonomie war.
Doch was sind Animal Spirits und wie beeinflussen sie uns an der Börse?
Animal Spirits bedeutet klassisch übersetzt Lebensgeister, abgeleitet aus dem lateinischen Begriff des Spiritus Animalis.
Das Konzept ist schon über tausend Jahre alt. Demnach befand zum Beispiel der griechische Arzt Galenos von Pergamon im zweiten Jahrhundert nach Christi, dass der menschliche Körper von einem ganzen System an Geistern durchzogen sei.
Die natürlichen Geister in den Lungen, die vitalen Geister im Blut und die tierischen Geister im Gehirn. Letztere waren dann als Bewegungen und Handlungen verkörpert und sie wurden auch dazu genutzt, um massenpsychologische Phänomene wie Hysterien zu erklären.
In der Literatur sind die Spiritus Animalis als Zustände von Fröhlichkeit oder auch Ausgelassenheit bekannt. In der Finanz- und Wirtschaftswelt ist der Begriff der Animal Spirits heute, zurückgehend auf Keynes, vor allem in der Börsenpsychologie und in der Verhaltensökonomie verbreitet. Und damit wird eine Bandbreite an Emotionen beschrieben, die uns bei der Geldanlage ereilen kann – sowohl positive Begriffe wie Zuversicht oder auch Hoffnung, als auch negative Emotionen wie Angst und Pessimismus.
Geht es nach Keynes, dann handeln wir eher auf Basis von Intuition und Emotionen als auf Basis von soliden Analysen. Als Grund sah er, dass wir bei unserem Verhalten zwar eine langfristige Perspektive haben. Aber wie wissen nicht, wie die Zukunft aussieht.
Um sich von dieser Unsicherheit, dem Unbekannten nicht lähmen zu lassen, um überlebensfähig zu sein, muss der Mensch handlungsfähig sein. Animal Spirits sind somit laut Keynes unser spontaner Drang zum Handeln statt zum Nichtstun. Und dafür bleibt uns oft nur eine Ahnung, ein Bauchgefühl oder halt unsere Instinkte und Emotionen.
Und das wird insbesondere dann problematisch, wenn die Zeiten unruhig sind. Wenn es gesellschaftliche Spannungen gibt. Wenn die Wirtschaft Veränderungen unterworfen ist. Wenn es politische Unsicherheit gibt. Dann ereilen uns zunehmend irrationale Gedanken, die sich auf unser Handeln auswirken, was wiederum unserem finanziellen Wohlergehen schaden kann.
Oft werden Animal Spirits herangezogen, um die Bewegung des Marktes, die Stimmung am Markt insgesamt zu erklären. Also wenn die Stimmung gut und Zuversicht hoch ist, dann wirkt sich das positiv auf die Entwicklung der Märkte aus. Und umgekehrt.
In der Finanzliteratur gibt es insbesondere zwei große Ereignisse, die bei der Beschäftigung mit Animal Spirits herangezogen werden, nämlich die Finanzkrise im Jahr 2008 und die Dotcom-Blase Anfang der 2000er Jahre.
Animal Spirits, die Finanzkrise und die Dotcom-Blase
Vor der Finanzkrise gab es insbesondere in den USA einen starken Immobilienhype, der mit neuen, vermeintlich innovativen Finanzprodukten wie Collateralized Debt Obligations, kurz CDOs, befeuert wurde. Scheinbar jede Immobilie versprach eine große Wertsteigerung. Und daraufhin nahmen auch Geringverdiener hohe Schulden auf, getrieben von der Hoffnung oder auch Gier, die aufgenommenen Hypotheken ohne Probleme tilgen zu können.
Das ging lange gut, bis sich herausstellte, dass bei diesen Geschäften auch viel Unsinn gemacht und zum Teil betrügerisch agiert wurde. Das Vertrauen der Anleger schwand schlagartig, das Kartenhaus brach in sich zusammen. In der Folge verschwand mit Lehman Brothers eine der bis dato größten Banken vom Markt. Auch in Deutschland war bspw. Die Hypo Real Estate betroffen und wurde verstaatlicht.
Und die Situation war weltweit wirklich sehr schwierig, was die damalige Bundeskanzlerin Merkel und den Finanzminister Steinbrück dazu veranlasste, zu verkünden: “Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Dafür steht die Bundesregierung ein.” Sehr spannendes Thema, hierzu empfehle ich den Film The Big Short.
Die Dotcom-Blase war ein paar Jahre zuvor. Damals erklomm der Markt, getrieben vom Hype um neue Internetfirmen, immer neue Rekordstände. Man versprach sich von angesagten Unternehmen, die bisher noch keinen Cent verdient hatten, eine enorme Wertsteigerung aufgrund von angenommenen Supergewinnen in der Zukunft. Das ging solange gut, bis die Blase platzte und die Börsen einbrachen. Der Traum war vorbei.
Bis zum Platzen der Blase, war das aber schon eine ziemlich abgefahrene Entwicklung. Heute investiertes Geld konnte sich innerhalb kürzester Zeit verdoppeln. Das führte zu einem ungemeinen Hype. Immer mehr Anleger sprangen auf den Zug auf und investierten, was die Kurse zusätzlich trieb. Wer nicht dabei war, hatte das Gefühl, das Geschäft seines Lebens zu verpassen. Die Leute hatten FOMO, Verlustaversion, über die ich bereits in Folge 10 gesprochen habe.
Gleichzeitig war diese Marktentwicklung alles andere als gerechtfertigt. Weil viele der Firmen hatten nur sehr wenig geschäftliche Substanz vorzuweisen. Die Entwicklung wurde hauptsächlich vom um sich greifenden Hype getragen. Die Stimmung war maximal irrational euphorisch. Man könnte auch sagen manisch. Die Anlegerinnen und Anleger wurden von ihren tierischen Instinkten beherrscht.
Also das Handeln auf der Grundlage von Emotionen beeinträchtigt unsere Fähigkeit, rational zu denken. Und das betrifft uns als Individuen, aber auch als Kollektiv. Was auch der These widerspricht, dass die Märkte stets effizient sind.
Ein einzelnes Individuum macht keinen Trend. Aber wenn man irrationales Verhalten millionenfach multipliziert, dann kommt es zu Phänomenen wie der Bildung von Blasen. Und hier ist ein weiteres Stichwort der Herdentrieb, über den ich in Folge 15 gesprochen habe.
Doch kommen wir zu Dir: Welche Auswirkungen haben die Animal Spirits für Dein Geld?
Was bedeuten Animal Spirits für Dich als Anlegerin, als Anleger?
In diesem Podcast bzw. Blog habe ich schon viele der zahlreichen psychologischen Fallstricke vorgestellt, die uns beim Investieren und bei der Beschäftigung mit dem lieben Geld begegnen. Und viele Menschen kennen diese Phänomene. Sie sind aber trotzdem der Meinung, dass sie sich in der Regel ziemlich rational verhalten.
Der Investor und Autor Sean Iddings hat das an sich selbst beobachtet. Und zwar hat er festgestellt, dass wenn er ein sehr gutes Investment tätigt, dann kommt immer wieder sein inneres Tier, seine Animal Spirits, zum Vorschein.
Das äußert sich zum Beispiel in einem übermäßigen Selbstvertrauen. Die Analyse fällt vielleicht etwas seichter aus. Entscheidungen werden weniger reflektiert getroffen. Das Urteilsvermögen leidet. Gier oder auch die zuvor beschriebene Verlustaversion zeigen sich – manches Investment wird vielleicht übereilt getätigt, mancher Verlustbringer zu lange gehalten.
Das alles kann dazu führen, dass man finanziellen Schaden nimmt.
Und geht es nach Iddings, hat man in einer solchen Situation zwei Möglichkeiten: Man kann den Impulsen nachgeben oder man beruft sich darauf, was langfristig am besten ist.
Die Entscheidung liegt einigermaßen auf der Hand. Langfristig erfolgreicher Vermögensaufbau entscheidet sich anhand der langfristigen Performance. Wenn ich getrieben durch mögliche kurzfristige Gewinne agiere. Dann kann das mal klappen. Genau dieses Verhalten kann mir aber beim nächsten Mal auf die Füße fallen, sodass ich unterm Strich nichts gewonnen habe.
Stichwort Folge 7 über Risiko an der Börse. Da zitierte ich den Investor Howard Marks. Seiner Meinung nach sollte man Geld verdienen, wenn der Markt wächst und in schlechten Zeiten weniger verlieren als der Markt. Also man sollte langfristig überdurchschnittliche Erträge mit durchschnittlichem Risiko, oder durchschnittliche Erträge mit unterdurchschnittlichem Risiko erwirtschaften.
Wenn ich nun dem Tier in mir, den Animal Spirits, nachgebe, dann ist das Risiko groß, dass mein Portfolio in turbulenten Zeiten, richtig was mitbekommt.
Also um im Beispiel von eben zu bleiben: Wenn ich im Dotcom-Hype investiert hätte. Dann hätte ich vermutlich zunächst eine richtig gute Rendite erwirtschaftet. Diesen Gewinn hätte ich nur mit dem Platzen der Blase größtenteils oder komplett wieder verloren.
Wenn ich den Instinkten und den Animal Spirits einmal nachgebe, dann ist es äußerst unwahrscheinlich, dass ich meine Strategie ändere. Also es ist unwahrscheinlich, dass jemand die wilde Party zunächst mitreitet und dann kurz vor dem Höhepunkt für sich feststellt “huch, das ist jetzt aber schon eine ziemlich heiße Kiste, ich stecke mein Geld lieber in sichere Anlagen”.
Das mag in der Theorie eine schöne Vorstellung sein. In der Praxis ist das aber nur sehr schwer umzusetzen.
Meine Überzeugung ist: Langfristiger finanzieller Erfolg lässt sich nicht durch die Jagd nach schnellen Gewinnen erzwingen. Langfristiger finanzieller Erfolg verlangt, dass ich das Tier in mir beherrsche, dass ich langfristig eine gute Rendite erziele und das Erreichte nicht ins Risiko stelle. Weitere Details dazu kannst Du auch nochmal in Folge 21 über “die Kunst, ein Vermögen zu erhalten” nachhören.
Was kann man nun tun, um den Animal Spirits so zu begegnen, dass sie keine schlechten Entscheidungen hervorrufen und dass sie unseren Finanzen nicht schaden?
Meiner Meinung nach ist es hilfreich, wenn wir uns mit unseren Emotionen und unseren Animal Spirits beschäftigen, wodurch sie verursacht sind, wie sie sich auf uns, unser Denken und Handeln auswirken. Gleiches gilt für die zahlreichen in diesem Podcast besprochenen psychologischen Phänomene.
Und beim Investieren hilft meiner Meinung nach ebenfalls der zuvor erwähnte langfristige Blick und ein gewisser Abstand zu den Irrationalitäten des Zeitgeschehens.
Das beschreibt der Investor Pulak Prasad ganz anschaulich. In seinem Buch “What I learned about Investing from Darwin” zieht er eine weitere biologische Parallele. Er analysiert die Lehren der Evolution und bezieht sie auf das Investieren. Sehr spannendes Buch, das ich empfehlen kann. Sehr spannendes Thema, dem ich mich in einer späteren Folge auch nochmal widmen werde.
Jedenfalls hat Prasad beim Investieren drei Leitplanken, die uns so oder so ähnlich schon öfters in diesem Podcast begegnet sind und die auch von Sean Iddings mit Blick auf das Tier in Dir angeführt werden.
- Das Vermeiden großer und unnötiger Risiken
- Das Investieren in qualitativ hochwertige Wertpapiere zu einem fairen Preis.
- Sei sehr faul.
Hinter jedem dieser Lehrsätze steckt wahnsinnig viel Inhalt und viel Wahres. Allein zum Investieren in qualitativ hochwertige Wertpapiere kann man eine Menge sagen, das habe ich zum Beispiel in Folge 41 über das Investieren mit dem dreibeinigen Stuhl getan.
Jeder dieser Punkte zahlt auch auf das Thema der Animal Spirits ein.
Keine zu großen Risiken eingehen liegt auf der Hand. Wir haben einen Selbsterhaltungstrieb, wir wollen instinktiv am Leben bleiben und das verträgt sich nicht damit, dass wir übermäßig hohe Risiken eingehen. Als Anlegerin bzw. Anleger muss ich äquivalent so handeln, dass ich mein Vermögen nicht ins Risiko stelle.
Lehrsatz Nummer 3 “sei sehr faul”. Der erinnert an einen Aspekt aus Folge 19 über das wichtigste Wort an der Börse, das lautet “Nein”.
Am Aktienmarkt erwarten uns schier unendliche Handlungsoptionen. Es gibt zigtausende Aktien, zu denen sekündlich neue Kurse ermittelt werden, zu denen wir kaufen oder verkaufen können. Und parallel prasseln permanent Informationen auf uns ein – über die Konjunktur, die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen, die Performance verschiedener Unternehmen oder irgendwelche politischen Konflikte. Und jede dieser Handlungsoptionen und jede dieser Informationen kann natürlich auch an das Tier in uns appellieren.
Das Marktsentiment und die Börsenberichterstattung sind von Natur aus zumeist sehr kurzfristig und somit stark anfällig für Emotionen. Und wenn man, wie es Prasad rät, faul ist, dann lässt man diese ganzen Geräusche, diese Aufgeregtheit, einfach an sich vorbeiziehen.
Das Titelbild ist in der Steiermark entstanden.