1 Million Euro oder auch: Die magische Million. Ich werde mich in dieser Ausgabe damit beschäftigen, warum viele Anlegerinnen und Anleger bei der Formulierung ihrer finanziellen Ziele die magische Million vor Augen haben.
Ich werde mich damit beschäftigen, warum die Fokussierung auf diese eine Zahl nicht unbedingt ratsam ist bzw. Warum das für das Erreichen unserer finanziellen Ziele sogar schädlich sein könnte. Und ich werde beleuchten, wie du den Blick vielleicht auch etwas verändern könntest.
Und eine Einordnung zum Anfang: In dieser Folge geht es ziemlich selbstverständlich von 1 Million Euro. Mir ist natürlich klar, dass diese Summe längst nicht für jeden erreichbar ist.
Aber trotzdem stellt 1 Million Euro für viele ein Traumziel dar, eine reizvolle Fiktion. Und ich möchte die Möglichkeiten, die diese magische Summe bietet, einmal durchspielen. Und vielleicht kommt man dann auch zu dem Schluss, dass die magische 1 Million Euro ein eher trügerisches Ziel sein könnte.
Hier geht es zum Podcast:
1 Million Euro als finanzielles Ziel
In Folge 63 habe ich die Frage gestellt: Was ist dein finanzielles Ziel? Finanzielle Ziele können sehr unterschiedlich sein. Für manche geht es um das Erreichen finanzieller Unabhängigkeit. Andere möchten im Alter finanziell abgesichert sein. Und für manche ist es ein Selbstzweck, viel Geld zu haben.
Egal welcher Wunsch dem Vermögensaufbau zugrunde liegt, oft haben Menschen eine konkrete Zahl vor Augen, einen Vermögensmeilenstein, den sie erreichen möchten. Und eine oft genannte Zahl ist 1 Million Euro.
Nun kann nicht jeder Millionär werden, wobei es schon erstaunlich ist, wie viel sich mit regelmäßigem Sparen und Investieren über einen langen Zeitraum erreichen lässt. Darüber habe ich in diesem Podcast schon öfters gesprochen, zum Beispiel in Folge 11 über die wunderbare Kraft des Zinseszins.
Jedenfalls ist die magische 1 Million Euro ein häufiger Wunsch und nicht selten ein für den eigenen Vermögensaufbau angestrebtes Ziel. Und in Folge 63, zitierte ich den Autor Morgan Housel. Der ist der Meinung, dass wenn die meisten Leute sagen, dass sie Millionär werden wollen, dann meinen sie eher: ‚Ich möchte 1 Million Euro bzw. Dollar ausgeben.‘ Das wiederum wäre eher das Gegenteil davon, Millionär zu sein.
Und diesen Aspekt möchte ich in dieser Folge nochmal etwas tiefer beleuchten und den Blickwinkel über die Bedeutung der magischen Million ein wenig ändern. Also anstatt sich der Vorstellung hinzugeben, 1 Million Euro zu haben, um dann 1 Million Euro auszugeben, könnte man ja auch die Frage stellen, was man mit 1 Million Euro so machen könnte, wenn man sie nicht ausgibt.
Was kann man mit 1 Million Euro machen?
1 Million Euro zu haben und zu versuchen, diese 1 Million Euro auch zu behalten, das mag zunächst etwas merkwürdig klingen. Ja, soll ich 1 Million Euro dann einfach nur besitzen? Soll ich etwa Geldscheine stapeln und sie jeden Tag angucken und bestaunen? Das wäre nun wirklich sonderbar und vielleicht eher Ausdruck einer etwas fragwürdigen Beziehung zu Geld.
Ich könnte das Geld sicher verwahren. Weitermachen wie bisher und falls die Zeiten mal wirklich schlecht sind, dann hätte ich ein komfortables Finanzpolster, auf das ich zurückgreifen könnte. Das klingt schon sinnvoller.
Ich könnte das Geld auch als Mittel sehen, um ein Einkommen zu generieren. Und das erinnert an einen Aspekt aus Folge 57 über finanzielle Freiheit und die FIRE Bewegung.
Kurz zur Erinnerung: Anhänger der FIRE Bewegung versuchen möglichst schnell möglichst viel Geld anzuhäufen, um dann von den Erträgen ihres Vermögens zu leben.
Und ein in diesem Zusammenhang oft diskutiertes Modell ist die sogenannte 4-Prozent-Regel. Etwas vereinfacht gesagt ist die Idee, dass man pro Jahr 4 Prozent seines investierten Vermögens entnimmt und von diesen Entnahmen seine Lebenshaltungskosten bestreitet. Dann soll das Vermögen in einem Zeitraum von 25 Jahren nicht komplett aufgebraucht werden.
Ich sehe das etwas kritisch, meiner Meinung nach ist die 4-Prozent-Regel nur eine vereinfachte Faustformel und sollte wirklich mit Vorsicht genossen werden. Wie gesagt, an dieser Stelle nur ein kurzer Ausflug in das Thema 4-Prozent-Regel, weitere Details kannst Du in Folge 57 nachhören bzw. nachlesen.
Aber den Grundgedanken finde ich ganz interessant.
Nehmen wir mal an, jemand kann jedes Jahr drei Prozent seines Vermögens entnehmen, ohne dass sich das Vermögen verkleinert. Steuern sind bereits berücksichtigt und die Entnahme ist komplett durch die erwirtschaftete Rendite gedeckt.
Also 1 Million Euro, das ist die Vermögensgröße. Drei Prozent werden entnommen, das sind dann 30.000 Euro im Jahr, also 2.500 Euro im Monat.
Und das ist nun wirklich interessant: 2.500 Euro im Monat entspricht ziemlich genau dem durchschnittlichen Nettolohn in Deutschland. Also anders ausgedrückt: 2.500 Euro im Monat sind nicht wenig Geld. Davon kann man gut leben.
Aber zugleich klingen 2.500 Euro im Monat nicht wirklich spektakulär. Die klingen nicht nach Wohlstand. 1 Million Euro – ja das ist doch mal ein Wort. Das ist schon ein Vermögen. Das klingt nach Wohlstand. Was man sich davon alles kaufen könnte. Aber diese Betrachtungsweise würde eben vermutlich schnell dazu führen, dass das Vermögen einem schnell durch die Finger gleitet, wenn man damit einen luxuriösen Lebensstil assoziiert und dann auch finanziert.
Und der Vollständigkeit halber zur Einordnung: Wirklich verlässlich 2.500 Euro im Monat mit 1 Million Euro zu erwirtschaften, also jährlich 3% Rendite nach Steuern zu generieren, das mag vielleicht nicht so spektakulär klingen, aber das kontinuierlich zu erreichen, ist gar nicht so einfach. Ich würde jedenfalls nicht unbedingt meine Existenz drauf wetten, dass das aufgeht.
1 Million Euro konsumieren oder als Einkommen
Für 1 Million Euro konsumieren zu können oder bei einer Rendite von 3% mit 1 Million Euro Einnahmen in Höhe von 2.500 Euro im Monat zu generieren. Das sind zwei gänzlich andere Betrachtungsweisen.
Der amerikanische Aktienbroker und Autor Fred Schwed hat dazu einmal festgestellt, dass Briten und Amerikaner Reichtum gänzlich anders definieren. Ein Amerikaner würde Reichtum definieren, als dass jemand fast 1 Million Euro bzw. Dollar besitzt. Der Brite wiederum würde das so einordnen, dass die Person fünftausend Pfund im Jahr hat. Wobei der Brite laut Fred Schwed viel näher an der Wahrheit sei. Der wahre materielle Reichtum eines Menschen, so Schwed, ist sein Einkommen und nicht sein Kontostand.
Nun sind die Zahlen schon etwas älter und somit nicht 1:1 auf die heutige Zeit anwendbar. Ich bin mir auch nicht sicher, ob diese Unterscheidung zwischen Amerikanern und Briten immer noch so gültig ist. Aber dem Grundgedanken, dass sich Reichtum in einem bestimmten Einkommen und nicht in einem bestimmten Vermögen ausdrückt, diesem Gedanken würde ich zustimmen. Und ich glaube, dass auch wir gelernt haben, wie der Amerikaner zu denken.
Wir assoziieren Wohlstand mit Statussymbolen, mit Anschaffungen wie teuren Autos, Luxusgütern oder einem aufwendigen Lebensstil. Und das ist in meinen Augen kompletter Unsinn. All die schönen Dinge können finanziert sein und die Person steht womöglich unter großem Druck, die Zahlungen zu bedienen. Vielleicht habe ich auch einen hochbezahlten Job. Aber das muss ich auch, um meinen Lebensstil zu finanzieren. Das Geld muss jeden Monat reinkommen. Und wenn das aus welchem Grund auch immer einmal nicht passiert, dann habe ich ein Problem.
Umgekehrt ist eine Person, die solide wirtschaftet und ihre finanziellen Möglichkeiten nicht ausreizt, in einer finanziell gesehen, deutlich komfortableren Situation. Und wenn man das weiterdenkt, dann ist Wohlstand nicht die magische 1 Million Euro als Selbstzweck oder als Mittel für Konsum. Wohlstand ist nicht, viel Geld zu besitzen oder auf großem Fuß zu leben. Wohlstand ist demnach, wenn man mit seinem Vermögen genügend Geld erwirtschaftet, um den eigenen Lebensstandard zu finanzieren.
Zeit und Freiheit als wahrer Reichtum
Diese Betrachtungsweise von Wohlstand knüpft an einen Punkt aus Folge 35 Zeit ist Geld an. Wahrer Reichtum ist Zeit und die Freiheit, so zu sein, wie man ist oder sein möchte und das zu tun, was einem wichtig ist und einen erfüllt. Wahrer Reichtum bedeutet, sich nicht einer Arbeitssituation aussetzen zu müssen, die einen psychisch belastet. Es bedeutet, nicht Zeit mit Menschen verbringen zu müssen, die man lieber meiden würde.
Und vielleicht sind es 2.500 € im Monat, die mir diese Freiheit bringen. Vielleicht ist das auch ein geringerer oder ein höherer Betrag. Wie so oft bei der Beschäftigung mit Finanzen kann ein solcher Betrag individuell sehr verschieden sein.
Worauf ich hinaus will: Je höher mein Finanzbedarf ist, desto schwerer wird es für mich, diesen Wohlstand zu erreichen.
Vielleicht habe ich aufwendige Hobbies. Vielleicht kaufe ich mir gerne teure Klamotten oder vielleicht haue ich beim Ausgehen richtig viel Geld auf den Kopf. Alles vollkommen in Ordnung und meine persönliche Entscheidung. Aber wenn ich genügsam bin und nicht allzu viel Geld benötige, dann ist Wohlstand nach der genannten Definition leichter zu erreichen.
Die Frage ist nicht, ob man mit 100.000 Euro wohlhabend ist, mit 1 Million Euro oder mit 10 Millionen Euro. Diese Betrachtungsweise, diese Fokussierung auf konkrete Geldbeträge kann dazu führen, dass wir uns mit anderen vergleichen. Was sie haben und wir nicht. Sie bedient unseren Wunsch nach Anerkennung und nach Bewunderung.
Stichwort Folge 42 über den inneren Kompass: Der Vergleich mit anderen und die Definition der eigenen Wertigkeit über Statussymbole und über Insignien von Reichtum oder Macht, diese Dinge sind wie ein äußerer Kompass.
Und wenn wir nach einem äußeren Kompass leben und handeln, also wenn der äußere Kompass der Gradmesser für unser Wohlbefinden ist, dann machen wir uns Gedanken darüber, wie die Welt uns sieht und über uns denkt. Wie wir im Vergleich zu anderen wahrgenommen werden und wie wir ihnen gegenüber abschneiden.
Und wenn ich mich auf Zahlen wie die magische Million fokussiere, dann laufe ich Gefahr, das Erreichen solcher Zahlen an sich als Gradmesser meines persönlichen Glücks misszuverstehen. Wenn ich ein Vermögen hingegen als Mittel sehe, um ein Einkommen zu generieren, dann kann ich mich eher auf meine persönlichen Ziele konzentrieren.
Die für mich wichtigen Fragen sind doch nicht, wie viel ich habe oder wie ich im Vergleich zu meinem Gegenüber finanziell abschneide. Die für mich wichtigen Fragen sind: Was brauche ich wirklich? Was macht mich wirklich glücklich? Und was auch nicht. Ein Vermögen kann dann ein Werkzeug sein, um diese Wünsche und Bedürfnisse zu umzusetzen. Und das ist, wie wenn ich durch einen inneren Kompass gesteuert bin.
Abschließend lässt sich zur magischen Million festhalten, dass diese Zahl selbstredend nur ein griffiges Beispiel ist.
Letztlich ist es egal, ob wir über 100.000 Euro, 1 Million Euro oder auch zehn Millionen Euro sprechen. Es gilt den Blick zu verändern.
Langfristiger finanzieller Erfolg verlangt immer nach zwei Dingen: Es zu bekommen und es zu behalten. Darüber hatte ich in Folge 21 über die Kunst ein Vermögen zu erhalten gesprochen: Wenn die Assoziation der magischen Million mit Kaufkraft und teuren Anschaffungen finanzielles Unglück bedeuten kann, dann geht es im Umkehrschluss auch um Bescheidenheit.
Bei einem Lottogewinn kommst du schnell zu viel Geld. Nicht wenige Lottogewinner verlieren einen Großteil des Geldes aber auch relativ schnell wieder.
Menschen, die erfolgreich ihr Vermögen bewahren, fragen sich, was sie sich leisten können, sich leisten wollen, wie das mit ihren finanziellen Mitteln vereinbar ist und was dies für ihre finanziellen Entscheidungen bedeutet. Sie malen ein Bild von ihrer finanziellen Zukunft – und das ist weit mehr als eine einzige Zahl.
PS: Das Titelbild ist in Österreich entstanden.